Debatte um U-Bahnhof Mohrenstraße in Berlin: Nicht akzeptabel
Die Berliner U-Bahn-Haltestelle Mohrenstraße soll jetzt Glinkastraße heißen. Dabei war der russische Komponist Glinka wohl ein Antisemit.
Antje Kapek, Fraktionsvorsitzende der Grünen im Abgeordnetenhaus, sagte am Dienstag der taz, die Entscheidung der BVG „war längst überfällig, denn der alte Name war unerträglich und diskriminierend. Doch natürlich soll auch der neue Name niemanden herabwürdigen oder diskriminieren“. Anne Helm, Fraktionsvorsitzende der Linken, sagte zum Vorgehen der BVG: „Ich hätte es besser gefunden, wenn sie zunächst die Diskussion gesucht hätte – mit dem Bezirk und vor allem mit den Initiativen, die für eine Umbenennung der Straße kämpfen.“
Dies forderte auch Wirtschaftssenatorin Ramona Pop (Grüne), die zugleich Aufsichtsratschefin der BVG ist, am Rande der Senatspressekonferenz am Dienstag: „Ich erwarte ein offenes Verfahren und nicht Schnellschüsse mit Vorschlägen, die sich dann festsetzen.“ Pop wollte sich auf Nachfrage aber nicht festlegen, dass die Station künftig in keinem Fall Glinkastraße heißen dürfe.
Die BVG hatte die Umbenennung vergangenen Freitag mit dem „Verständnis und Respekt für die teils kontroverse Debatte um den Straßennamen“ begründet. Als „weltoffenes Unternehmen“ und einer der größten Berlins lehne man jegliche Form von Rassismus und Diskriminierung ab.
Der Umbenennungsprozess für die Wissmannstraße in Neukölln geht in die nächste Runde. Noch bis 26. Juli sind die BürgerInnen des Bezirks aufgerufen, eigene Namensvorschläge einzubringen. Gesucht wird bevorzugt eine Frau, "die in Neukölln gelebt und/oder gewirkt hat und sich um den Bezirk besonders verdient gemacht hat oder die Widerstand gegen die Kolonialmächte geleistet hat oder sich gegen rassistische und koloniale Strukturen eingesetzt hat", heißt es in der Bekanntmachung.
Die Bezirksverordneten hatten im August 2019 die Umbenennung beschlossen. Hermann von Wissmann war Reichskommissar von Deutsch-Ostafrika, heute Tansania, und als grausamer Kolonist bekannt. Berlin Postkolonial fordert, mit der Straße eine verdiente Tansanier*in aus dem antikolonialen Widerstand zu ehren. (sum)
Im Zuge der Black-Lives-Matter-Bewegung hat die Diskussion um diskriminierende Relikte der Kolonialzeit etwa in Form von Straßennamen und Denkmälern neue Fahrt aufgenommen; das beweist auch die plötzliche Entscheidung der BVG. Um die Bezeichnung der Mohrenstraße und der dazugehörigen Haltestelle wird nämlich bereits seit Jahren heftig gestritten.
Jüdisches Komplott gegen die Russen
Doch nicht nur das einsame Vorgehen der BVG, auch der neue Name selbst wirft Fragen auf: Der Namensgeber Michail Iwanowitsch Glinka (1804–1857), ein russischer Komponist, soll Antisemit gewesen sein. Seine Oper „Fürst Cholmskij“ etwa spielt im 15. Jahrhundert und handelt von einem jüdischen Komplott, das zum Ziel hat, den russischen Streitkräften in ihrem Kampf gegen den deutschen Schwertbrüderorden Livlands entgegenzuwirken. Die Jüdische Allgemeine nannte die Entscheidung deshalb am Montag eine „schlechte Wahl“.
Petra Nelken, Pressesprecherin der BVG, verteidigt gegenüber der taz die Namenswahl: „Die Umbenennung ist vielmehr eine Entscheidung gegen den bisherigen Namen als für den Namen Glinka.“ Wenn ein Name jemanden kränke, solle man ihn ändern. Die Wahl sei auf Glinkastraße gefallen, weil die Bezeichnung von Haltestellen eine Orientierungsfunktion habe und die Glinkastraße nun einmal in unmittelbarer Nähe liege. Eine andere Möglichkeit sei nur die nach dem „absolutistischen“ Kaiser Friedrich Wilhelm I. benannte Wilhelmstraße gewesen, aber auch dies sei ja keine „akzeptable Lösung“, findet Nelken.
Also alles ausweglos? Nicht ganz. Eine Entscheidung im Sinne der Befürworter:innen einer Umbenennung wäre möglich gewesen, wenn man sich so lange geduldet hätte, bis auch die Mohrenstraße, nach welcher der Bahnhof benannt ist, endlich einen adäquaten Namen erhält. Dafür setzen sich Aktivist:innen seit vielen Jahren sein.
Ein Hindernis war bislang allerdings die BVG selbst, die stets den angeblich großen Aufwand durch eine Umbenennung als Grund anführte. Dass ausgerechnet sie nun vorgeprescht ist, hat neben der öffentlichkeits- und pressewirksamen Begründung der Weltoffenheit und Toleranz daher auch ganz pragmatische Gründe, wie Nelken der taz sagte: Ab Dezember verbindet die neue U5 Alexanderplatz und Brandenburger Tor – das heißt, die Fahrpläne müssen ohnehin neu gedruckt, die technischen Systeme aktualisiert werden.
Und die BVG macht dies nicht zum ersten Mal. Der Bahnhof erhält nun bald seinen fünften Namen: Bei seiner Eröffnung 1908 hieß er Kaiserhof, ab 1950 dann Thälmannplatz und von 1986 bis 1991 Otto-Grotewohl-Straße. Damals setzte sich ausgerechnet die SPD dafür ein, dass der frühere Sozialdemokrat Grotewohl keine Ehrung durch eine Straße mehr zuteil wurde. Seitdem heißt die Straße Mohrenstraße – ein gutes Beispiel für die Tatsache, dass Bezeichnungen von Straßen, Plätzen oder Bahnhöfen immer im Geiste der Zeit stehen und einladen, die eigene Vergangenheit kritisch zu reflektieren.
Der Konflikt um das Wort „Mohr“ gründet in seiner kolonialrassistischen Bedeutung. Argumentieren Gegner der Umbenennung gern mit der Wortherkunft „Maure“ als vermeintlich historisch neutrale Bezeichnung für die Bewohner Nordafrikas, weisen Befürworter:innen auf die Umdeutung des Begriffs in der Kolonialzeit hin: Spätestens dann sei er als abwertende Bezeichnung für schwarze Menschen im Kontext weißer Herrschaftsverhältnisse geprägt worden und somit bis heute Ausdruck einer rassifizierten Ordnung.
Der Gegenvorschlag: Anton Wilhelm Amo
Die Initiative Schwarze Menschen in Deutschland (ISD) setzt sich daher zusammen mit Berlin Postkolonial schon lange für die Umbenennung der Mohrenstraße ein, zusammen bilden sie das Bündnis Decolonize Berlin. Mit der Namensgebung Glinkastraße sind auch sie nicht zufrieden. Wenngleich Tahir Della, Sprecher der ISD, die Entscheidung der BVG grundsätzlich begrüßt, findet er es schade, dass der kolonialhistorische Bezug mit dem Namen Glinka verloren geht. Die Aktivisten haben vorgeschlagen, die Straße nach Anton Wilhelm Amo (geb. ca. 1703) zu benennen. Er gilt als erster Schwarzer Gelehrter und Philosoph Deutschlands.
Der Name hätte den Vorteil, dass das Standardargument jeglicher Umbenennung – diese seien „Geschichtsklitterung“ – nicht greift, da der historische Bezug von Sklaverei und Kolonialismus mit einer Benennung nach Amo gar nicht verloren ginge: Er würde im Gedenken an den ersten Schwarzen Sklavereigegner Deutschlands vielleicht sogar noch mehr in den Fokus rücken.
Auch Thilo Urchs, Fraktionsvorsitzender der Linken in der Bezirksverordnetenversammlung Mitte, befürwortet die Umbenennung der Mohrenstraße: „Wir haben uns schon vor etwa zehn Jahren für die Umbenennung eingesetzt, die anderen Fraktionen und die Presse haben damals allerdings Solidarität vermissen lassen.“ Auch an wenig kompromissbereite Berliner Verkehrsbetriebe will er sich erinnern. Umso mehr habe ihn deren Ankündigung am Freitag überrascht, sagte er.
Als Grund für den schleppenden Fortschritt in der Politik nennt er die Schwierigkeit, alle Akteure an einen Tisch zu bringen, denn „die Straße soll ja nicht einfach umbenannt werden, sie soll auch zu einem Lern- und Erinnerungsort werden“. Es lägen zahlreiche Anträge vor, und auch Diskussionen würden geführt – doch eine Straßenumbenennung sei langwierig und kompliziert.
Dem schließt sich auch Bezirksstadträtin Sabine Weißler (Grüne) an. „Die Hürden für eine Umbenennung nach dem Berliner Straßengesetz sind hoch. Da Klagen, die eine Umbenennung jahrelang verzögern können, zu erwarten sind, muss ein Beschluss für eine Umbenennung den gesetzlichen Anforderungen entsprechen.“ Ob sie den Alleingang der BVG nun begrüßt oder nicht und was sie von dem Namen Glinka hält, wird auf Nachfrage der taz nicht beantwortet.
Im Kampf um die Mohrenstraße geht es also bisher vor allem um eines: Der wahre Beitrag zu einer rassismuskritischen und sensibilisierten Gesellschaft besteht nicht nur in der Umbenennung von Straßen, Bahnhöfen oder der Zerstörung kolonialistischer Denkmäler – auch wenn sie gewiss starke Symbolkraft bergen –, sondern um die Debatten, die mit ihnen verbunden sind.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Debatte um SPD-Kanzlerkandidatur
Schwielowsee an der Copacabana
Urteil nach Tötung eines Geflüchteten
Gericht findet mal wieder keine Beweise für Rassismus
Hype um Boris Pistorius
Fragwürdige Beliebtheit
Wirtschaftsminister bei Klimakonferenz
Habeck, naiv in Baku
Papst äußert sich zu Gaza
Scharfe Worte aus Rom
BSW und „Freie Sachsen“
Görlitzer Querfront gemeinsam für Putin