Demo am Brandenburger Tor: Ein Lehrgang im Skandieren
Elf Wochen nach dem russischen Angriff auf die Ukraine sind die Demos kleiner und kämpferischer. Darüber freuen sich die ukrainischen Geflüchteten.
Gar keine Frage, hier laufen wir mit, entscheidet Diana, die mit ihrem Mann Yan und den drei Kindern aus einer Stadt in der Nähe von Kyjiw geflohen ist. Sonst wirken Diana und Yan etwas brav. Sie checken zwar unablässig die News, reagieren aber eher müde als wütend, wenn es zum Beispiel ums Thema Waffenlieferungen geht.
Die kämpferischen jungen Leute, die vom Brandenburger Tor Richtung Potsdamer Platz unterwegs sind, scheinen ihnen trotzdem sehr zu gefallen. Hinter uns singen laut und schräg zwei junge Frauen mit John-Lennon-Brillen und übertrieben riesigen Plastikblumenkränzen in Blau und Gelb die ukrainische Nationalhymne. Neben uns läuft ein Mensch mit gelbem Lidschatten und höchstwahrscheinlich nichtbinärer Geschlechtsidentität.
Es wird geschrien
Überall wird laut getrommelt und geschrien, aber sowohl die Kinder der Gastfamilie (4, 4 und 7) als auch die eigenen (8 und 13) finden's toll – und auch Diana lächelt verschmitzt. Es bricht eine Art Lehrgang im Skandieren los: „Energie. Embargo. Jetzt“, ruft eine junge Frau mit rollendem r ins Megafon. Gar nicht so einfach, das schnell kindgerecht runterzubrechen und gleichzeitig zehnmal hintereinander laut zu rufen. „Keine Geschäfte mit Russland!“ Schon einfacher. “Putin is a killer!“ Kein Problem.
Rund elf Wochen nach dem russischen Angriff auf die Ukraine sind die Demos deutlich kleiner geworden. Am 27. Februar, drei Tage nach Kriegsbeginn, nahmen in Berlin mehr als hunderttausend Menschen an einer Kundgebung gegen den Angriff teil. Am 13. März, also zwei Wochen später, waren es noch mehrere zehntausend. Auch unsere Gastfamilie war dabei – mit eher langem Gesicht, weil sich die Demo verlief, weil es weder Trommeln noch Sprechchöre gab.
Am Sonntag waren nur noch 3.000 Teilnehmer*innen angemeldet. Laut Polizei schlossen sich mit etwa 450 deutlich weniger Menschen an. Aber schließlich kommt es nicht nur auf Masse, sondern auch auf Klasse an. Uns jedenfalls hat es gutgetan.
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