Debatte um Sarrazins Kreuzberg-Besuch: Kreuzberg schafft Sarrazin ab

Ein Kamerateam schickt Thilo Sarrazin nach Kreuzberg. Die Kreuzberger verweigern die Diskussion - und schon gibt es großes Geschrei über angebliche Intoleranz und "No-go-Areas". Was wird hier gespielt? Eine Stimmensammlung.

Thilo Sarrazin, hier in Neukölln: Wird so ein Dialog auf Augenhöhe geführt? Bild: screenshot/youtube

"Thilo Sarrazin wurde nicht aus Kreuzberg rausgeworfen. Die Leute haben nur ihr freies Recht auf Meinungsäußerung wahrgenommen. Sie haben gesagt: Wir wollen keinen Scheindialog vor laufender Kamera. Aber offenbar soll dieses Recht auf freie Meinungsäußerung hierzulande für bestimmte Bevölkerungsgruppen nicht mehr gelten."

Özcan Mutlu, Kreuzberger Grünen-Abgeordneter

"Herr Sarrazin muss erleben, dass er in Kreuzberg nicht überall Beifall findet. Mit fehlender Toleranz hat das nichts zu tun. Hier wurde nicht ernsthaft der Dialog gesucht, es erinnerte eher daran, wie Bruno im Film durch Jerusalem gegangen ist. Ob man Sarrazin bei einer solchen Inszenierung auslacht oder ihn beschimpft, das muss jeder selbst entscheiden."

Viel wurde drüber geredet, noch mehr drüber geschrieben. Am Freitag um 23.15 Uhr ist es nun zu sehen: Kreuzberg will nichts von Thilo Sarrazin wissen, obwohl sich die ZDF-"Kultur"-Sendung "Aspekte" so viel Mühe gab.

Am 12. Juli sollte der Buchautor ("Deutschland schafft sich ab") und Ex-SPD-Finanzsenator den Türkenmarkt am Neuköllner Maybachufer, das Restaurant Hasir in der Adalbertstraße und einen alevitischen Kulturverein besuchen. Mit dabei: ein Kamerateam von "Aspekte". "Wir wollten sehen, wie bereit die Gesellschaft ist, über Integration kontrovers zu diskutieren", so "Aspekte"-Chef Christhard Läpple.

Blöd nur, dass das die Kreuzberger nicht wollten. Im Restaurant wurde Sarrazin nicht bedient, das Kulturzentrum lud ihn aus. Sarrazins Reaktion: "Auf die Weise bestätigen Sie Vorurteile. Sie sind keine Demokraten."

Was dann folgte, war wohl Teil der Inszenierung: Die B.Z. titelte: "So wurde Sarrazin von Türken aus Lokal verjagt". Die CDU sprach von No-go-Areas. Sarrazins Demokratieverständnis stand nicht zur Debatte. Dem Tagesspiegel verweigerte er das Gespräch mit der Begründung: "Nach der Berichterstattung über meine Frau möchte ich nicht mit Ihrem Blatt reden." Gemeint waren Berichte über antiquierte Erziehungsmethoden der Lehrerin Ursula Sarrazin.

Auch zum Medienthema hat es die ZDF/Thilo-Koproduktion geschafft. Als der Deutsche Kulturrat von einer "peinlichen Inszenierung" sprach, gab Krawallschachtel Henryk M. Broder einen Journalistenpreis des Kulturrats zurück. Am Freitag darf nun das Publikum entscheiden. In Kreuzberg trifft man sich ab 21 Uhr am Heinrichplatz zum "Public Buhing". UWE RADA

Jan Stöß, SPD-Vorsitzender Friedrichshain-Kreuzberg

"Zunächst muss man festhalten: Weder wurde Herr Sarrazin angegriffen, noch hat man ihn aus Kreuzberg geworfen. Die Kritik war verbal. Das gehört zur Demokratie. Das hat nichts mit No-go-Areas zu tun. Das ZDF muss sich fragen, ob es sich nicht zum Helfershelfer der Sarrazinschen Promotion macht."

Thomas Barthel, Die Linke

"Ich bin überrascht, dass Sarrazin überrascht ist über diese Reaktionen. Und dass er Kreuzberg nun als No-go-Area stilisiert: Der Afrikarat hatte mal eine Karte der No-go-Areas in Berlin publiziert, und ich finde die Bagatellisierung dieses traurigen Phänomens, das ja viele Angehörige von Minderheiten betrifft, ziemlich geschmacklos."

Philippa Ebéné, Leiterin der Neuköllner Werkstatt der Kulturen und Kreuzbergerin

"Wer missbraucht da eigentlich wen? Und warum macht ein öffentlich-rechtlicher Sender ein solches Spektakel? Unabhängig von diesen Fragen muss man aber sagen: Das war eine Provokation. Genauso wie es eine Provokation ist, wenn der Oranje-Orden durch die katholischen Viertel von Belfast marschiert. Kreuzberg hat gezeigt, dass es eine No-go-Area für Rassisten ist. Ich hoffe, das gilt nicht nur für Kreuzberg."

Steffen Schumann, Designer

"Thilo Sarrazin provoziert gerne und er wusste, dass es zu diesen Protesten kommen wird."

Marc-Niklas Förster, Jusos Neukölln

"Ich frage mich als Migrant, wieso ich GEZ-Gebühren zahlen soll, wenn eine Sendung wie "Aspekte" einem Provokateur solchen Spielraum lässt. Es ist das Recht der Kreuzberger, sich so zu äußern. Was ist daran antidemokratisch? Wer so austeilt, muss auch einstecken können."

Muharrem Aras, SPD-Kandidat in Kreuzberg

"Ich würde sagen, Sarrazin ist der Böse, gerade weil er sich jetzt als Opfer inszeniert. Wir sind in Kreuzberg offen für vieles, aber nicht für Rassisten wie Sarrazin."

Figen Izgin, Kreuzberger Kandidatin der Linkspartei

"Ich bin erstaunt, dass nicht der Krawall-Sender RTL sowas inszeniert, sondern das öffentlich-rechtliche ZDF. Es hilft der Debatte einfach nicht, wenn man das an Thilo Sarrazin personalisiert. In meiner Kneipe würde er dennoch willkommen sein - solange er ohne Kamerateam kommt."

Christian Gaebler, SPD-Abgeordneter und Kreuzberger Kneipenwirt

"Was Sarrazin geschrieben hat, ist schon an sich eine Provokation, auch ohne seinen Auftritt hier. Das ist reine Diskriminierung, reiner Rassismus, wenn man schreibt, Migranten seien genetisch bedingt dümmer. Das halte ich für sehr gefährlich, es erinnert an vergangene Zeiten, die wir alle nicht wieder haben wollen. Sein Auftauchen hier war natürlich auch eine Provokation. Klar kann man ihm nicht sagen, fahr nicht nach Kreuzberg oder Neukölln. Aber das war inszeniert. Die Reaktion der Menschen hier war insofern angemessen. Dass sie sagen, bis hierher, weiter nicht. Ist doch klar, dass sie nicht freundlich auf ihn reagieren. Auch sie haben mit ihren Steuern sein Gehalt bezahlt."

Nader Khalil, Nordneuköllner Bezirksverordneter der CDU

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