Debutroman von Caroline Rosales: Habt mich gern
„Das Leben keiner Frau“ zeigt auf, wie Frauen den patriarchalen Leidensdruck einander über Generationen vererben.
Die Autorin Laurie Penny hat mal geschrieben, wenn alle Frauen dieser Erde morgen früh aufwachten und sich in ihren Körpern wirklich wohl und kraftvoll fühlten, würde die Weltwirtschaft über Nacht zusammenbrechen. Melanie Moosburger, die Hauptfigur in Caroline Rosales’ Debütroman „Das Leben keiner Frau“, ist weit davon entfernt, die Wirtschaftsordnung ins Wanken zu bringen. In ihrer Welt der Chanel-Taschen, Massagebürsten und Seidenkleider von Oscar de La Renta riecht alles nach weißen Blüten und Qual: Eine geschmackvoll ausgeleuchtete Konsumhölle, in der Frauen hart an sich arbeiten – und daran, dass man ihnen diese Arbeit bloß nicht anmerkt.
Laurie Penny ist 36 Jahre alt, die fiktive Melanie Moosburger gerade 50 geworden. Caroline Rosales, Jahrgang 1980, geboren in Bonn und Journalistin für Medien wie die Zeit, liegt altersmäßig zwischen beiden, womit man schon beim Thema des Romans (und einem ihrer großen Autorinnen-Themen überhaupt) wäre: dem nicht auszurottenden Konformitäts- und Attraktivitätsdruck, den die Gesellschaft auf Frauen allen Alters ausübt.
In ihrem Werk „Sexuell verfügbar“ von 2019 beschrieb Rosales autobiografisch grundiert den lebenslangen Drahtseilakt, als den sie das Frausein empfindet: Sei fickbar, aber nicht nuttig. Unterhaltsam, aber nur nicht frivol. Clever, aber nicht zu intelligent – das macht Männern nur Angst.
„Das Leben keiner Frau“ ist gewissermaßen die literarisierte Version dieses Buchs, mit einer Hauptfigur, die am Älterwerden zerbricht. Gleich zu Beginn des Romans stellt Melanie Moosburger fest, dass ihre Periode ausbleibt: Die Wechseljahre beginnen, das Leben ist – aus ihrer Sicht – vorbei. „Alte Frauen sind tragische Figuren“, hört man sie denken. „Sie fallen einem aggressiven Ageismus zum Opfer, der sie schon mit fünfzig für alt erklärt. Im urbanen gebildeten Milieu bespielen sie B-Seiten, planen Ausstellungen in winzigen Privatgalerien, esoterische Klangschalen-Seminare oder buchen eine ganz tolle Band aus Senegal für eine Geburtstagsparty, was immer ein bisschen nach Sextourismus riecht.“
Der 50. Geburtstag und das Leben danach
Man lernt Melanie am Abend ihres 50. Geburtstags kennen. Sie ist die Strahlendste und Betrunkenste im Raum, glücklich und zugleich voller Häme für einige ihrer Gäste aus dem Münchner Medienbetrieb. Im Laufe der kommenden vier Romanwochen wird man ihr, einer verdienten Feuilletonredakteurin, beim Entgleisen ihres Lebens zuschauen. Ihre Mutter, zu der sie ein kompliziertes Verhältnis pflegt, kommt ins Heim. Zwei Affären – eine egale, eine bedeutsame – enden fatal. Dazu fällt ihr zunehmend auf die Füße, was sie bisher für ihre feministische Superkraft, für ihr Antidot gegen das Verspießen und Verbittern gehalten hatte: ihre Lust auf Sex, Rausch, Maßlosigkeit.
Caroline Rosales: „Das Leben keiner Frau“. Ullstein, Berlin 2021, 240 Seiten, 22 Euro
Seit ihre große Liebe Laurent sie verlassen hat, sucht sie Liebe und findet nur Paranoia, ausgelöst durch Männer ihres Alters, die auf Frauen Mitte 20 schielen. „Mich kann es gar nicht geben“, denkt Melanie. „Denn so viel arbeiten kann doch niemand. So viel Sex haben, und das in meinem Alter. So viel nachdenken. So viel ausgehen. So viel erleben.“
Frauen über 40 werden entweder für asexuell erklärt oder fetischisiert, „Mrs. Robinson“ oder „Cougar“ (Silberlöwin) genannt. Und genau wegen dieser Klischeedarstellungen der „reifen Männerfresserin“ ärgert man sich zu Romanbeginn über die Frauenfigur, die da in französischer Lingerie auf ihren Partyflirt lauert. Ärgert sich über die gefühlt schon dutzendfach gesehene, gelesene Badewannenszene zum Einstieg, die einen möglichen Suizid Melanies andeutet, bevor die Vorgeschichte dieser Tragödie erzählt wird. Darüber, dass es sexlustige Ü-50-Frauen offenbar nur gut gecremt und top in Schuss gibt. Ein klitzekleines Bisschen ärgern einen sogar Melanies Klagen.
Denn immerhin ist sie eine Frau, bei der die ganze Selbstkasteiung Früchte trägt. Sie ist attraktiv, weiß, dünn, gebildet und wohlhabend, kreist aber so manisch um Fragen von Alter und fuckability, dass sie ihre Trümpfe bisweilen völlig aus dem Blick verliert. Die Menopause, da ist sie sicher, ist nämlich das Ass im Loser-Game.
Der Kampf ums Frauensiegertreppchen
Obwohl es natürlich wohlfeil wäre, eine Milieustudie (die der Roman auch irgendwie ist) dafür zu kritisieren, dass sie in einem bestimmtem Milieu (Bussi-Bussi-München) spielt, ist Melanies Privilegienvergessenheit manchmal kaum auszuhalten. Aber genau darin liegt auch viel Tragik: im Wissen, dass der Kampf ums große Frauensiegertreppchen nicht zu gewinnen ist, wenn sich schon die Beauty Queens mit Einfluss und Eigentumswohnung zum Sterben in die Wanne legen.
Melanies Charakter mag in seiner Anlage stereotyp sein, darf sich aber entwickeln, komplexer, reicher, zugleich sympathischer und unsympathischer werden: ein Mensch eben. Vor allem aber zeigt ihre Geschichte, wie Frauen den patriarchalen Leidensdruck einander über Generationen vererben wie ein schlimmes Trauma. Klar geht es im Roman auch um Männer, die allesamt rumlügende, rumvögelnde Enttäuschungen auf zwei Beinen sind.
Viel interessanter aber ist Melanies Verhältnis zu den Frauen ihres Lebens. Sie keilt gegen ihre Mutter, eine Siebziger-Feministin, die ihr wenig Liebe und viele Komplexe mit auf den Weg gab. Sie keilt gegen ihre Tochter Mona, die Strickjacken tragen und Hausfrau sein will, gegen die dicke, joviale Bekannte ihrer besten Freundin, gegen die pastellfarben gekleideten „Schnepfen“ auf einer Familienfeier.
Vor allem keilt sie gegen Eilika, eine junge Kollegin im Feuilleton, die sie in ihrer mühelosen Schönheit und Selbstsicherheit rasend macht. Als der Chefredakteur Eilika Melanies feministische Kolumne überträgt, sieht Melanie nicht nur sich selbst, sondern ihre gesamte Welt untergehen.
Denn Eilika ist der Prototyp einer neuen Autorinnengeneration, gleichzeitig ostentativ sexpositiv, im rechten Moment aber großäugig und niedlich; eine, die alles, was sich gut anfühlt, für „empowernd“ hält; „eine, die über die weiße Wohlstandshipsterblase in großen deutschen Städten lästert, auf Kunst-Prekariat macht, obwohl sie mit ihren nonbinären Buddys in den hundertzwanzig Quadratmetern wohnt, die ihre Eltern als Geldanlage gekauft haben“.
Ein leicht durchschaubares Girl als Kolumnistin
Auch Eilika zeichnet Rosales zuerst als Abziehbild, das sicher auch Leif Randt absegnen würde. Aber auch das hat seinen Zweck – weil Eilika die ziellose Wut ihrer älteren Vorgesetzten entlarvt. Melanie ist wütend darüber, dass Jugend und zeitgeistiges Charisma ein vermeintlich leicht durchschaubares Girl als Kolumnistin relevant machen. Gleichzeitig erinnert sie sich daran, wie sie selbst früher Charme einsetzte, um sich in die Welt der mächtigen Männer zu schmuggeln.
Melanie hasst nicht nur Eilika, sondern den Lifestyle-Feminismus des frühen 21. Jahrhunderts. Zum einen, weil sie dessen Bigotterie aufrichtig eklig findet. Aber zum anderen, weil sie zu alt ist, um seine Codes zu beherrschen, von seinen Annehmlichkeiten zu profitieren: Niemals hätte man ihr früher eine Kolumne über feministische Pornografie aus den Händen gerissen. Beide Frauen wollen Anerkennung in ihrem Traumjob – und spielen dasselbe Habt-mich-gern-Spiel, nur in unterschiedlicher Kleidung. Der Wille zur Komplizinnenschaft blitzt bei Melanie immer wieder auf, aber sie kriegt es nicht hin. Von klein auf hat sie gelernt, andere Frauen als Gefahr zu sehen.
Am Ende steht für Melanie die schlimme Erkenntnis: Sie, die geglaubt hat, die Selbstbestimmteste von allen zu sein, ist in ihrer Gefallsucht zur Karikatur geworden. Man könnte aber ebenso sagen: Dieselben Männer, die sie mit ihren Ansprüchen in den Wahnsinn getrieben haben, wollen sich der vermeintlich wahnsinnigen Alten entledigen.
Statt drauf zu kommen, dass sich Frauen lieber verbünden, als vom männlichen Goodwill abhängig zu sein, richten sich in „Das Leben keiner Frau“ Feministinnen aus drei Generationen gegenseitig zugrunde. Während die Typen einander zuprosten. Es ist das Leben keiner Frau – und jeder. Und, in gewisser Weise: ein richtig gutes Plädoyer für Frauensolidarität.
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