Demonstration: Schüler für Schulreform
Rund 5.000 gehen für die Primarschule auf die Straße. Sechs Wochen vor dem Volksentscheid fordern sie die Umsetzung des Gesetzes.
Teilnehmer an der Schülerdemo für die Primarschule konnte man an den roten T-Shirts erkennen. Schon am Bahnhof Rahlstedt steht ein Grüppchen. "Ja, wir wollen zur Demo, aber wir sind nur vier von unserer Schule", sagt Gymnasiast Robin. Die Schulreform sei für die, die es nicht so gut haben. "Ich finde, als Gymnasiast habe ich moralisch nicht das Recht, dagegen zu sein."
Er ist Klassensprecher einer 10. Klasse, habe im Schülerrat beantragt, an diesem Morgen eine Vollversammlung einzuberufen, um gemeinsam zur Demo zu gehen. "Doch unsere Schulsprecher wollten das nicht."
Am T-Shirt hat Neuntklässler Marius in Robin einen Mitstreiter erkannt, nun fahren sie zusammen. "Ich fand es erschütternd, als die Grundschulzeit vorbei war und viele Freunde von mir nicht aufs Gymnasium kamen", sagt Marius. "Zwei Jahre länger, und sie hätten den Sprung geschafft." Hätte er nicht von den Eltern Hilfe gehabt, ergänzt Robin, hätte auch er nicht aufs Gymnasium gekonnt. Und zum Volksentscheid: "Leider darf ich nicht wählen."
Hauptbahnhof kurz vor zehn. "Ob die Polizei uns rausgreift mit den T-Shirts, wie Fans beim Fußball", überlegt Robin. Ein Blick auf den Besenbinderhof beruhigt. Hier sind schon 1.500 Schüler rot gewandet, später werden es 5.000 sein. Eine Schülerband probt auf dem Lautsprecherwagen. Nora kommt von der Gesamtschule Winterhude. "Wir sind schon Reformschule mit individualisiertem Lernen", sagt die 13-Jährige. "Und wir denken, das ist für alle anderen auch schön." Tilman kommt von der Ida-Ehre-Gesamtschule, trägt ein provokatives Plakat: "elitäre, erzkonservative Wixxer". Erst Realschule, dann Gymnasium, er habe "viele Schulwechsel gehabt", bevor er an die Gesamtschule kam. Gemeinsames Lernen sei "gut für den Gruppenverband".
Julius-Leber, Erich-Kästner, Max-Brauer, viele Gesamt- und Berufsschulen sind vertreten, allein 100 Schüler kommen von der Gewerbeschule 17 in Wilhelmsburg. "Ein großer Teil unserer Schüler wünscht die Reform", sagt Schulsprecher Matthias. "Sie erleichtert es, Abitur zu machen."
"Ich bin alleine da. Mein Gymnasium ist eher konservativ", sagt eine Schülerin aus Wandsbek, die ein Transparent der Grünen Jugend trägt. Ihren Namen will sie nicht in der Zeitung sehen. Offen für die Demo engagiert haben sich Schulsprecher am Carl-von-Ozzietzky-Gymnasiums. Dort gab es andere Probleme. "Uns wurde gesagt, wir dürfen die T-Shirts auf dem Schulgelände weder verteilen noch tragen", sagt Schulsprecher Friedtjof. Ein paar hätten es trotzdem getan und beim Betreten des Verwaltungstrakts eine Jacke übergezogen. Die Schulleitung war gestern für eine Stellungnahme nicht zu erreichen. "Dieser Vorfall zeigt, welcher Druck auf Schulleitungen lastet", sagt Schülerkammersprecher Frederic Rupprecht. Reformgegner hatten der Behörde unterstellt, sie würde zu lasch vorgehen. Beim Bildungsstreik vor einem Jahr gab es auch T-Shirts. "Da wäre so etwas nicht passiert."
Die Schulbehörde hatte darauf hingewiesen, dass Plakate mit politischer Werbung an Schulen nicht zulässig seien. Ob das auch für Kleidung zutrifft - dazu sagte sie am Donnerstag nichts. Ein Grundsatzurteil gab es 1981 in Bayern. Der dortige Volksgerichtshof entschied im Fall einer Schülerin, die eine Stopp-Strauss-Plakette trug, dass das Grundrecht auf freie Meinungsäußerung auch in der Schule gilt.
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