: Defizitverfahren gegen Deutschland offiziell
Neuverschuldung bringt Ärger: EU-Kommissar will Verfahren gegen Deutschland am 13. November beginnen. Portugal war gestern schon dran
BERLIN taz ■ Seit gestern ist es so gut wie offiziell: Gegen Deutschland wird ein Defizitverfahren eingeleitet. Beim Treffen der europäischen Finanzminister sagte Währungskommissar Pedro Solbes, es sei klar, dass Deutschland in diesem Jahr die 3-Prozent-Marke „weit überschreiten wird“. Derzeit kursiert in Brüssel als aktuellste Schätzung eine Neuverschuldung Deutschlands von 3,7 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. In diesem Fall „muss man mit einem Verfahren rechnen“. Das wird voraussichtlich am Mittwoch kommender Woche beginnen.
Gestern übten die Finanzminister schon mal das formelle Procedere und leiteten ein Verfahren gegen Portugal ein. Portugal machte im vergangenen Jahr Schulden in Höhe von mehr als 4 Prozent. „Deutlich über der Höchstgrenze“, befanden die EU-Minister, die in letzter Instanz bestimmen, ob mehr als 3 Prozent tatsächlich „übermäßig“ viel ist oder nicht.
Wie streng das Defizitkritierium letztlich gehandhabt wird – darüber herrscht nach wie vor Streit in der EU. Vor allem Eichel und sein französischer Kollege Francis Mer wollen die Arbeitslosigkeit und die Inflationsrate stärker berücksichtigt haben. Allerdings kann Solbes einen Teilsieg feiern, wenn gegen Deutschland nun tatsächlich ein Verfahren eröffnet wird.
Einig wurden sich die Finanzminster hingegen in einem anderen Punkt: Ein Börsenpass soll künftig den Zugang zu den Kapitalmärkten erheblich erleichtern. Sobald ein Unternehmen in einem der EU-Länder die Zulassung für die Ausgabe von Wertpapieren hat, ist ihm das auch in allen anderen Ländern gestattet. Der Ort der Zulassung darf frei gewählt werden – vorausgesetzt, die Schuldverschreibungen (für Aktien gilt die Regel nicht) werden in Paketen zu mindestens 5.000 Euro verkauft. Für Unternehmen ist es deshalb von Interesse, sich den Ort der Zulassung frei auszusuchen, weil sie sich dort auch prüfen lassen müssen. Und in einigen Ländern dauern solche Verfahren erheblich länger als in anderen.
Damit setzten sich Unternehmen und die Minister einiger Länder, darunter auch Hans Eichel, gegen die Kommission durch. Diese wollte die freie Wahl des Ausgabeorts erst ab einer Stückelung von 50.000 Euro erlauben. Die Neuregelung ist ein Schritt in Richtung einheitlicher europäischer Börsengesetze.
Wieder einmal nicht einigen konnten sich die Finanzminster auf Mindestsätze für Treibstoffsteuern und mögliche Ausnahmen für die Transportwirtschaft. Ein Grund: Eichel ist nicht mit dem Vorschlag einverstanden, die französischen Ausnahmen von der Dieselsteuer für Spediteure über das Jahresende hinaus zu verlängern. Es sei längst vereinbart, dass diese jetzt auslaufen sollten. Als besonders problematisch gilt auch die Abgrenzung möglicher Steuervorteile im Energiebereich von EU-weit unzulässigen Staatsbeihilfen. Mehrere Staaten verlangen, hier klare Grenzen zu setzen. Sonst könnte beispielsweise eine Bevorzugung alternativer Energien, wie sie die Bundesregierung vorsieht, bei den Steuern als verbotene Subvention gewertet werden. KATHARINA KOUFEN
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