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DebatteKyrillischer Kleinkram

Kommentar von Daniela Weingärtner

Der neue EU-Vertragsentwurf soll Europa handlungsfähig machen. Doch diesem Anspruch er nicht gerecht. Europas Einfluss in der Welt wird deshalb nicht wachsen.

Beim Gezänk um die Reform der Europäischen Verträge fällt es nicht immer leicht, den Überblick zu behalten. Wer sich vom Streit um "Ioannina-Klauseln" und "Opt-Outs" benebelt fühlt, der könnte beim Blick ins eigene Portemonnaie wieder Klarheit gewinnen. Denn die Münzen und Scheine der europäischen Einheitswährung führen bildlich vor Augen, worüber in Lissabon bis zur letzten Minute gefochten wird: Um die richtige Balance zwischen Einheit und Vielfalt.

Diese zwei Seiten der Medaille zeigen die Euro-Münzen. Vorne prangen zwölf Sterne, der Schriftzug "Euro" und die westeuropäische Landkarte, die bei künftigen Prägungen um Osteuropa erweitert werden soll. Auf der Rückseite finden sich je nach nationalem Gusto Musikinstrumente, Politikerköpfe oder gar Sprachen, die in der EU offiziell gar nicht zugelassen sind wie das moselfränkische "Letzebuerg" für Luxemburg. Ganz anders die Scheine: Sie sehen im ganzen Euro-Raum gleich aus und tragen den Schriftzug "Euro" in lateinischer und griechischer Schrift.

Nur: Die bulgarische Regierung möchte nun durchsetzen, dass der Schriftzug künftig auch kyrillisch auf den Scheinen steht. Darauf haben sich die Staats- und Regierungschefs der 27 Mitgliedsländer im Prinzip schon verständigt. Sie haben aber ein kleines Detail übersehen: Den Wortstamm "euro" gibt es in der bulgarischen Sprache nicht. So sagt man sagt auch "Ewropa". Deshalb will Bulgarien durchsetzen, dass die Buchstabenfolge EBPO (transkribiert EWRO) auf die Scheine gedruckt wird.

Das will die Europäische Zentralbank, die auf das einheitliche Erscheinungsbild der Einheitswährung zu achten hat, keinesfalls zulassen. Der Konflikt, der auf den ersten Blick wie eine lächerliche Nebensache aussieht, hat grundsätzlichen Charakter. Die bulgarische Regierung will den Reformvertrag von Lissabon nur unterzeichnen, wenn in der bulgarischen Übersetzung der Texte die Einheitswährung ihrer Sprachtradition entsprechend geschrieben ist.

Mittelfristig mögen sich solche Konflikte zwischen dem Wunsch nach Vielfalt und der Notwendigkeit zur Einheit in einem Europa der Regionen lösen lassen, dessen nationalstaatliche Ebene überflüssig geworden ist. Doch derzeit scheint der Nationalstaat eher eine Renaissance zu erleben. Auch Länder wie Spanien, Großbritannien oder Belgien, die vorgeblich ihre Regionen stärken, schaffen in Wahrheit schrittweise neue staatliche Einheiten. Ausgerechnet in Belgien, wo die europäischen Institutionen ihren Hauptsitz haben, ist dieser Prozess am weitesten fortgeschritten.

Der durchaus verlockenden Utopie eines Europas der Regionen, wo die nationale Ebene schrittweise schrumpft und sich am Ende überlebt hat, sind wir damit keinen Schritt näher gekommen. Denn wenn sich Belgien in ein unabhängiges Flandern und eine eigenständige Wallonie spaltet, würden dabei keine autonomen Regionen unter einem europäischen Dach entstehen sondern junge Nationalstaaten, die ihre Eigenständigkeit zunächst eifersüchtig gegen Brüssel verteidigen müssten, bevor sich nach einigen Jahrzehnten hoffentlich eine neue selbstbewusste Gelassenheit ausbreiten würde.

Die Diskussion um die Folgekosten der Renationalisierung wird in den Mitgliedstaaten der EU nicht geführt. Den Menschen muss klar werden, dass sie nicht beides haben können: Die absolute wirtschaftliche, politische und kulturelle Eigenständigkeit und eine starke Stimme Europas in der Welt. Der nun vorliegende Vertragsentwurf wird dem Anspruch, Europa handlungsfähig zu machen, nicht gerecht. Mit seinen Extraklauseln, Sonderzirkeln und Ausnahmeregeln gleicht er einem juristischen Flickenteppich, der die Funktionsweise der EU weder für ihre Bürger noch für die Partner in der Welt erhellt.

Natürlich ist die "balkanesische Krankheit" der Aufsplitterung Europas in viele neue Nationalstaaten eine Nachwirkung der Umwälzungen, die durch die Auflösung der Blöcke ausgelöst wurden. Vielleicht kann man in ein paar Jahren, wenn das Bedürfnis nach kyrillischen Banknoten oder baskischer Nationalhymne befriedigt ist, zu den wesentlichen Themen zurückkehren. Doch in der Zwischenzeit wird wirtschaftliches und politisches Terrain verloren gehen.

Auch Indien und China sind Völkergemische mit unterschiedlichen Sprachen, Religionen und Bräuchen. Doch sie bilden staatliche Einheiten mit einer für alle verpflichtenden Amtssprache, einer Zentralregierung, einer- von Europa aus betrachtet - starken nationalen Identität. Undenkbar, dass die chinesische Zentralbank den Yuan in mehreren Minderheitensprachen auf die Scheine drucken würde. Wenn der Euro die starke Einheitswährung bleiben soll, die er in den sieben Jahren seiner Existenz geworden ist, dann müssen die Bulgaren auf den ihnen vertrauten Wortstamm EBPO verzichten.

Doch auch viele andere Mitgliedstaaten haben derartige Sonderwünsche. Die Vielfalt, die sie für sich in Anspruch nehmen, wollen dann auch andere gewürdigt sehen. Seit Malta beim EU-Beitritt für seine 400.000 neuen EU-Bürger Maltesisch als Amtssprache durchsetzte, wollen sich baskische oder katalanische EU-Abgeordnete ebenfalls in ihrer Muttersprache mitteilen. Gälisch ist seit dem 1. Januar diesen Jahres offizielle EU-Sprache, obwohl von den 13 irischen Abgeordneten im Europaparlament nur sechs das Idiom ansatzweise beherrschen. Sie haben es sich zur Gewohnheit gemacht, ihre Reden im Plenarsaal mit einem gälischen Satz einzuführen. Dann wechseln sie ins Englische, das ihnen wesentlich leichter von der Zunge geht. Die hochbezahlten Dolmetscher drehen derweil Däumchen.

Mehr als 50 Zusatzerklärungen und Dutzende von Protokollen, über die beim Gipfel von Lissabon bis zur letzten Minute gestritten werden wird, sollen dem reformierten EU-Vertrag angefügt werden. Wer einen Blick darauf wirft, bekommt einen kleinen Einblick in die Themen, die andere Mitgliedstaaten für das Herzstück ihrer Kultur halten. Ob es um angelsächsische Rechtstraditionen oder Polens katholische Wurzeln geht - für sich betrachtet erscheinen viele Anliegen zunächst legitim und verständlich. Doch in der Summe hindert stures Beharren auf Sonderkonditionen Europa daran, mit einer Stimme zu sprechen und auf internationaler Bühne gehört zu werden.

Selbst wenn die Europäer zusammenstehen, bringen sie nur acht Prozent der Weltbevölkerung auf die Waage. Jeder dritte Mensch auf diesem Globus lebt in China oder Indien. Diese Zahlen machen deutlich, dass selbst große EU-Länder wie Deutschland oder Frankreich für sich betrachtet zur Bedeutungslosigkeit verdammt sind. Ob es um Handelsbedingungen geht, um den Zugriff auf Energieressourcen, um Konfliktschlichtung in Krisengebieten oder den Einsatz für europäische Werte und Menschenrechte - ohne einheitliches Auftreten nach außen können die EU-Mitgliedstaaten nichts bewegen. DANIELA WEINGÄRTNER

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4 Kommentare

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  • JH
    Jasper Habicht

    "Undenkbar, dass die chinesische Zentralbank den Yuan in mehreren Minderheitensprachen auf die Scheine drucken würde."

     

    Nicht nur, dass der Vergleich sehr stark hinkt, er entbehrt noch dazu jeglicher Grundlage! Die Autori hätte gut daran getan sich selbst einmal über die Fakten aufzuklären, bevor sie solche Falschinformationen in die Welt setzte. Denn genau das tut die chinesische Volksbank: Sie schreibt ihre Bezeichnung in immerhin vier Minderheitensprachen auf die Rückseite der Scheine. Das ist arabisch, tibetisch, mongolisch und Zhuang, fein säuberlich angeordnet unterhalb des in lateinische Buchstaben umschrifteten "Zhonghua Renmin Yinhang". Zwar sind in der Tat nicht alle Minderheitensprachen vertreten, aber das ist doch eher dem chinesischen zentralistisch geprägten Politikverständnis geschuldet, das zumindest auf der Ebene der EU wohl kaum ein Äquivalent findet.

  • ????????? ??????????

    "Undenkbar, dass die chinesische Zentralbank den Yuan in mehreren Minderheitensprachen auf die Scheine drucken würde."

     

    Dieser Vergleich ist mehr als problematisch und zeigt wie so oft wie in Europa mit Unwissen auf mache Probleme reagiert wird. Der Autorin ist wahrscheinlich entgangen, dass Bulgarien keine Provinz ist, sondern ein eigenständiger Staat und die Bulgaren keine 'Minderheit' , sondern ein eigenes Volk. Und übrigens, wollen wir wirklich China als Beispiel nehmen für die Zukunft der EU? China ???

     

    Natürlich muss Bulgarien auf die Währung verzichten - es ist ja nur ein winziges Land, politisch unbedeutend. Die 1300 Jahre Geschichte und eine der ältesten Schriftsprachen Europas kann man jetzt doch über Bord schmeissen, die brauchen wir ja nicht in den Wolkenkratzern von Frankfurt. Am besten wir bennen auch gleich das Land um, die Bevölkerung kann sofort auf Englisch umsteigen, denn die bulgarische Sprache ist ja nutzlos !!!

     

    Mit welchem Recht verlangt man, dass die Bulgaren ihre (zukünftige) eigene Währung nicht lesen können !!! Der Autorin ist auch wahrscheinlich entgangen, dass das lateinsiche Alphabet nicht von jedem beherrscht wird, viele Bulgaren der älteren Generationen sprechen keine Fremdsprachen. Was für freche Bulgaren, die verlangen doch tatsächlich den Währungsnamen lesen zu können.

     

    P.S. Wie würden Frankreich und Deutschland reagieren, wenn man ab morgen zum Euro nicht mehr Euro sagen darf ??? Sondern Evro zum Beispiel. So Absurd ist es nicht: der Name Europa kommt ja aus dem Griechischen und da heißt es Evropi .... mit v !!! ;)

  • MS
    Michael Schwarz

    Ich kann dem Kommentar von Frau Weingärtner nur bedingt zustimmen. Tatsächlich sind die Nationalstaaten allesamt künstliche Gebilde, die über den historischen Gemeinwesen errichtet wurden. Dies kann Katalonien sein, Flandern oder das Elsass. Wenn sich die Europäer wieder ihrer eigentlichen Wurzeln besinnen, kann das m.E. nur gut sein. In meinem Falle hieße das dann: "Meine Heimat ist das Rheinland, mein Vaterland Europa." Die meisten Katalonen würden Spanien genauso wenig eine Träne nachweinen wie die meisten Flamen Belgien. Und auch ich könnte auf die BRD gut verzichten.

  • AT
    Andreas Thomsen

    Sehr geehrte Frau Weingärtner,

     

    ist es nicht grotesk, anzunehmen, der Wert des Euro würde geschwächt durch die Tatsache, daß er in der kyrillischen Version EBPO geschrieben wird, und nicht EYPO? Wer von den Börsenheinis und Bankmagnaten kennt sich denn ausserhalb von Osteuropa überhaupt mit Kyrillisch aus?

     

    Zeigt der Disput nicht vielmehr, wie wenig Respekt die Manager der EZB (die ja auf den Scheinen auch BCE, ECB, EKT, EKP geschrieben wird - wo bleibt da bitte die Einheitlichkeit?) vor der Sprache und Kultur eines kleineren Mitgliedslandes haben? Ist es also nicht wieder mal ein typisches Beispiel für die Arroganz der Eurokraten, die sich selbst genügen, und möglichst wenig von der europäischen Bevölkerung gestört werden möchten? Die meinen, sie wüßten, wo's langgeht, und das dumme Provinzvolk dürfe sich möglichst wenig in seine eigenen Angelegenheiten einmischen?

     

    Gerade dieser Eindruck hat doch dazu geführt, daß die sonst so Europa-freundlichen Franzosen und Niederländer die geplante EU-Verfassung abgelehnt haben, weil sie fanden, "Brüssel" tanze ihnen auf der Nase herum. Daß dieser Eindruck teilweise auf Mißverständnissen beruht, die womöglich bewußt herbeigeführt wurden, steht auf einem anderen Blatt. Aber kann sich jemand an eine Kampagne der Europa-Abgeordneten für das Verfassungsprojekt erinnern, die mit Elan europaweit geführt wurde? Bei der auf Argumente für und wider eingegangen wurde? Oder etwa bei der Einführung des Euro (Ebpo, gesprochen "jewro")? Warum handelt z.B. das europäische Patentamt zuweilen so, als sei es niemandem Rechenschaft schuldig außer den großen Industrieunternehmen?

     

    Anscheinend haben weder die Eurokraten, noch die Euro-Politiker, noch die in Brüssel ansässigen Publizisten aus dem Verfassungsdebakel wirklich gelernt. Sie wollen einfach so weitermachen, und wer sich der Dampfwalze entgegenstellt, der wird schon sehn, was er davon hat?

     

    So geht es nicht. Eine Konstellation wie in den USA, wo "die in Washington" für jedes Übel verantwortlich gemacht werden, und trotzdem fröhlich regieren können, ist in Europa wegen der Vielfalt der Nationen und ihrer Kulturen nicht möglich - das würde die EU sprengen (siehe Jugoslawien). Die Brüsseler müssen also schon versuchen, sich den lokalen Interessen gegenüber flexibel zu verhalten, um nicht unnötigen Widerstand zu provozieren, wenn sie Erfolg haben wollen. Angela Merkel scheint das zu wissen, die Großkopfeten von der EZB anscheinend nicht - sie ziehen die Methode "Geßlerhut" vor.

     

    Ich wüßte z.B. gerne, wie mein Europa-Wahlkreis aussieht, und wer ihn im EU-Parlament repräsentiert? Und wo er/sie sein deutsches Wahlkreisbüro hat? Aber anscheinend gibt es für das Europa-Parlament gar keine Wahlkreise, sondern nur Listenplätze der Fraktionen? Wen repräsentiert denn so ein Listen-Abgeordneter?

    Im Grunde genommen doch eher seine Partei, als seine Wähler, die ihn nicht kennen, und die er/sie nicht kennt.

     

    Sie sehen, es gibt Kritikpunkte, die überhaupt nichts mit der Frage der verschiedenen Nationen zu tun haben, wohl aber mit Fragen des Respekts vor den Wählern und der Reräsentativität.

     

    Hier bieten sich viele Gelegenheiten, den Kontakt mit der Bevölkerung zu verbessern, und auf diese Weise letzlich die EU zu stärken. Ohne Respekt vor der lokalen Wählerschaft läßt sich "von oben", aus der Zentrale, keine handlungsfähige Union zusammenbacken - im Gegenteil wird man immer neuen Widerstand a la Kaczynscy oder einst Thatcher provozieren, und sich damit selbst blockieren.

     

    Nochmal zum Thema EBRO: Unser größter kyrillisch- schreibender Handelspartner ist Rußland. Dort heißt der Euro jetzt schon EBRO, gesprochen "Jewro". So wird es wahrscheinlich auch in Serbien, Montenegro und Mazedonien sein, und in den Asiatischen Republiken die einst zur UdSSR gehörten und immer noch Russisch als Verkehrssprache benutzen. Also in einem insgesamt weit über 100 Millionen Einwohner zählendem Markt. Will man die wirklich alle umerziehen wegen der Besessenheit einer Handvoll Frankfurter EZB-Manager vom Konzept des "corporate design"?

     

    Mit freundlichen Grüßen,

     

    A.Th.