Defizite in Unterkünften: Kein Geld, kaum Essen
Die Flüchtlingsinitiative und der Flüchtlingsrat beklagen Unterversorgung und „Mangelstrukturen“ in den Erstaufnahmestellen und Notunterkünften.
BREMEN taz | Schlimme Zustände in der Zentralen Flüchtlings-Erstaufnahmenstelle (Zast), seinen „Außenstellen“ und den Notunterkünften: Laut Flüchtlingsinitiative und Flüchtlingsrat Bremen werden die dort untergebrachten Menschen nur unzureichend mit Nahrung versorgt.
„Vor allem schwangere Frauen sind dort ernsthaft unterversorgt“, sagt Gundula Oerter von der Flüchtlingsini. Das Essen entspreche nicht den Ernährungsgewohnheiten der Menschen, sei unausgewogen und überdies knapp bemessen: „Um 17.30 Uhr gibt es zwei Scheiben Brot, eine Scheibe Käse, eine Scheibe Wurst und ein Stück Butter – das ist alles und die letzte Mahlzeit des Tages“, sagt Oerter.
Käme man zehn Minuten zu spät zur Essensausgabe, gäb‘s gar nichts mehr. „Da wird nichts zurückgestellt.“ Manche Menschen würden sich ausschließlich von Wasser und Toastbrot ernähren. David Lukaßen, Sprecher der Sozialsenatorin, räumt lediglich ein, dass „späte Ankunftszeiten“ ein Problem darstellten, „wenn das Essen ausgegeben wurde und am späten Abend oder in der Nacht Personen eintreffen.“ Hier könne „nicht immer schnell genug reagiert werden.“
Dabei ist das Problem nicht neu: Bereits vor zwei Jahren hatte die Flüchtlingsinitiative gemeinsam mit dem Flüchtlingsrat und Medinetz Bremen, das sich um die Gesundheit von MigrantInnen kümmert, auf die mangelhafte Essensversorgung in der Zast aufmerksam gemacht.
Die Sozialbehörde reagierte damals: Die Essensausgabezeiten wurden von einer auf anderthalb Stunden verlängert und die Qualität des Essens sollte überprüft werden. Es habe damals, sagt Lukaßen, einen Wechsel im Bereich der Lieferanten und in der Zusammenstellung des Essens gegeben. Die Versorgung für die minderjährigen, unbegleiteten Flüchtlinge in den Notunterkünften sei seinerzeit ebenfalls umgestellt worden.
Die Flüchtlinge sind noch mehr auf eine vernünftige Grundversorgung angewiesen als im Jahr 2013, denn anders als damals müssen sie mittlerweile wochenlang auf das ihnen zustehende Taschengeld in Höhe von rund 140 Euro im Monat warten – von dem sie sich wenigstens selbst noch Essen kaufen könnten. „Mindestens vier Wochen“ dauere es aber, bis sie einen Termin beim zuständigen Sozialzentrum Süd bekämen, sagt Oerter, „und vorher gibt es auch kein Geld“.
Um die Wartezeiten zu verkürzen, habe in der vorletzten Woche eine Taschengeldauszahlung direkt in den Einrichtungen stattgefunden, sagt Lukaßen. Und Flüchtlinge, die noch kein Geld hätten, könnten Bedarfe in den Einrichtungen geltend machen.
Oerter weiß Gegenteiliges zu berichten: „Die Geflüchteten dürfen nicht einmal mehr selbst einen Termin beim Sozialamt machen.“ Sie würden in Terminlisten eingetragen und bekämen Bescheid, wenn sie an der Reihe seien. Menschen, die Bedarfe anmeldeten, würden von den Heimleitungen „einfach abgebügelt“, sagt sie. In der Alfred-Faust-Straße bekämen sie die Standardantwort: „Was wollen Sie denn – Sie haben doch ein Dach über dem Kopf und etwas zu Essen.“
Bei der Sozialbehörde heißt es dazu: „Wenn es Beschwerden gegen das Auftreten oder Äußerungen des Personals gibt, wird diesen nachgegangen und dann gegebenenfalls reagiert.“
Zuständig für die Erstanträge der Flüchtlinge ist das Sozialzentrum Süd, „weil das im Bezirk der Zast in der Alfred-Faust-Straße liegt“, sagt Marc Millies vom Flüchtlingsrat. Das bedeutet, dass das Sozialzentrum neben der Alfred-Faust-Straße auch für die „Zast-Außenstellen“ Bundeswehrhochhaus und Hempenweg zuständig ist sowie überdies für Flüchtlinge, die in einer der mittlerweile zahlreichen „Notunterkünfte“ untergebracht sind.
„Bereits am neunten Juli war das Sozialzentrum Süd für den kompletten Monat ausgebucht“, sagt Oerter. Flüchtlinge, die danach in Bremen angekommen sind, konnten also frühestens im August mit einem Termin rechnen.
„Es wurden und werden permanent Nachbesetzungen vorgenommen, mit denen in allen Bereichen möglichst schnell auf die steigenden Flüchtlingszahlen reagiert wird“, sagt Lukaßen dazu. „Durch Besetzungsverfahren, Krankheiten oder Wegbewerbungen kann es jedoch immer wieder zu Engpässen kommen.“ Hier werde „zeitnah reagiert und Verstärkungen erfolgen.“
„Mangelstrukturen“ nennt Marc Millies die Zustände, und die zeige sich an vielen Stellen: „Kinder, die in den Zasten oder Notunterkünften leben, kommen nicht in die Kita oder werden nicht eingeschult.“ Wichtige Post, teilweise mit Fristen von der Behörde oder vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, käme oft zu spät wan, weil sie stets zuerst an die Zast-Adresse ginge. „Seit Jahren versäumen es die Behörden, hier vernünftige Strukturen aufzubauen“, sagt Millies.
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