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Der Abschied Nach fast 90 Jahren fällt er schwer. Der Farbenladen Fron ging vom Großvater auf den Vater und den Sohn über. Aber heute, zum Jahresende, ist Schluss. Wegen einer heftigen Mieterhöhung im Zuge der Gentrifizierung müssen die Frons das Geschäft in Schöneberg aufgeben. Ein Gespräch mit Mutter Gisela (82) und Sohn Oliver (50). Auch Vater Erwin (83) ist dabei, aber nicht mehr so richtig„Alles, was frei wird,wird Galerie“

Interview Plutonia PlarreFoto Dagmar Morath

taz: Frau Fron, für Sie geht heute nicht nur das Jahr 2016 zu Ende, sondern auch eine Epoche. Der Farbenladen Fron macht zu. Wie ist Ihnen zumute?

Mutter Gisela: Das ist sehr traurig. Aber ich versuche dem Ganzen etwas Positives abzugewinnen. Wir alten Leutchen kommen damit endlich aus dem Geschäft raus. Ab dem neuen Jahr werden wir mehr Zeit für uns haben. Meinem Mann geht es ja nicht so gut.

Rund 90 Jahre hat es das Geschäft im Bezirk Schöneberg gegeben. Der jetzige Laden in der Kurfürstenstraße existiert seit 1968. Wann ist die Entscheidung gefallen, zuzumachen?

Sohn Oliver: Vor drei Monaten. Das ging alles ganz schnell. Ende September wurde ich zur Hausverwaltung gebeten, weil mit dem Mietvertrag des Kellers angeblich etwas nicht in Ordnung war. Bei der Gelegenheit bekam ich eine deutliche Mieterhöhung für die Ladenräume überreicht. Mit dem Geschäft können wir das nicht mehr auffangen.

Ohne die Mieterhöhung hätten Sie weitergemacht?

Sohn: So war die Planung. Vom reinen Verkauf hat sich nur noch das Geschäft selbst getragen. Gelebt haben wir von den Dienstleistungen, die ich dazu noch anbiete: Fußbodenverlegearbeiten, Tapezieren, Malern. Mein Plan war, noch einen Kollegen mit reinzunehmen. Wir wollten zusätzlich ein kleines Parkettstudio und Tischlerarbeiten anbieten. Es hätte super gepasst, wir haben es durchgerechnet. Aber die Mieterhöhung hätte das alles aufgefressen.

Ihre Mutter und ihr Vater sind über 80. Haben die beiden noch richtig im Laden mitgearbeitet?

Sohn: Es sind die beiden guten Seelen. Ein Angestellter wäre nicht tragbar gewesen. Wenn ich bei Kunden zu Hause renoviert habe, haben sie das Geschäft gehütet. Mit der Neuplanung und dem Kollegen sollte das jetzt ein Ende haben. Das hat mir ja auch immer leidgetan, wobei meine Mutter ja eine sehr kommunikative Person ist. Sie ist gerne mit Leuten. Und Vatern, ja, der musste halt jetzt noch ein bisschen mitziehen.

Mutter: Der Verkauf war manchmal nicht so, wie wir es uns vorgestellt haben. Trotzdem war unser Laden immer ein Anziehungspunkt. Die Leute sind reingekommen: „Guten Tag, wie geht’s?“ Ich würde sagen, 80 Prozent der Leute in der Gegend hier kenne ich.

Sohn: Die Kunden bedauern alle wahnsinnig, dass wir weggehen. Ein Stück Lebendigkeit ist damit halt wieder weg. Hier entwickelt sich alles ein bisschen in Richtung Prenzlauer Berg. Alles wird hochpreisiger.

Gisela Fron winkt einem draußen Vorbeigehenden durchs Schaufenster zu, er winkt zurück.

Sohn: Aus dem Winken kommt man hier gar nicht mehr raus. Wir sind ja auch so eine kleine Poststation. Wir nehmen die Pakete für alle ab. Eine Galerie wird das vielleicht nicht mehr machen.

Bedeutet das, dass nach Ihnen eine Galerie in den Laden zieht?

Sohn: Es wird wohl in diese Richtung gehen.

Mutter: Ja, ja. Einige Leutchen haben sich den Laden schon angeguckt.

Die Gegend hier hat eine ziemliche Aufwertung erfahren, als vor rund drei Jahren der neue Park am Gleisdreieck aufgemacht wurde. Wie empfinden Sie das?

Sohn: Wir haben es daran gemerkt, dass – wenn irgendwo einer aus seinem Laden raus ist – Galerien nachgekommen sind. Potsdamer Straße, Blumenthalstraße, Kurfürstenstraße – mittlerweile soll das in Berlin die Gegend mit den meisten Galerien auf kleinstem Raum sein. Alles, was frei wird, wird Galerie. Das ist der Trend.

Reden wir über die Geschichte des Ladens, der seit drei Generationen existiert. Wo genau ging es mit dem Farbenverkauf los?

Sohn: In der Steinmetzstraße, fußläufig circa 100 Meter von hier. Mein Großvater, Theodor Fron, hat damit angefangen. Wir haben mal nachgerechnet, 85 bis 90 Jahre wird das schon her sein. In einem Keller ging es los.

Mutter: Vor dem Kellerladen gab es noch den ganz alten Laden. Der war auch in der Steinmetzstraße. Einen Tag vor Kriegsende ist der ausgebombt worden. Dann hatten wir zehn Jahre den Laden im Keller, danach sind wir in der Steinmetzstraße Hochparterre gezogen. Wir waren der Straße recht treu. Väterchen, was sagst du dazu? (Schaut Ihren Mann Erwin an, der neben ihr sitzt).

Vater: Das weiß ich jetzt nicht mehr so genau.

Das Rotlichtmilieu und den Straßenstrich hier in der Gegend rund um die Potsdamer Straße gab es auch schon vor dem Krieg. Frau Fron, wie haben Sie das als junges Mädchen erlebt?

Mutter: Rund um den Bülowbogen war eigentlich das Zentrum. Ich bin da reingewachsen. Man kriegt das gar nicht so groß mit.

Sohn: War das nicht so, dass unsere Seite von der Kurfürstenstraße eher eine hochherrschaftliche Ecke war? Vater hat immer erzählt, dass ihr nicht laut reden durftet, wenn ihr als Jugendliche durch die Kurfürstenstraße gelaufen seid.

Erwin Fron lacht.

Sohn: Hier gab’s ja richtig Portierslogen, Türöffner und so. Das war eine edle Ecke hier. Das sieht man ja zum Teil noch an den Altbauten.

Die Frons und der Farbenladen

Der Großvater: Theodor Fron wurde 1903 geboren. Er starb mit 59 Jahren.

Die Eltern: Erwin (Jahrgang 1933) ist der Sohn von Theodor Fron. Er ist mit Gisela (geboren 1934) verheiratet. Sie haben zwei Söhne und vier Enkelkinder. Letztere sind zwischen 14 und 19 Jahre alt.

Die Söhne: Der Ältere, Christian (53), ist Ingenieur für Nachrichtentechnik. Er hat zwei Söhne. Oliver (50) ist beim Vater in die Lehre gegangen und hat das Geschäft übernommen; er hat zwei Töchter.

Der Farbenladen: Theodor Fron hat das Geschäft 1926 in der Steinmetzstraße in Schöneberg gegründet. 1968 Umzug in die Kurfürstenstraße 24. Die Firma Fron wird nach Wegfall des Ladens von Oliver weiter geführt.

Die Hauptperson:Gisela Fron ist diejenige, die im Geschäft und in der Familie die Fäden zusammenhält. (plu)

Mutter: Ja, alles Stuck. Aber unsere Steinmetzstraße nicht, ach.

Da wohnten eher Arbeiter?

Mutter: Ja, das könnte man so sagen (lacht). Da gab es die Eckkneipe, da gab es den Kohlenmann. Da gab es einen Kuhstall. Es gab eine Drogerie, da konnte man Wäsche mangeln gehen.

Frau Fron, Sie und Ihr Mann sind in Schönberg geboren. Wie haben Sie sich kennengelernt?

Mutter: Durch die Kirche. In der St.-Matthias-Gemeinde am Winterfeldtplatz. Wir waren dort beide in der Jugendgruppe. Danach hatten wir uns aus den Augen verloren. Ich war Verkäuferin im KaDeWe, später habe ich in einem Herrenartikelgeschäft gearbeitet. Jeder hat für sich gebandelt (lacht). Durch meinen Bruder sind wir uns dann wiederbegegnet. 1961 war die Trauung. Jetzt sind wir 55 Jahre verheiratet.

Oliver, was war Ihr Großvater Tobias Fron für ein Typ?

Sohn: Er ist vor meiner Geburt gestorben. Aus Erzählungen meines Vaters weiß ich, dass das ein supernetter Mensch war. Das war ein ganz plötzlicher Tod. Er ist an einem unerkannten Darmverschluss gestorben.

Mutter: Er war 59. Er ist eingeliefert worden ins Krankenhaus, weil er schon erbrochen hatte. Die haben das einfach nicht erkannt.

Danach sind Sie, Frau Fron, mit ins Geschäft?

Mutter: Als wir geheiratet haben, habe ich als Verkäuferin aufgehört. Dann war ich mit dem ersten Kind – einer Totgeburt – in anderen Umständen. Ab und an bin ich auch schon mit im Geschäft gewesen. Aber zu der Zeit war Schwiegermutter noch täglich mit im Laden.

Der Laden war immer ein Familienbetrieb?

Vater: Ja.

Mutter: Bis heute ist die Konstellation fast die gleiche.

Oliver – warum sind Sie in das Geschäft Ihrer Eltern eingestiegen?

Sohn: Schon als kleiner Pimpf habe ich viel Zeit im Geschäft verbracht und bei der Inventur mitgeholfen. Das ganze Zählen und so, das fand ich immer interessant.

Mutter: Du hast immer gesagt, du würdest nie den ganzen Tag im Büro sitzen wollen.

Sohn: Das wäre eine Katastrophe.

Mutter: Er hat immer gesagt: Er muss arbeiten, Kunden beraten. Das hat er auch ein bisschen von mir.

Sohn: Ich wusste nicht so richtig, was ich hätte studieren sollen.1985, nach dem Abi, bin ich bei meinem Vater in die Lehre gegangen. So, wie der bei seinem Vater gelernt hat. Ich habe viel von seinem Wissen mitgenommen, das er noch von alten Materialien hatte. Dadurch konnte ich viele Fragen von Kunden beantworten, die einer im Baumarkt vielleicht nicht beantworten kann. Relativ schnell habe ich dann auch mit den Auftragsarbeiten begonnen. Der Bedarf war einfach da. Viele Leute haben gefragt, ob wir auch Maler- und Fußbodenverlegearbeiten anbieten. Anfangs haben wir sie zu irgendwelchen anderen Handwerkern geschickt. Das kann ich auch, habe ich mir irgendwann gesagt.

Und Ihre Eltern haben Ihnen im Geschäft den Rücken freigehalten?

Sohn: So war’s. Als mein Vater jünger war, haben wir die Arbeiten noch zusammen gemacht. Und meine Mutter war im Laden. Der Vater von meiner Mutter hat auch immer geholfen. Der alte Herr hat geackert, hat sauber gemacht.

„Die Kunden bedauern alle wahnsinnig, dass wir weggehen. Ein Stück Lebendigkeit ist damit halt wieder weg“

Mutter: Ach Gottchen, ja.

Liegt Heimwerkern nach wie vor im Trend?

Sohn: Auf alle Fälle. Haus verschönern – Heim verschönern: Es gibt unglaubliche viele Fernsehsendungen, durch die Menschen animiert werden, den Hammer in die Hand zu nehmen. Auch die Damen wirbeln, wo sie können.

Amüsieren Sie sich manchmal über Ihre Kundschaft?

Sohn: Bei manchen Fragen schon. Tapeten! Ob man die hinten nur nass macht und an die Wand hängt? Oder beim Lackieren. Da gibt es ja einen gewissen Aufbau, den man einhalten sollte, wenn man ein bisschen Freude haben will an dem, was man da macht. Viele wollen die Fläche vorher noch nicht mal sauber machen, sondern einfach nur mit dem Pinsel rüber. Und dann wundern sie sich, wenn die Farbe nicht hält. Das ist manchmal schon niedlich.

Vater: Ich komm gleich wieder. Erwin Fron steht auf und verschwindet im hinteren Teil des Ladens.

Oliver, wird Ihnen was fehlen, wenn es den Laden nicht mehr gibt?

Sohn: Und ob! Die vielen netten Leute, die hat man ja richtig ins Herz geschlossen.

Wie geht es bei Ihnen beruflich weiter?

Sohn: Die Firma Fron bleibt bestehen. Zu Hause in Klein-Machnow, wo ich wohne, und in Zehlendorf werde ich ein Lager einrichten. Ich werde weiter Waren verkaufen, Schwerpunkt werden wie bisher die Handwerker-Dienstleistungen sein. Die Kontakte zu den Kunden habe ich ja im Rechner gespeichert. Einige werden wegbrechen, neue werden dazukommen. Man wird auch mehr übers Internet gehen müssen.

Mutter: Mir wird viel fehlen, wenn der Laden nicht mehr da ist. Gut, wir haben ein Häuschen in Zehlendorf. Es gibt Gartenarbeit, und was sonst so alles anfällt. Aber wissen Sie, mein Mann ist sehr krank. Mitunter ist das ziemlich anstrengend …

Sohn: … mein Vater hat leider richtige Altersdemenz.

Wann fing das an?

Sohn: Sein Leben lang hat er hier alles gut gemanagt. Vor ungefähr vier Jahren hatte mein Vater einen Schlaganfall. Von dem hat er sich eigentlich ganz gut erholt. Vor zwei Jahren ging es dann schleichend los mit den Erinnerungslücken. Zum Glück erkennt mein Vater noch alle – so weit sind wir noch nicht. Aber das wird auch kommen. Jemand, der meinen Vater nicht kennt, wird das gar nicht groß merken. Aber es galoppiert jetzt schon. Man muss sehr geduldig mit ihm sein.

Mutter: Und wenn du nichts anderes hast, wo du dich ein bisschen ablenken kannst, das ist dann schon schwer. Ich kann ihn ja nicht allein lassen.

Oliver Fron über seine Eltern: Das sind die beiden guten Seelen. Ein Angestellter wäre nicht tragbar gewesen. Wenn ich bei Kunden zu Hause renoviert habe, haben sie das Geschäft gehütet. Mit der Neuplanung und dem Kollegen sollte das jetzt ein Ende haben

Haben Sie Angst vor der Zeit zu Hause?

Mutter: Noch nicht. Vielleicht kommt das noch. Aber ich hatte immer gerne Kontakt mit Menschen.

Für Sie wird es demnach sicher die größte Veränderung werden?

Mutter: In der Richtung schon. Aber vielleicht sollte man nicht so viel darüber reden. Oder daran denken (guckt Oliver an). Und dann sehen wir uns auch nicht mehr so oft, mein Sohn.

Sohn: Stimmt. Man hat ja hier sehr viel Zeit miteinander verbracht. Nicht weniger als mit seiner eigenen Lebenspartnerin.

Erwin Fron kommt zurück. Er zieht ein Taschentuch raus und schnäuzt sich die Nase.

Mutter: Väterchen, ich glaube, du würdest sagen: Ich bin sehr froh, dass ich jetzt zu Hause bleiben kann.

Vater: Na ja sicher.

Mutter: Dann darfst du länger schlafen. Wir mussten immer früh raus. Unser Sohn hat uns jeden Morgen mit dem Auto abgeholt. Mein Mann wäre immer gern noch etwas liegen geblieben.

Herr Fron, möchten Sie noch etwas sagen?

Vater:(lacht). Genug gequatscht jetzt.

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