Demonstrationen in Ungarn: Orbán immer unglaubwürdiger
Die Proteste in Budapest richten sich nicht nur gegen die äußerlich maroden Zustände im Bildungssystem. Orbáns Propaganda kommt immer weniger an.
E ndlich mal erfreuliche Nachrichten aus Ungarn: Zehntausende ziehen in Budapest auf die Straße, um ihrem Unmut über die Bildungspolitik Luft zu machen. Die ist wahrlich wenig rühmlich für die Regierung von Viktor Orbán. Vor allem die Schulen sind in einem desolaten Zustand sowohl bezüglich der Ausstattung als auch der Lehrkräfte: Völlig überfordert und chronisch unterbezahlt dürfen sie nicht mehr streiken und müssen sich mit einer aufgeblasenen Bürokratie herumschlagen.
Wer protestiert, wird kurzerhand gefeuert. Doch bei den Protesten geht es nicht nur um ein paar Forint mehr für die Lehrer*innen oder darum, Schulen mit Schwämmen und Toilettenpapier auszustatten. Denn das Vorgehen der Regierung folgt auch noch anderen Gesetzmäßigkeiten. Für Orbán und seine Getreuen ist Bildung vor allem auch ein Politikum.
So ist es auch kein Zufall, dass dieser Bereich seit der Wahl im vergangenen April – Orbán und seine Fidesz besorgten sich eine Zweidrittelmehrmeit im Parlament – dem Innenministerium untersteht. So kann das nationalistisch grundierte „Ungarn-zuerst-Programm“ direkt durchgereicht werden. Junge Menschen zu kritischen, eigenständig denkenden Staatsbürgerinnen erziehen? Gehört nicht zum Lehrplan.
Wir erinnern uns an die Central European University des US-Milliardärs George Soros, die Orbán 2019 des Landes verwies. Besonders perfide ist, dass die Regierung der Bevölkerung die Politik als Folge von EU-Entscheidungen zu verkaufen versucht. Dabei geht es um Fördergelder, die Brüssel nicht an Ungarn auszahlen will. Dass der Grund dafür die korrupten Machenschaften von Orbán und seiner Entourage sind – nun ja.
Ob diese gewohnt platte Anti-EU-Rhetorik bei den Menschen noch verfängt, ist jedoch fraglich angesichts der großen Enttäuschung, die sich angestaut hat, und der Tatsache, dass Verbesserungen nicht in Sicht sind. Es könnte auch in Budapest ein heißer Herbst werden.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Greenpeace-Mitarbeiter über Aufrüstung
„Das 2-Prozent-Ziel ist willkürlich gesetzt“
Keith Kelloggs Wege aus dem Krieg
Immer für eine Überraschung gut
Ampel-Intrige der FDP
Jetzt reicht es sogar Strack-Zimmermann
Rauchverbot in der Europäischen Union
Die EU qualmt weiter
Antisemitismus in Berlin
Höchststand gemessen
Rechtspopulistinnen in Europa
Rechts, weiblich, erfolgreich