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DemografieEs wird Zeit, reichen Rentner-Boomern ins Gewissen zu reden

Wohlhabende Boomer, die in Rente gehen, sollten länger arbeiten. Denn es muss eine solidarische Bewegung der reichen Alten mit den armen Alten entstehen.

Sollten Boomer länger weiterarbeiten als vorgeschrieben? Foto: Alexander Volkmann/FUNKE/imago

R entenpaket, Krankenhausreform, Kollaps der Pflegeversicherung, Demografie – gerade kochen diese Themen wieder hoch. Je mehr von den in den Boomerjahren von 1951 bis 1969 Geborenen in Rente gehen, desto näher die Generationenrevolte. Denn einen Großteil der Kosten– für die Alten sollen die jüngeren Generationen der Arbeitnehmenden schultern durch die umlagefinanzierten Sicherungssysteme. Ist Fakt. Und an sich ja nicht falsch: Jüngere zahlen für die Alten, wie früher die Alten für die Jungen. Nur gibt es immer weniger Jüngere und immer mehr Alte.

Die steuerfinanzierten Rentenzuschüsse, die die Staatskasse deshalb leisten muss, steigen immer weiter. 2024 sind es 127,3 Milliarden Euro, das ist über ein Viertel des Bundeshaushaltes. Und auch die Krankenkassenbeiträge werden weiter steigen, die Pflegeversicherung wird unbezahlbar.

Hinzu kommt, dass es, sobald die Boomer aufs Altenteil gehen, Leerstellen geben wird im wirtschaftlichen, dienstleistungsbezogenen, bildenden, produzierenden Gefüge, die nicht so einfach zu schließen sind, weil schlicht die Leute fehlen.

Orchestriert wird die Lösung dieses Problems einerseits damit, dass junge Gutqualifizierte aus anderen Ländern angeworben werden sollen und andererseits mit brachialem Ausländerfeindlichkeitssprech. Das passt nicht zusammen.

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CDU, CSU und FDP spielen, anders als die rechten Parteien, die ausschließlich den Ausländerhass schüren, die oben erwähnten, sich widersprechenden Karten gleichzeitig aus. Sie sagen, die Mi­gran­t*in­nen seien an allem schuld und im selben Atemzug, wir brauchen Migrant*innen, damit die Wirtschaftsmaschine brummt und die Alten versorgt werden. Was jetzt?

Wenn es um die zukünftige Finanzierung der Renten, der Arzt- und Pflegekosten geht, doktert die Politik ebenfalls nur herum. Mit Beitragserhöhungen bei den Jungen und Rentenkürzungen bei den Alten. Die FDP denkt, die Mütterrente kann weg, mit der einst auf das Armutsrisiko bei Frauen reagiert wurde. Selbstverliebte Neoliberale glauben zudem, dass der Aktienmarkt, diese eierlegende Wollmilchsau, das Rentenproblem lösen wird. Bisschen Geld anlegen und zack, schon gibt es Rendite, die in die Kasse der Rentenversicherung fließen kann – in hundert Jahren vielleicht.

Das Aufgeführte soll skizzieren, wie eingefahren in der Politik gedacht wird. Keine neuen Ideen in Sicht. Die Armen sollen ärmer werden, die Reichen reicher. Friedrich Merz nannte die Reichen kürzlich die „Leistungsträger“ in der Gesellschaft, denen nicht an den Geldbeutel gegangen werden soll. So verhöhnt er alle anderen, die für weniger schuften und auch in Rente weiterarbeiten, weil diese nicht reicht.

Merz scheint der Letzte, dessen Blick auf die fällt, die sich im Windschatten der Umverteilungsdebatte verstecken: Die nämlich, die von Rente und ihren sonstigen Einnahmen im Alter hervorragend leben können.

Es kann nicht darum gehen, eine Neiddebatte auszulösen, vielmehr muss bei den Boomern, die zukünftig sehr gut von der Rente leben können, die Einsicht reifen, dass sie länger als vorgeschrieben weiterarbeiten – zu ganz normalen Konditionen, ohne gleichzeitig Rente zu beziehen. Sie zögern den Bezug also heraus.

Das ist ihr Geschenk an die Gemeinschaft. Denn es muss eine solidarische Bewegung der reichen Alten mit den armen Alten entstehen. Rechtlich mag das nicht durchsetzbar sein, moralisch schon. Und Po­li­ti­ke­r*in­nen könnten den Solidaritätsgedanken beschwören, nur haben sie das zwischenzeitlich verlernt.

Für Beamte müsste der Solidaritätsgedanke übrigens erst recht gelten. Zumal sie, solange es ums Nehmen geht, Nutznießende sind. Sie zahlen nicht in die Rentenversicherung ein, ihre Pensionen, die höher sind als die Rente, werden direkt von Steuermitteln gedeckt.

Mehr als ein Viertel der Rent­ne­r*in­nen erhält unter 1.000 Euro im Monat. Es scheint den Po­li­ti­ke­r*in­nen leichter, denen, die arm sind, zu erklären, dass ihre Rente zukünftig gekürzt werden muss, als den Wohlhabenden, dass ihr Wohlstand verpflichtet. Sollte man nicht mehr Fantasie erwarten können?

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taz-Redakteurin
Seit 2002 bei der taz, erst im Lokalteil, jetzt in der Wochentaz. 2005 mit dem Theodor-Wolff-Preis ausgezeichnet für die Reportage „Schön ist das nicht“, 2011 wurde die Reportage „Die Extraklasse“  mehrfach prämiert. 2021 erschien ihr Roman "Brombeerkind" im Ulrike Helmer Verlag. Es ist ein Hoffnungsroman.
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