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Decode Tropicalismo

■ Klinisch moderne Latin-Variante: Rainer Trüby am Dienstag im Mojo

Mittlerweile hat der Freiburger DJ Rainer Trüby vier Veröffentlichungen unter dem Titel Glücklich compiliert. Brasilianisches aus Vergangenheit und Gegenwart, Samba und Bossa Nova, gemischt mit dem typischen Club-Sound, der als NuJazz bekannt wurde: Es geht um Zukunft und um Modernismus. Anders als bei den Latin-Varianten, die in offensiver, mitunter überladener Rhythmik und appellativen Bläsersätzen münden, etwa Salsa und Bogaloo, also anders als bei dem ins Politische umschlagenden Weckruf, mit dem seit Jahren das Hamburger DJ-Kollektiv Sonido Bestial begeistert, setzt Trüby auf das Zurückhaltende, Ausgeruhte.

Der Glücklich-Tropicalismus Trübys zeichnet eine klinische Moderne: Die Cover der Reihe sind rein weiß, die abgebildeten Volkswagen fungieren als Embleme eben des Glückversprechens, welches schließlich nicht mehr befriedigt als die Klischees brasilianischer Musik eh schon hergeben; und das auch, obwohl die Linernotes suggerieren, hier eben jenseits des karnevalesken Brasiliens endlich zum Wesen der Musik vorzudringen – „happy feeling that is essentially ,Glücklich'“. Als Idee absoluter Musik, als L'art pour l'art mag das funktionieren; und auch wenn Trüby als DJ genau darin ein Experte ist, repräsentiert die Inszenierung dieser Musik doch den Anspruch größerer Reichweite: „Cult success. Catch the vibe and get happy.“

Doch diese Musik ist anders als glücklich, verlangt ein dekodierendes Hören, das Trüby leider nicht nahelegt: Ist nicht der Käfer auf Volume I jener KdF-Wagen, der im Dritten Reich losrollte, um dann in Brasiliens Militärdiktatur weiterzufahren? Brasilien ist eben nicht sowohl Samba als auch soziales Unrecht, sondern Samba ist politisch-musikalischer Ausdruck der gesellschaftlichen Misere des Landes; und Bossa Nova, die verspätete musikalische Moderne Brasiliens, ist keine fröhliche, sondern melancholische Antwort auf eine gescheiterte Idee. Das einstige Traumreich der Lusiaden erwacht im Alptraum der Globalisierung: Die wachsende Armut geht zusammen mit dem wachsenden Reichtum des Landes.

Die einstige Idee einer Música Popular Brasileira wird mittlerweile von einer zweiten Kulturindus-trie verwaltet; auch in Brasilien gelten die Regeln kultureller Hegemonie. Vor einigen Jahren war es schick, die Abende bei Samba in den Favelas zu verbringen. Nun ziehen sich die einen in die Sicherheitszonen und Shopping Malls zurück, während die anderen dem Elend überlassen werden. Gleichwohl lässt sich kaum jemand von den Leitbildern des Neoliberalismus beeindrucken; der so genannte soziale Rassismus findet im Alltag paradoxerweise kaum Entsprechung.

Und genauso funktioniert eigentlich diese Musik, die immer eine Haltung ist, die mit „glücklich“ nichts zu tun hat. Trüby annulliert diese Haltung, indem er ihr mit Geschmack beikommen möchte. Aber er macht das zu gut und stilsicher, als dass dieser Abend versäumt werden sollte.

Roger Behrens

Dienstag, 22 Uhr, Mojo Club

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