Debatte: Schönbohms Haltung „atmet den Ungeist der Aggression“
■ Der Politikwissenschaftler Hajo Funke zur deutschnationalen Ausländerpolitik von Innensenator Jörg Schönbohm
Die Ausländerpolitik des Senats soll der Integration dienen. Der gegenwärtige Innensenator, Jörg Schönbohm, hat jüngst in einem Grundsatzpapier mitgeteilt, daß er davon wenig hält und etwas anderes anstrebt (vgl. Zeitschrift für Ausländerrecht und Ausländerpolitik (ZAR)-Abhandlungen, 1/97).
Selbstverständlich ist auch der Innensenator gehalten, von der „Integration als Ziel“ auszugehen. Aber anders als die bisher formulierte Integrationspolitik – das heißt nicht nur die Verpflichtung auf das Grundgesetz, sondern auch den Abbau von Diskriminierungen und die Verbesserung von Ausbildungs-, Arbeitsplatz- und Wohnungschancen – verlangt Schönbohm die Assimilation an eine ethnisch verstandene Nation „der Deutschen“. Er will die volle Unterordnung der ausländischen Menschen unter „die rechtlichen, sozialen, kulturellen und wirtschaftlichen Bedingungen“ – eine gleich mehrfach wiederholte Formulierung.
Dies schließt so ziemlich alles ein, was sich als „deutsch“ so vorstellen läßt. Für Schönbohm sind es die „Sitten und Gebräuche“, die „deutschen Lebensformen“, die „deutsche Kultur“, ein Mindestmaß an Grundüberzeugungen und Gewohnheiten (!) der deutschen Bevölkerung“. Damit verläßt Schönbohm den bisher auch in Berlin vertretenen Ansatz einer liberalen Integrationspolitik, die die Verpflichtung auf das Grundgesetz als wesentliche Anforderung an die Integration der Ausländer in Deutschland vorsieht, nicht aber eine Unterordnung unter Sitten, Gebräuche und Gewohnheiten, die naturgemäß zur willkürlichen Auslegung geradezu einladen und Ausländer damit von Gunst, Gnade oder Zustimmung jeweiliger Bevölkerungsteile abhängig machen kann.
Oder, was eben so prekär ist, die Auslegung solcher unpräziser Begriffe Ausländerbehörden oder Gerichten überantwortet. In der Logik unbegrenzter Auslegung von catch all-Begriffen bleibt kein „Kulturraum“ des spezifisch Deutschen ausgespart, an die „der Ausländer“ sich nicht anzupassen habe, wenn er geduldet: „akzeptiert“ werden will. Es muß zu einem „Bekenntnis“, zu einer „Identifizierung“ mit dem deutschen Staat kommen, die klarmacht, daß der „Einbürgerungswillige“ die „Zuordnung zum deutschen Kulturkreis ernsthaft“ anstrebt.
Aber selbst wenn nun „der“ Ausländer all dies täte, heißt dies für Schönbohm nicht, daß das ausreiche. Denn für ihn ist der Schlüssel für die Integration die Zustimmungsbereitschaft der „deutschen Gesellschaft“. Die aber sei nun einmal psychologisch konditioniert. Vor allem ist sie von Stimmungen abhängig, die sich aber nun – so Schönbohm – durch das Fehlen der Hochkonjunktur mit Notwendigkeit gegen Ausländer wenden, ob einbürgerungswillig oder nicht. Daher bilde sich nun die Gnade der möglichen Gewährung der Zustimmung mit der Krise zurück. Da aber „nur ein klares Ja (der Deutschen) zu den legal und dauerhaft hier lebenden ausländischen Mitbürgern“ es diesen ermöglicht, „Patriotismus für ihre neue Heimat zu entwickeln“, bedeutet dies praktisch ein Aus der Integration.
Schönbohm setzt die Barrieren für die Integration für beide Seiten – „die Ausländer“ und „die Deutschen“ so hoch, daß selbst olympiareife Hochspringer sie nie überwinden können. Die Ausländer sollen sich gleichzeitig an die, die nicht mehr wollen, noch besser anpassen. Jörg Schönbohm formuliert damit die gleiche Beziehungsfalle, an der vor 1933 deutsche Juden, die sich assimilieren sollten und wollten, litten: Sie können sich noch so anpassen. Sie passen nicht zu uns. Sie überfremden uns und gefährden unsere Identität.
Der Text atmet den Geist der Abwehr. Ausländer passen nicht nach Deutschland. Sie bedrohen unsere nationale Identität. Zuweilen halten sie, wie Schönbohm sich gegenüber den bosnischen Flüchtlingen auszudrücken beliebte, „hier die Hand auf, statt dort die Hand anzulegen“. Daß die Integrationsbereitschaft schwindet, liege an den Ausländern: Sie kommen in zu großer Zahl, haben Probleme und machen sie. Analog einer Grundrechenart wird statuiert: Die Integration „wird um so schwieriger“, „je höher der Anteil ist“.
Aber Schönbohm geht es noch um etwas anderes: Mit einer ebenso überzogenen wie ängstlichen Beschwörung vermeintlich integrationsunwilliger Zuwanderergruppen und vermeintlich sich selbst isolierender islamischer Bevölkerungsgruppen warnt er vor einer „Fremdkörperbildung“, durch die Deutschland seine Identität verliere und entwirft dagegen emphatisch ein Deutschland aus ethnozentrischer und deutschnationaler Tradition. Die „deutsche Lebenswelt und Kultur“ muß Vorrang haben. Die „Identität der Bundesrepublik als Nationalstaat der Deutschen darf nicht zur Disposition stehen“. Diese Identität erhält ihr Profil aus dramatisierenden Beschwörungen der Gefahr: durch Fremdkörperbildung. Fremdwerden vertrauter Umwelt. Verlust des Identität gewährenden Wesens.
Die immer neuen Beschwörungen der Gefahren durch Ausländer zeigen: Der Autor atmet nicht den Geist der Integration, sondern den Ungeist der Aggression gegen jede vernünftige Integration. Ihm ist die Sorge um die ethnische Mehrheit das zentrale Anliegen. Seien die Ausländer noch so sehr integriert, längst Staatsbürger geworden, längst Deutsche mit Paß, blieben sie für ihn immer noch – wie er schreibt – „ausländische Mitbürger“, „Zuwanderer“, „Gäste“, „mehr oder weniger integrationsunwillige Zuwanderergruppen“, „illegal aufhältliche Personen“, Bedrohung für die „gesellschaftliche Homogenität“ – und damit „für den inneren Frieden“ (vgl. ZAR 1/1997: 7). Kaum ein Satz in den immerhin über fünfhundert Zeilen über die Leistung, geschweige denn die Bereicherung, über positive Integrationspolitik von Ausländern in Deutschland.
Was wäre, so fragt der Autor, wenn die Deutschen in etwa achtzig Jahren im eigenen Land in der Minderheit wären? Offenbar eine Vorstellung, die strikt davon ausgeht, daß die Integration der zweiten und dritten Generation keinen Raum haben darf, schon allein deswegen, weil womöglich dies den ethnischen Anteil der deutschen Abstammungsmehrheit nach seinen Berechnungen zu gefährden scheint. Seine Idee von der „gesellschaftlichen Homogenität“ ist so nichts anderes als eine ethnische.
So sieht der Autor denn auch die Herausforderung für die Zukunft darin, die Einbürgerung möglichst gering zu halten, grundsätzlich eine restriktive Politik zu forcieren, die Abschiebung geräuschlos zu gestalten und eine auf Menschen deutscher Abstammung (!) beschränkte Kinder- und Familienpolitik zu betreiben. Denn der „Charakter unseres Landes darf sich (nicht) innerhalb von nur ein, zwei Generationen fundamental wandeln“. „Ein (deutsches) Volk ohne (deutsche) Kinder hat seine Zukunft hinter sich.“ „Gäbe es nur einen Bruchteil der medialen und organisatorischen Unterstützergruppen, wie wir ihn auf dem Flüchtlingssektor täglich erleben, als Kinder- und Familienlobby, wäre schon viel gewonnen“ (ebd.) – das stellt eine Denkweise dar, wie ich sie das erste Mal in der jüngsten deutschen republikanischen Geschichte Anfang der 80er Jahre in dem auch von ganz rechts verfaßten „Heidelberger Manifest“ angetroffen habe.
Wie weit in dem Text von Jörg Schönbohm eine ethnozentrische Sicht vorherrscht, wird auch daran sichtbar, daß er Gemeinwohl wiederholt für uns Deutsche reserviert und „andere“ auch dann davon ausschließt, wenn diese als Inländer ohne deutschen Paß seit dreißig Jahren in unserem Gemeinwesen leben.
Mit diesem Text verabschiedet sich der oberste Verfassungsschützer der Hauptstadt Berlin von einer positiven Integrationspolitik wie von einem republikanischen Nationenverständnis. Der Text ist ein Text der Diskriminierung. Er verliert sich in der abgelegten Tradition eines unseligen, leeren Nationalismus der Angst und Abwehr, eines Nationalismus, den der Politikwissenschaftler und CDUler Dieter Oberndörfer als „völkischen Nationalismus“ qualifiziert.
Hajo Funke (53) ist seit 1993 Professor für Politk und Kultur am Otto-Suhr-Institut der Freien Universität. Seine Arbeitsschwerpunkte sind Nationalismus, Antisemitismus und Südosteuropa, insbesondere der Bosnienkonflikt. Funke ist im Vorstand der deutschen Sektion von „La Bennevolencija“, einer jüdisch-multiethnischen Hilfsorganisation mit Hauptsitz in Sarajevo. Zusammen mit dem Behandlungszentrum für Folteropfer ist Funke Mitinitiator des Berliner Appells gegen die Abschiebung bosnischer Flüchtlinge.
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