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Demokratische Republik KongoM23-Rebellen nehmen Millionenstadt Goma ein

Die Regierungsarmee streckt die Waffen: Im Morgengrauen haben die von Ruanda unterstützten M23-Rebellen in der DR Kongo die Metropole Goma eingenommen.

An der Grenze zwischen Kongo und Ruanda, 27. Januar: Mitarbeiter von Hilfswerken und ihre Familien werden aus Goma evakuiert Foto: Jean Bizimana/reuters

Kampala taz | Es war um 3 Uhr Sonntagnacht, als das neueste von den M23-Rebellen (Bewegung des 23. März) gesetzte Ultimatum an Kongos Armee ablief. Sie forderten die Armee auf, in der belagerten Millionenstadt Goma die Waffen zu strecken. Kurz zuvor hatten sich die hohen Armeegeneräle per Boot über den Kivu-See Richtung Bukavu abgesetzt.

Einige Soldaten marschierten zur UN-Basis am Seeufer, händigten den uruguayischen UN-Blauhelmen ihre Waffen aus und ließen ihre Namen und Waffennummern in ein dickes blaues Buch eintragen. Selbst die osteuropäischen Ausbilder, die Kongos Armee trainieren und von der M23 als Söldner bezeichnet werden, ergaben sich. Sie bedeckten ihre Fahrzeuge mit weißen Bettlaken als Zeichen und suchten in den gesicherten UN-Basen Schutz.

Im Morgengrauen marschierten dann am Montag die M23-Rebellen in Goma ein. Videos von Einwohnern zeigen, wie sie in langen Kolonnen, ihr Marschgepäck geschultert, am Internationalen Flughafen vorbei hinunter in Richtung Stadtzentrum marschieren.

„Die Befreiung wurde erfolgreich ausgeführt“

Die wichtigste Stadt im Osten der Demokratischen Republik Kongo ist nun wieder in Rebellenhand – die M23 hatte bereits 2012 Goma erobert und zehn Tage lang besetzt, damit zwangen sie Kongos Regierung damals an den Verhandlungstisch.

„Wir mahnen alle Einwohner Gomas, Ruhe zu bewahren“, heißt es am Montag früh in einer Erklärung von M23-Sprecher Lawrence Kanyuka: „Die Befreiung Gomas wurde erfolgreich ausgeführt – die Lage ist unter Kontrolle.“

Für die südafrikanischen Eingreiftruppen ist das eine komplette Blamage. Die Regionalorganisation SADC (Südafrikanische Entwicklungsgemeinschaft) hat rund 3.000 Soldaten aus Südafrika, Tansania und Malawi in Goma stationiert, um die Stadt zu verteidigen.

Doch sie mussten in der vergangenen Woche, als die M23 auf Goma vorrückte, schwere Verluste hinnehmen. Neun Südafrikaner sind an der Front gefallen. Als „Desaster“ bezeichnete Chris Hattingh, verteidigungspolitischer Sprecher der liberalen DA (Democratic Alliance) in Südafrika, die Militäroperation in der DR Kongo. „Wir hätten nie dort hingehen sollen“.

Als die M23-Rebellen am Sonntag im Anmarsch auf Goma den Luftraum über der Stadt schloss, konnten die SADC-Truppen nicht mehr über den Flughafen mit Nachschub versorgt werden. Bereits am Nachmittag ging ihnen nach südafrikanischen Berichten die Munition aus. Es mangelte ihnen selbst an Sandsäcken, um sich vor Geschossen zu schützen, so Hattingh. Jetzt verhandelt Südafrikas Militär mit der M23-Führung und Ruandas Regierung über ihre Heimkehr per Flugzeug aus Kigali.

Nur langsam wagen sich die über eine Million Einwohner Gomas am Montagmorgen aus ihren Häusern. Die Unsicherheit ist groß. In der Nacht waren von allen Seiten immer wieder Schüsse zu hören. Kleinkriminelle und Mitglieder der zahlreichen „patriotischen“ Milizen, die Seite an Seite mit Kongos Armee gekämpft hatten und jetzt ihre Waffen ablegen sollen, fingen an zu plündern. Die Türen des Zentralgefängnisses in Goma wurden geöffnet, abertausende Insassen befreit.

In einigen Stadtvierteln strömen am späten Vormittag letztlich Menschen auf die Straßen, als sie die M23-Kämpfer marschieren sehen. Viele jubeln ihnen zu. Sie hoffen, dass das Leben nun wieder einfacher werden könnte.

Gomas Bevölkerung von bis zu zwei Millionen Menschen leidet seit über einem Jahr, seitdem die M23-Rebellen die Überlandstraßen rings um Goma unter Kontrolle hat. Die Stadt ist seitdem vom kongolesischen Umland abgeschnitten, Lebensmittelpreise sind ins Unermessliche gestiegen, die Märkte sind weitestgehend leer. Aus den umkämpften Gebieten waren Vertriebene gen Goma geströmt und hausten in Elendslagern.

Seit vergangener Woche gibt es auch keinen Strom und damit auch kein fließendes Wasser mehr in Goma, weil die Überlandleitungen beschädigt sind und die Wasserwerke Energie benötigen, Wasser aus dem See zu pumpen.

Obwohl im Hintergrund ab und zu Schüsse zu hören sind, zeigen gefilmte Handy-Videos auf X, wie Menschen, darunter Frauen und Kinder, am frühen Morgen am Flughafen von Goma Säcke voller Lebensmittel aus Warenhäusern stehlen.

Ruanda nimmt UN-Mitarbeiter auf

Am Grenzübergang zum Nachbarland Ruanda herrscht im Morgengrauen bereits reger Verkehr. Ruandas Regierung hat zahlreiche Reisebusse an den Grenzposten entsendet, um fliehende UN-Mitarbeiter und deren Familien aufzunehmen.

Kongolesen, die es sich leisten können, haben in den vergangenen Tagen bereits Goma verlassen und suchen sich nun eine Herberge in den Nachbarländern Ruanda, Burundi, Uganda oder gar Kenia.

„Nach Konsultationen mit den Staatschefs der EAC-Mitgliedstaaten werden wir in den nächsten 48 Stunden einen außerordentlichen Gipfel einberufen, um das weitere Vorgehen festzulegen“, verkündet am Montagmorgen Kenias Präsident William Ruto.

International herrscht Alarmbereitschaft

Montagmittag meldeten ruandische Medien, die ruandische Grenzstadt Gisenyi direkt neben Goma sei unter Beschuss geraten. Die ruandische Armee bestätigte fünf Tote und 25 Verletzte. Ruandas Luftabwehrsystem wehrte weitere Geschosse ab.

International herrscht höchste Alarmbereitschaft. Am Sonntagabend tagte in New York der UN-Sicherheitsrat in einer Dringlichkeitssitzung über die Lage. UN-Generalsekretär António Guterres verurteilte den M23-Vormarsch auf Goma „aufs Schärfste“ und forderte Ruanda unmissverständlich auf, sich aus Kongos Staatsgebiet zurückzuziehen.

Kongos Außenministerin beschuldigte Ruanda, systematisch Kongos Rohstoffe zu plündern. Ruandas Regierung konterte, die irregulären Milizen und fremden Truppen im Osten der DR Kongo stellten ein Sicherheitsrisiko für Ruanda dar. „Fehlgeleitete oder manipulative Aussagen bringen keine Lösung“, heißt es in einer Erklärung aus Kigali. Am Mittwoch soll ein Ostafrika-Sondergipfel stattfinden – mit den Präsidenten Kongos und Ruandas.

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