Album von Südafrikaner Garth Erasmus: Klagelieder ohne Pathos

Garth Erasmus ist ein indigener Künstler aus Cape Town. Sein Album „Threnody for the Khoisan“ bearbeitet die prekäre Geschichte seiner Gemeinschaft.

Garth Erasmus mit einigen Musiker:Innen

Garth Erasmus, ganz links, mit Ruth May, Stefan Schneider und anderen MusikerInnen beim Raketenfestival in Hombroich Foto: Schiko

Am Anfang von Garth Erasmus’ Musikkarriere stand ein Ausnahmezustand: Nachdem es landesweit studentische Unruhen gegeben hatte, ließ das damals amtierende südafrikanische Apartheidsregime im Juli 1985 per Notrecht sämtliche Lehreinrichtungen schließen.

Dies betraf nicht nur die Universitäten, sondern auch alle Schulen. Garth Erasmus war als Kunstlehrer an einer Kapstädter Grundschule somit von einem Tag auf den anderen seiner Aufgaben entledigt. Kurzentschlossen ging er ins Museum – und sah dort zum ersten Mal alte Musikinstrumente, die der Khoisan-Kultur entstammten, seiner eigenen Gemeinschaft.

Besonders fasziniert war Erasmus von einem gebogenen Holzstück mit einer einzigen Saite und einem Kalebassen-Resonator. Ohne klangliche Referenz – denn das Instrument lag in einer Glasvitrine – beschloss er, dieses Objekt nachzubauen. Später kamen weitere Instrumente hinzu, und aus dem Kunsterzieher Garth Erasmus wurde ein Künstler, der sich indigenes Wissen neu aneignet, auf visueller wie auf klanglicher Ebene.

Stück für Stück im Homerecording

Um die Jahrtausendwende gründete Erasmus das aktivistische Trio Khoi Konnexion und wirkte weiter als Jazzmusiker und bildender Künstler in seiner südafrikanischen Heimat. „Threnody for the Khoisan“ ist nun sein Soloalbumdebüt. Er hat es Stück für Stück über das vergangene Jahrzehnt bei sich zu Hause in Kapstadt aufgenommen.

Garth Erasmus: „Threnody for the Khoisan“ (TAL/Morr Music)

Das selbstgebaute Bogeninstrument spielt in der Musik eine prominente Rolle, aber es kommen auch Klarinette, Kalimba, Altsaxophon, Percussion und Sequenzer zum Einsatz. Die Aufnahmen umfassen elegische Miniaturen, Ambient-Kleinode und minimalistische Vignetten. Bis auf ein Freejazz-Zwischenspiel mit dem Mailänder Percussionisten Andrea Dicò vollzieht sich alles in getragenem Gestus.

Die subtile Gangart und das Homerecording-Prinzip könnten darüber hinwegtäuschen, dass es sich bei „Threnody for the Khoisan“ um ein politisches Album handelt. So hören wir in „Morenga“ die Stimme von Chief Okkie Lewies, einem 2021 verstorbenen Anführer der Khoisan.

In Gedenken an Jacob Morenga

Das Stück ist zugleich Jacob Morenga gewidmet, der sich ab 1904 als Guerillakämpfer der deutschen „Schutztruppe“ im heutigen Namibia entgegenstellte. Erasmus geht es hier um den Sog historischer Traumata und die Leerstellen in der Geschichtsschreibung, „Evidence of Things Unseen“, wie er es im gleichnamigen Klavierstück fast kontemplativ ins Mikrofon spricht.

„Threnody“, das meint „Trauergesang“, und ein solcher ist die Musik dieses Albums. Die Khoisan waren zwar die frühesten Bewohner im südlichen Afrika, doch der offizielle Status als First Nation bleibt ihnen bis heute verwehrt. Als die Niederländer im 17. Jahrhundert als Kolonialherren ans Kap kamen, waren die Khoisan die ersten, die gegen sie kämpften.

Was dann passierte, lässt sich am Beispiel Kapstadt und Umgebung zeigen: Die Kap-Halbinsel ist dem afrikanischen Kontinent geologisch vorgelagert. Der Tafelberg, Wahrzeichen der Stadt, stand einst im Ozean, die Khoisan nennen ihn „Hoerikwaggo“, das heißt „aus dem Meer ragend“. Hier existieren weit über 1.000 Pflanzenarten, von denen viele nur an diesem einen, paradiesischen Ort vorkommen. Doch ein Großteil der Anpflanzung geht zurück auf eine Landwehr gegen die Viehweiden der Khoisan. Hecken, Wälle, Gräben und Bäume wurden streifenförmig angelegt, um die indigene Landnutzung zu unterbinden.

Flaches sandiges Gebiet

Noch heute sind die fruchtbaren Hänge des Tafelbergs mitsamt ertragreicher Weinbaugebiete überwiegend in weißem Besitz. Östlich der Innenstadt von Kapstadt erstrecken sich die sogenannten Cape Flats. Ehemaliger Meeresboden, flaches, sandiges Gebiet, das bis in die 1950er Jahre unbewohnt blieb, weil der Boden unfruchtbar ist.

Dorthin wurde die nicht-weiße Bevölkerung im Rahmen der Apartheidspolitik umgesiedelt. Hunderttausende Wellblechhütten stehen bis heute an einem Ort, an dem – so Erasmus in einem Interview – nichts fruchten kann, weder im übertragenen noch im konkreten Sinne.

Seit dem Ende der Apartheid im Jahr 1994 hat die regierende Partei African National Congress (ANC) eine Neuverteilung des Landes in Angriff genommen. Dabei wurden die Khoisan jedoch ausgeklammert, da ihre Ackerflächen nicht erst mit dem Natives Land Act von 1913 konfisziert wurden, sondern schon lange zuvor. Ferner sollte die Landrückgabe vornehmlich schwarzen Süd­afri­ka­ne­r:in­nen zugute kommen.

Alte Klassifizierung

Die Khoisan waren jedoch während der Apartheid als „Coloured“ klassifiziert. Weil der ANC bis heute an dieser Nomenklatur festhält, sind die Khoisan von politischen Maßnahmen zur Entschädigung bis jetzt weitgehend ausgenommen.

Selbst das Wort Khoisan ist eine Fremdzuschreibung. Der Begriff wurde in den 1920ern von dem deutschen Anthropologen Leonhardt Schultze geprägt, der versuchte, mehrere Stämme – darunter die Khoikhoi und San – als ethnisch-linguistische Gruppe zu beschreiben. Der Albumtitel „Threnody for the Khoisan“ antwortet, fast gänzlich ohne Pathos, mit einer Beschwörung von Geistern der Vorfahren, mit der Hoffnung auf spirituelle Heilung.

In diesem Zusammenhang berichtete Erasmus kürzlich von einem Besuch des niederländischen Königs Willem-Alexander in Südafrika. Im Vorfeld ging das Gerücht, dieser wolle sich für die holländischen Gräueltaten der Kolonialzeit entschuldigen. Erasmus war eingeladen, im Rahmenprogramm auf seinem Bogeninstrument zu spielen, welches die Khoisan ursprünglich zur Herstellung von Trancezuständen eingesetzt hatten.

Vom Geist ergriffen

Inmitten der königlichen Audienz wurde ein älterer Khoisan-Mann im Publikum vom Geist der Musik ergriffen, vokalisierte, taumelte und markierte die Situation – laut Erasmus ein kathartischer Moment. Nachvollziehbar in Tracks wie „Amaseh Amen“ und dem hypnotischen „Mcinci Song“. Erasmus gelingt es, subtile Stimmungen zu entfalten. Wer sich mit offenen Ohren auf seine Musik einlässt, wird tief hineingezogen in das pulsierende Summen und Kratzen der Instrumente, in ihr stilles, wütendes Lamento.

Garth Erasmus' feinsinniges Album erscheint beim Düsseldorfer Label TAL, und seine Musik passt erstaunlich gut dorthin. Labelbetreiber Stefan Schneider veröffentlicht auf TAL auch solo als Mapstation und kommt mit seinem europäischen Blick auf afrikanische Musik mitunter zu ähnlichen ästhetischen Lösungen.

Ebenso wie Peter Thiessen, dessen Hamburger Band Kante zusammen mit Garth Erasmus’ Khoi Konnexion 2018 für die Musikperformance „House of Falling Bones“ der unaufgearbeiteten deutschen Kolonialschuld im ehemaligen Südwestafrika nachging. Musik ist da schon weiter als die Politik und schafft tröstliche Begegnungen der Hemisphären.

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