piwik no script img

Demos für queere SichtbarkeitDie Pride-Paraden brauchen uns – jetzt

Um sicher zu sein, müssen CSDs sich verlassen können – auf Unterstützung aus der Zivilgesellschaft, Sicherheitskonzepte und Rückhalt aus der Politik.

Support your local Pride: Tausende feiern in Marzahn queere Sichtbarkeit – und lassen sich nicht von Neonazis einschüchtern Foto: Florian Boillot

BERLIN taz Die aufgeheizte Stimmung rund um den Marzahn Pride hat nur teilweise mit der Mittagshitze am Samstag zu tun. Sorge macht im Vorfeld auch, dass sich außerdem ein Neonazi-Aufmarsch angemeldet hatte, der sich explizit gegen den CSD richtet. Die mehr als 1.000 LGTBIQ+-Personen und ihre Verbündeten ziehen also nicht nur für queere Sichtbarkeit über die Allee der Kosmonauten – sondern auch gegen die reale Bedrohung durch Rechtsextreme. Dass die Pride ohne große Zwischenfälle abläuft, verdankt sie am Ende einem Dreiklang aus zivilgesellschaftlicher Solidarität, polizeilicher Sicherung und politischem Rückhalt.

Schon die Ansprache zum Auftakt der Parade zeigt: Die Marzahn Pride versteht sich als politische Veranstaltung. „Die Teilnahme ist mehr als nur ein Akt der Solidarität, sie ist eine Notwendigkeit“, sagt Quarteera-Aktivist:in und Mit­or­ga­ni­sa­to­ri:­in Galina Terekhova. Der Verein Quarteera richtet die Pride aus, er setzt sich für die Sichtbarmachung der queeren, russischsprachigen Minderheit im Bezirk ein. Viele Mitglieder des Vereins sind aus Ländern geflohen, in denen sie als queere Personen keine Rechte hatten.

Der Christopher Street Day findet zum sechsten Mal im Marzahn statt. Und in diesem Jahr baut sich mit dem Neonazi-Aufmarsch ein Bedrohungs-Szenario auf. Dahinter steht die Jugendgruppierung „Deutsche Jugend Voran“ (DJV). Schon im vergangenen Jahr hatte sich die DJV an Anti-CSD-Störaktionen beteiligt. Dazu kommt noch der gewaltsame Angriff von Rechtsextremen auf ein Vielfalt-Fest im brandenburgischen Bad Freienwalde am vergangenen Wochenende. Damit wuchsen die Bedenken hinsichtlich der Sicherheit von CSD-Veranstaltungen.

Zusammenstöße mit Neonazis konnten am Samstag in Marzahn indes abgewendet werden. Auch war der Neonazi-Aufmarsch deutlich kleiner als angekündigt: Nach Polizeiangaben nahmen rund 50 Personen daran teil. Der Anmelder hatte im Vorfeld von bis zu 300 Personen gesprochen. Am selben Tag feierten auch das brandenburgische Eberswalde und Wittenberg in Sachsen-Anhalt CSDs – gegen die Rechtsextreme ebenfalls mobilisiert hatten.

Sicherheitskonzept und Antifa-Präsenz

Anders als in Bad Freienwalde ist die Polizei bei der Marzahn Pride deutlich präsent: Mit einem Großaufgebot von mehreren hundert Einsatzkräften und in enger Absprache mit den Or­ga­ni­sato­r:in­nen von Quarteera e.V. begleitet sie die Parade. Die Polizei sicherte dabei nicht nur die Demoroute und das Straßenfest, sondern auch den S-Bahnhof Springpfuhl, über den viele der Be­su­che­r:in­nen anreisten.

Dass die Marzahn Pride ohne größere Zwischenfälle verlief, hat wohl auch mit der räumlichen Auseinanderzerrung der Pride-Demoroute und des Nazi-Aufmarsches zu tun. Dies hatte Quarteera eingefordert. Auch am Victor-Klemperer-Platz, an dem die Parade offiziell mit einem Straßenfest endet, blieb es weitgehend ruhig.

Doch nicht nur das Sicherheitskonzept bewährt sich, auch die Teil­neh­me­r:in­nen tragen zum Gelingen bei: Antifa-Aktivist:innen etwa schirmten Sebastian Schmidtke, den stellvertretenden Vorsitzenden der Kleinstpartei Die Heimat (ehemals NPD), mit Regenschirmen und Bannern ab. Er lief abseits des Demozuges mit und streamte die Veranstaltung mit seinem Handy.

Mehr als nur ein buntes Fest: Tausende demonstrieren am Wochenende für den Schutz von queeren Rechten Foto: Florian Boillot

Mindestens zwei weitere Personen taten es Schmidtke gleich und bedrängten dabei die Aktivist:innen. Dabei kam es Handgreiflichkeiten auf beiden Seiten, die Polizei intervenierte. „Da ist das Spannungsverhältnis zwischen der Pressefreiheit einerseits und dem Schutz und den Rechten der Teilnehmenden“, sagt SPD-Bundestagsabgeordnete Annika Klose der taz, die als parlamentarische Beobachterin die Pride begleitete.

Breite Solidarität auch auf CSD in Eberswalde

Dass die gewalttätigen Attacken in Bad Freienwalde nicht zuletzt linkes und queeres Mobilisierungspotenzial freigesetzt hat, zeigte sich am Samstagnachmittag auch beim CSD in Eberswalde. Mindestens 2.000 Menschen zogen bei der erst zweiten Pride der Stadt im Norden Berlins vom Hauptbahnhof einmal quer durchs Zentrum. Zahlreiche De­mons­tran­t:in­nen waren dabei trotz des parallel dazu stattfindenden Marzahn Pride aus Berlin angereist, darunter auch Ex-Kultursenator Klaus Lederer, inzwischen queerpolitischer Sprecher der Linksfraktion im Abgeordnetenhaus.

Auf dem Marktplatz veranstaltete AfD zeitgleich ein sogenanntes Sommerfest. Eine trostlose Zusammenkunft von kaum mehr als 50 Leuten. Als der CSD unter der Parole „Ganz Eberswalde hasst die AfD“ – durch Polizeigitter von der Veranstaltung getrennt – am Marktplatz vorbeizog, präsentierte gerade ein Liedermacher seine musikalischen Zumutungen. Viel zu hören war davon dann nicht mehr.

Vereinzelt sammelten sich an einigen Ecken der Strecke zwar deutlich erkennbare Teenie-Nazis mit verschränkten Armen. Anders als vorab befürchtet, blieben Angriffe auf den Zug aber aus. Der CSD durch die weitgehend leeren Straßen von Eberswalde wurde indes auch von einem großen Polizeiaufgebot begleitet. „Der Zug ist laut, aber er ist friedlich“, erklärte ein Sprecher der Brandenburger Polizei.

Wichtig für Marzahn ist auch die politische Rückendeckung. Berlins Sozialsenatorin Cansel Kiziltepe (SPD) findet vergangen Woche deutlich Worte gegen den Neonazi-Aufmarsch. Jeder Angriff auf Queere und andere marginalisierte Gruppen sei ein „direkter Angriff auf unsere Gesellschaft, auf unsere Werte und auf unsere Demokratie“, sagte Kiziltepe vor dem CSD.

Alltag und Bedrohung in Marzahn

Doch gehören queerfeindliche Bedrohungen für die meisten auch hier in Berlin zum Alltag – und das nicht erst seit die AfD in Marzahn-Hellersdorf bei der Bundestagswahl Anfang des Jahres zur stärksten Kraft gewählt wurde. „In Berlin zu Leben ist ein Privileg. Aber die Stimmung gegen uns ist aggressiver geworden“, sagt ein Quarteera-Mitglied. Sie ist aus Russland geflohen und lebt in Marzahn mit ihrer Freundin.

Das politische Selbstverständnis der Pride teilen auch die Teil­neh­me­r:in­nen. „Früher waren CSDs noch ein großes Fest ohne viel Polizei. Heute geht es darum, Farbe zu bekennen“, sagt etwa Anette, die selbst heterosexuell ist und zum ersten Mal in Marzahn mitläuft. Ein anderer Teilnehmer spricht von einem „Rückschritt grundlegender Menschenrechte, der einfach nur Angst macht“ und der ihn als Transmann direkt betreffe.

Auf dem CSD-Fest am Victor-Klemperer-Platz betont auch Berlins Queerbeauftragter Alfonso Pantisano die notwendige Verteidigung von sexueller Vielfalt und appelliert zugleich an die Geschlossenheit migrantischer und queerer Gruppen: „Wir müssen füreinander da sein. Trans für BIPoCs und BIPocs für Trans“. Doch und gerade auch der Schutz von Minderheitenrechte sei Aufgabe der Politik, so Alfonso.

Solange queeres Leben Bedrohungen ausgesetzt ist, brauchen auch künftige CSDs den Schutz von Zivilgesellschaft, Polizei und Politik. Und gerade aus der Politik, da könnten sich gern noch mehr und auch gewichtigere Stimmen zu Wort melden.

Mitarbeit: Rainer Rutz

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

1 Kommentar

 / 
  • Wie ein gut organisierter, friedlicher & bunter CSD abläuft, konnte man in Oldenburg ( Oldenburg ) in Niedersachsen miterleben. Hier begangen zwischen 10.000 - 15.000 Bürger gemeinsam friedlich am Samstag einen gelungenen CSD. Gesprächsthema war selbstverständlich auch noch immer Lorenz, der durch Todesschüsse von einem Polizisten, in der Nacht zum 20. April von hinten erschossen wurde. Noch sind keine Ergebnisse der Untersuchungen bezüglich des Polizisten über eventuelle Kontakte zu rechtsextremisten Personen, Parteien, Organisationen bekannt gegeben worden. Die Auswertungen und Ermittlungen dauern noch an. Gründliche Ermittlungen dauern halt ihre Zeit. Leider gibt es dadurch immer mehr Raum für Spekulationen innerhalb der Bevölkerung Oldenburgs, gerade was eben auch das private Umfeld des Polizeibeamten betrifft.