Demo in Tegel: Protest mit rasendem Blutdruck
300 Anwohner demonstrieren am Flughafen Tegel gegen Fluglärm und die Diskussion um eine verlängerte Öffnung über den BER-Start hinaus.
Der Fluglärm rund um den Flughafen Tegel TXL bringt die Leute im Norden zunehmend auf. Mehr als 300 Menschen kamen am Samstag zum Gate A, um ein Nachtflugverbot zu fordern – dreimal so viel wie früher. „Abendrot – Morgenrot, und dazwischen Flugverbot“, rufen sie. Fluggäste gucken irritiert. TXL-Angestellte lachen. Einer, der nach Peking fliegen will, versteht’s: „Klar, für die Anwohner ist das fies. Denen holt es ja Ziegel vom Dach.“
Seit der verpatzten Eröffnung am BER in Schönefeld gehen vermehrt Flüge von TXL ab – ein Flughafen, um den mehr als 200.000 Menschen wohnen. „Ich halte es nicht mehr aus“, sagt Marion Schulz. Für die Reinickendorferin ist es die erste Demo ihres Lebens. Schulz ist über 60. „Wir haben den Politikern vertraut. Sie sagen, der Krach hört auf, stattdessen wird alles schlimmer“, sagt der Mann neben ihr. „Mein Blutdruck: 190.“
Bis Juni 2012 galt die Nachtruhe von 22 bis 6 Uhr. Seither wird mit Ausnahmegenehmigungen mehr geflogen. Die Weltgesundheitsorganisation empfiehlt als Maximalpegel 45 Dezibel. In Berlin gelten 55 Dezibel. AnwohnerInnen rund um Tegel bekommen selbst dann kaum Schallschutzmaßnahmen finanziert, wenn dieser Grenzwert überschritten ist: Die Lärmschutznovellierung von 2007 enthält einen Passus, demzufolge um Flughäfen, die demnächst stillgelegt werden, keine neuen Maßnahmen ausgewiesen werden.
Der Protest am TXL wird auch von AnwohnerInnen des neuen Flughafens BER unterstützt. „Es geht um Solidarität“, sagt ein Potsdamer. Wie die Politik mit den Menschen rund um Tegel umgehe, lasse nichts Gutes ahnen. „Wenn der Flughafen geschlossen ist, dann ist es ruhig“, sagt die stellvertretende Pressesprecherin der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umwelt am Telefon. Wann? „Wissen wir nicht.“ Der erweiterte Betrieb in Tegel sei notwendig, weil sonst „viele Millionen Menschen Nachteile haben“, sagt sie.
„Wir müssen klagen“, sagt Petra Fuchs, die erste Spandauerin, die es tut. „Ungeheuerlich“, meint eine andere Demonstrantin, dass die Politik eine gesellschaftliche Aufgabe darin sieht, Fluggesellschaften rund um die Uhr starten und landen zu lassen, nicht aber im Schutz der Bevölkerung. „Die Folgen des Fluglärms werden individualisiert. Wir sind doch keine Spinner, die zum Spaß hier demonstrieren – wir sind verzweifelt.“
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