Demos gegen Rechtsextremismus: 150.000 protestieren bundesweit
Seit Freitag haben mehr als 150.000 Menschen gegen Rechtsextremismus demonstriert. Wir haben etwa 140 Demos ausgewertet.
Am Ende der einstündigen Veranstaltung im niedersächsischen Syke wurde laut der Kreiszeitung ein Gedicht vom Münchner Schauspieler Simon Pearce vorgetragen:
Bei Hitlers brennt noch Licht
Es ist nie ganz erloschen, nur eine kurze, ruhige Zeit war’s Fenster fest verschlossen. Nur ab und zu, ganz schüchtern fast, kaum hörbar, ein Gewisper … Man nahm’s kaum wahr und dachte sich: „Was soll’s? Da ist noch Licht an.“ Bei Hitlers brennt noch Licht – Jetzt treten sie ans Fenster. Jetzt sieht man sie, jetzt hört man sie … das sind keine Gespenster. Ganz stolz und lautstark steh’n sie da, entzünden und krakeelen. Und ihre Drohung ist ganz klar: „WIR GEHEN WIEDER WÄHLEN!“ Bei Hitlers brennt noch Licht. Vernunft, wo bist Du? Wo? Komm' raus und hilf … und schalt' es aus. … sonst brennt es lichterloh.
Simon Pearce
Etwa 3,4 Millionen Menschen gegen Rechtsextremismus
Seit dem zweiten Januarwochende kommen immer mehr Menschen heraus und helfen, wie eine taz-Auswertung zeigt. Von den erfassten 1.162 Demonstrationen konnten wir für 1.093 Teilnehmendenzahlen ermitteln. Demnach versammelten sich bisher mindestens 3,4 Millionen Menschen gegen Rechtsextremismus und für Demokratie.
Empfohlener externer Inhalt
Am Politischen Aschermittwoch letzte Woche wurden die Grünen derart bedroht, dass sie ihre Veranstaltung auf Anraten der Polizei absagen mussten. Jürgen Trittin, der in Biberach eine Rede halten wollte, spricht im Interview mit der taz von „einem rechten Mob“ und einem „organisierten Angriff auf die Meinungsfreiheit“. Wegen der Ausschreitungen hielten etwa 350 Menschen in Biberach am Samstag eine Mahnwache ab. Sie demonstrierten gegen Demokratiefeindlichkeit.
In Münster fand am letzten Freitag die größte Demonstration für die Demokratie statt. Etwa 30.000 Menschen fanden sich vor dem historischen Rathaus und auf dem Domplatz ein.
Am Samstag stellten sich etwa 1.000 engagierte Demokraten und Demokratinnen in Worms der Kleinstpartei „die Rechte“ entgegen. Am Hauptbahnhof fand die Gegendemo statt und war zahlenmäßig um das Hundertfache überlegen. Die zehn Rechten von „die Rechte“ habe man zwischen den Buh-Rufen nicht gehört, schreibt die Wormser Zeitung. In Wolfsburg kamen am Sonntag zwischen 6.000 und 7.000 Menschen zusammen.
Die kleinste uns bekannte Demonstration war tatsächlich von den Kleinsten: Eine Kinder-und Jugenddemo im bayerischen Langquaid mit 50 Teilnehmenden am Freitag. Laut der Mittelbayerischen Zeitung sind sie dabei von AfD-Vertretern beobachtet worden.
Hanau ist überall
Ein weiterer Anlass an diesem Wochenende auf die Straße zu gehen war das Gedenken an die Opfer des rechtsextremen Terrors in Hanau. 2020 wurden dort neun Menschen aus rassistischen Motiven getötet. Ein Demonstrationszug mit etwa 5.000 Teilnehmenden lief am Samstag an den Tatorten vorbei, erinnerte und mahnte. Auch am Montag sind deutschlandweit zahlreiche Kundgebungen und Mahnwachen zum vierten Jahrestag angekündigt. Die genauen Termine und Orte könnt ihr unserer Karte entnehmen. Sie sind mit #saytheirnames gekennzeichnet.
Empfohlener externer Inhalt
Für die kommenden Wochen sind weitere Demonstrationen angemeldet. Die taz hat bisher über 50 Versammlungen gelistet.
Seit mehr als drei Wochen sammeln wir die Termine für die aktuellen Demonstrationen gegen Rechtsextremismus – unter anderem über die Mail-Adresse demohinweise@taz.de. Inzwischen haben uns mehr als 650 Hinweise erreicht. Diese Liste bildet die Basis für unsere Analyse, die verarbeiteten Daten können aus unseren Grafiken heruntergeladen und frei verwendet werden. Wir freuen uns über Hinweise auf Fehler und veraltete Informationen und korrigieren diese gerne.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Rekrutierung im Krieg gegen Russland
Von der Straße weg
Umfrage zu Sicherheitsgefühl
Das Problem mit den Gefühlen
Israelische Drohnen in Gaza
Testlabor des Grauens
„Freiheit“ von Angela Merkel
Die Macht hatte ihren Preis
Deutschland braucht Zuwanderung
Bitte kommt alle!
Gewalt an Frauen
Ein Femizid ist ein Femizid und bleibt ein Femizid