piwik no script img

Demo in Bonn gegen AntisemitismusHaste mal ne Kippa?!

Mehrere hundert Menschen sind zum „Tag der Kippa“ in Bonn auf die Straße gegangen. Vergangene Woche ist hier ein jüdischer Professor angegriffen worden.

Mit dem „Tag der Kippa“ reagierte Bonn auf den Angriffe auf den jüdischen Gastforscher Foto: dpa

Bonn taz | Am Mittwoch Nachmittag füllt sich der Marktplatz vor dem Alten Rathaus in Bonn: Menschen mit heller Haut, Menschen mit dunkler Haut, Menschen mit langem Bart und Sonnenbrille, Menschen mit Kreuzen um den Hals, Menschen mit Plakaten. Und vor allem: Menschen mit runden Käppchen. So viele runde Käppchen, ob zur Sonnenbrille oder zum Kreuz, egal: Es ist der “Tag der Kippa“ in Bonn. Deshalb sind nach Polizeiangaben rund 500 Menschen hier zusammengekommen.

Die Stadt Bonn hatte den „Tag der Kippa“ ursprünglich für November geplant. Aber nun hat sie ihn vorgezogen, nachdem in der vergangenen Woche der israelische Professor Yitzhak Melamed wegen seiner Kippa attackiert wurde. Ein 20-Jähriger ging ihn an, zunächst verbal, dann tätlich. Während er Meladem schlug, rief er: “Kein Jude in Deutschland!“ Die Polizei kam zu Hilfe, hielt aber Meladem für den Täter. Polizisten brachten ihn zu Boden und, als er sich wehrte, schlug ihm einer der Beamten ins Gesicht. Meladem war geladener Gast in Bonn. Eigentlich lehrt Philosophie an der John-Hopkins-Universität in den USA.

Was passiert ist, hätte nicht passieren dürfen, sagen die Leute auf dem Marktplatz. „Dass irgendjemand wegen seiner Religionszugehörigkeit geschlagen, bespuckt oder sonst wie diskriminiert wird, finde ich unglaublich“, sagt die Berufsschullehrerin Maria-Theresia Schewick. “Ich hätte nie für möglich gehalten, dass Antisemitismus hier so ausgelebt werden kann.“

Oberbürgermeister Ashok Sridharan (CDU) sagt an die Adresse von Yitzhak Melamed gewandt, Bonn sei eine weltoffene Stadt, in der er herzlich willkommen sei. „Bitte kommen Sie zurück nach Bonn“, lädt Sridharan den US-Forscher ein. Doch Melamed ist bereits abgereist. “Aber er freut sich sehr über die Initiative“, betont Sridharan.

Über tausend antisemitische Straftaten

Dass eine Kippa unter einem Hut versteckt oder eine Halskette mit jüdischen Symbolen unter einem Schal verborgen werden müsse, sei nicht hinnehmbar, meint der Bürgermeister. In Bonn sollten sich alle sicher fühlen. Aber: “Immer mehr Juden überlegen, nach Israel zu gehen“, gibt Sridharan zu bedenken. Von nun an werde er einmal im Jahr die Synagogengemeinde besuchen, verspricht er. Und dazu eine Kippa tragen. Die Leute nicken, einige rufen ihre Zustimmung.

Die Gewalt gegen Juden ist laut Statistik des Bundeskriminalamtes in Deutschland unverändert hoch. 1.453 antisemitische Straftaten hat es demnach 2017 gegeben. Vier pro Tag, doch die tatsächliche Zahl dürfte eher höher sein. Die Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus gibt allein für Berlin 947 antisemitische Straftaten im Jahr 2017 an.

Und auch der politische Hintergrund der Täter ist nicht geklärt: In einer Studie des Instituts für interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung der Universität Bielefeld gaben 81 Prozent der Opfer antisemitischer Gewalt an, dass die mutmaßlichen Täter einer “muslimischen Gruppe“ angehörten. In der Polizeistatistik hingegen heißt es, 95 Prozent der antisemitischen Straftaten kämen von rechts.

„Hat der Jude provoziert?“

„Ich bin heute auch hier, weil mir selbst sowas Ähnliches passiert ist“, sagt André Zöbisch und berührt seine Kippa. Der Christ mit jüdischen Wurzeln war mit Kippa bekleidet in Godesberg unterwegs.“Eine Gruppe junger Migranten hat mich bepöbelt. Eine Familie hat mich da raus bugsiert und die Polizei gerufen. Die erste Frage des Beamten war: 'Hat der Jude provoziert?’“

Welche Rolle die Bonner Polizei beim Angriff auf Meladem gespielt hat, ist noch zu klären. Zu der Verwechslung sei es gekommen, weil Meladem auch nach mehreren Aufforderungen der Beamten nicht stehengeblieben sei, so die Polizei. Die Bonner Polizeipräsidentin Ursula Brohl-Sowa sowie NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) haben sich bei Meladem für den Vorfall entschuldigt. Die Untersuchung führt aus Neutralitätsgründen aktuell die Kölner Polizei durch.

Antisemitismus im Netz vervierfacht

Nicht nur auf der Straße, auch im Netz ist es für Juden zunehmend unsicher. „In sozialen Netzwerken gehören antisemitische Hassreden mittlerweile zum Alltag“, sagt Margaret Traub, die Vorsitzende der Synagogengemeinde Bonn, die ebenfalls auf dem Marktplatz spricht. Dies bestätigt auch eine Langzeitstudie der Technischen Universität Berlin. Zwischen 2007 und 2018 habe sich die Zahl antisemitischer Äußerungen in Kommentarspalten vervierfacht. Fast kein Bereich des Netzes sei mehr frei von Antisemitismus.

“Mich macht es wütend und traurig, dass wir jetzt an diesem Punkt sind“, sagt der Student David H. „Ob die Gewalt von Islamisten ausgeht oder von Nazis – die kann man doch beide in eine Kiste schmeißen. Antisemitismus hat in Deutschland nichts zu suchen.“

Am Ende hat der Tag der Kippa in Bonn offiziell eine halbe Stunde gedauert. Eine halbe Stunde für eine friedliche Gesellschaft, Solidarität und Zusammenhalt. Eine Frau wischt sich die Tränen von den Augen. Manchmal ist eine halbe Stunde schon viel Zeit.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

11 Kommentare

 / 
Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

Wir machen Silvesterpause und schließen ab Montag die Kommentarfunktion für ein paar Tage.
  • "Polizisten brachten ihn zu Boden und, als er sich wehrte, schlug ihm einer der Beamten ins Gesicht."

    Das ist die Darstellung der Polizei, der Prof. Melamed mehrfach und ausdrücklich wiedersprochen hat. Mich wundert, dass gerade in der Taz diese Darstellung unhinterfragt und kommentarlos übernommen wird.

  • Ich halte überhaupt nichts von diesen Kippatragen-Solidaritätsdemonstrationen.

    Die Kippa steht für ein religiöses Bekenntnis, und das sollte im öffentlichen Raum diskret für sich behalten werden.

    Wer sich diesen Kokolores über die Jahrhunderte in Form religiöser Kopfbedeckungen anschauen möchte, dem sei folgende Seite empfohlen:

    www.dieter-philippi.de/index.php

    Hier noch ein passendes Zitat:

    " Für mich ist die unverfälschte jüdische Religion wie alle anderen Religionen eine Inkarnation des primitiven Aberglaubens."

    Albert Einstein

  • Der Professor, den der vorbestrafte Jungmann mit palästinensischer Herkunft aus diesem Land entfernt haben wollte, ist übrigens Professor für die Philosophie des Deutdchen Idealismus.

  • Was jetzt, heißt der Professor Meladem oder Melamed?

    • @Ein alter Kauz:

      er heißt Melamed und findet übrigens BDS gut.

      • @christine rölke-sommer:

        Ich hoffe jetzt nicht mehr.

        • @Nicky Arnstein:

          warum sollte er denn so blöde sein?!

  • 8G
    81331 (Profil gelöscht)

    ...warte auf den 'Tag gegen Rassismus', 'Tag gegen Sexismus', 'Tag gegen Altersarmut', 'Tag gegen Kinderarmut', 'Tag gegen Hartz IV', 'Tag gegen Umweltverschmutzung'... and it goes on and on and on.

  • Hier ein weiterer Bericht, der den ganzen Abgrund schildert:



    www.hagalil.com/2018/07/bonn-2/



    Gleichwohl, eine solche Demo in der "Hauptstadt" der BDS- Bewegung ist eine gute Sache.

    • @Günter:

      oh-oh!



      so simpel gestrickt sieht prof Melamed das nicht.

  • Diese Motivation auf dem Bild. Die Frau mit dem Plakat guckt so, als ob man sie dazu gezwungen hätte. Die zwei dahinter scheinen aber auch nicht so begeistert zu sein.