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Debatte um KriegstüchtigkeitGefährliche Engführung

Gastkommentar von Matthias Kreienbrink

Die Kriegstüchtigkeit wird gern mit der Verteidigung der Demokratie begründet. Doch die wird auch durch Güter wie Bildung und Wohnen verteidigt.

Reservisten beim diesjährigen Veteranentag: Verteidigt werden muss viel mehr Foto: Hauke-Christian Dittrich/dpa

S tand und Wert der Demokratie zeigen sich daran, wie und wie oft wir über sie sprechen. Wie verhandeln wir als Gesellschaft dieses System, das uns Teilhabe und Menschenrechte garantieren will? Gerade zeigt sich da eine große Sprachfreudigkeit. Überall ist die Rede davon, dass wir die Demokratie jetzt verteidigen müssen. Diese Fülle an Worten beschränkt sich aber auf einen Aspekt: mehr Geld für die Bundeswehr. Das wird im medialen und politischen Diskurs dafür umso wortreicher umschrieben. In Bundestagsdebatten, Leitartikeln, Talkshows und Podcasts ist die Rede von Kriegstüchtigkeit, Verteidigungsfähigkeit oder Wehrfähigkeit.

Bild: privat
Matthias Kreienbrink

ist Gesellschafts- und Digitaljournalist. Sein Buch „Scham: Wie ein machtvolles Gefühl unser Leben neu prägt“ ist kürzlich erschienen und beschäftigt sich u. a. mit der schambesetzten Sprache in gesellschaftlichen und politischen Diskursen

In den Mittelpunkt zu rücken, dass die Demokratie keine Selbstverständlichkeit ist, ist gut. Darum soll es hier auch nicht um eine Kritik an der Idee gehen, dass auch mit einem stärkeren Militär die Demokratie verteidigt wird. Vielmehr soll es gerade um das „Auch“ gehen. Denn die Sprachfreudigkeit darf nicht bei der Aufrüstung anfangen und enden. Vielmehr muss das Credo, die Demokratie zu verteidigen, gerade jetzt weitergedacht werden. Aus diesem Imperativ muss eine Sprache entstehen, die andere Bereiche unserer Politik und Gesellschaft mit einschließt – sie mehr noch zur Vorbedingung erklärt, damit eine Demokratie überhaupt verteidigenswert wird.

In drei Bereichen zeigt sich das besonders – in der Bildung, in der Wohnungs- und in der Gesundheitspolitik. Unser politisches System ist nicht selbstverständlich. Die Demokratie ist kein in sich kohärentes und logisches Konstrukt, das den Menschen einfach so eingepflanzt ist, sich aus sich selbst heraus erklärt. Es ist kein Naturgesetz – ansonsten müssten wir es ja nicht verteidigen. Demokratie setzt Bildung voraus. Um ihren Wert zu begreifen, aber auch um die Sprache zu lernen, die Teilhabe überhaupt erst möglich macht. Ohne (politische) Bildung kann Demokratie nicht existieren.

Dieser Umstand findet aber zu wenig Raum. Ja, wir reden immer wieder von Brennpunktschulen. Von Orten, an denen Leh­re­r:in­nen kaum noch einen funktionierenden Unterricht aufrechterhalten können, mitunter sogar selbst in Gefahr leben. Oder wir sprechen von maroden Gebäuden, und von Kitas, die zeitweise schließen müssen, weil zu wenige Er­zie­he­r:in­nen da sind.

Die Wehrfähigkeit sollte die Schlussfolgerung, nicht der Ausgangspunkt der Verteidigungsdebatte sein

Wir sprechen also von den sichtbaren Symptomen eines Bildungssystems, das sich anscheinend selbst nicht mehr bewusst ist, dass in ihm die Grundlage der Demokratie und des demokratischen Zusammenlebens gelegt wird. Geht es ums Geld für die Bildung, spricht die Politik meist von Pflichtstundenzahl, Klassengrößen – und Kürzungen. Überhaupt werden Schule, Kita oder Uni stets in einem diskursiven Rahmen der – mal mehr mal weniger notwendigen – Ausgaben verhandelt – aber nicht der Verteidigung.

Weiter geht es mit dem Wohnen. Im Falle einer (konventionellen) Landesverteidigung geht es zuvorderst um den Schutz und die Aufrechterhaltung klar umrissener Grenzen. Die Idee des Nationalstaates basiert darauf: ein Raum mit festen Grenzen. Nur geht es aber nicht nur um Verteidigung der Nation, sondern eben auch der Demokratie – zum Glück! Folgerichtig muss es also auch um den Raum innerhalb dieser Nation gehen und damit um das Wohnen. Wie und wo sich die Bür­ge­r:in­nen innerhalb der Demokratie räumlich situieren können. Von wo aus sie teilhaben können – möglichst sicher und gerecht.

Wir wissen längst, dass das nicht der Fall ist. Vielmehr geht es auch beim Wohnen nicht um eine Verteidigung. Wir sprechen von zu hohen Mieten, von einem freien Markt, von Investoren, die aufkaufen, von zu wenig Neubau, von Wohnungsberechtigungsscheinen. Und von geflüchteten Menschen, die vermeintlich die Wohnungen wegnehmen. Verteidigen müssen wir hier anscheinend nichts. Das Recht auf Wohnen, ein Menschenrecht, ist auch sprachlich eher eine Last. Eine Mühsal, das vor allem jene betrifft, die sich den Wohnraum eben nicht mehr leisten können. Verteidigen wir dann also doch nur Landesgrenzen und nicht das gute Leben und Wohnen innerhalb dieser Grenzen?

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Zuletzt unsere Gesundheit. Die Kriegstüchtigkeit wird gern verklärt mit besserer Ausrüstung, neuen Panzern und Flugzeugen. Auch mit IT-Expert:innen, die uns im hybriden Krieg schützen sollen, indem sie auch unsere Infrastruktur verteidigungsfähig machen. Dahinter verschwindet aber diskursiv der Körper – doch der ist es, der im Falle eines Kriegs schlussendlich verletzt oder getötet wird, um eben unsere Demokratie zu verteidigen.

Was ist der Stellenwert der Bürger:innen?

Welche Rolle aber spielt der Körper außerhalb davon? Wenn wir gesunde, möglichst fitte soldatische Körper brauchen, sollte dann die Verfasstheit dieses Körpers nicht auch schon davor schützenswert – und grundlegend für die Demokratie sein? Nun wurde das Gesundheitssystem jahrelang mit dem gleichen Adjektiv versehen wie die Bundeswehr: marode. Zur Beseitigung dessen stehen nun theoretisch unbegrenzte Mittel zur Verfügung – allein für die Bundeswehr. Welche gesundheitlichen Folgen aber der Klimawandel haben wird, bleibt dabei zumeist ganz ausgeklammert

Es mag für viele Menschen gerade also nachvollziehbar zynisch klingen, wenn die „Verteidigung der Demokratie“ allein bei der Wehrfähigkeit ins diskursive Schlachtfeld geführt wird. Besonders dann, wenn die Argumente von Kri­ti­ke­r:in­nen dieser Idee mit Verweis auf ebenjene Landesverteidigung für nichtig erklärt werden. Eine Engführung dieses Verteidigungsbegriffs ist gefährlich. Denn ja, wir müssen allesamt unsere Demokratie schützen. Aber die Wehrfähigkeit sollte die Schlussfolgerung, nicht der Ausgangspunkt der Verteidigungsdebatte sein.

Vieles an unserer Demokratie ist schützenswert. So sollte auch darüber gesprochen werden. Denn erst dann wird deutlich, welchen Stellenwert die Bür­ge­r:in­nen in einem Land haben, das verteidigt werden muss.

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4 Kommentare

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  • "Überall ist die Rede davon, dass wir die Demokratie jetzt verteidigen müssen. Diese Fülle an Worten beschränkt sich aber auf einen Aspekt: mehr Geld für die Bundeswehr."



    Dann weiter: "WIR" diskutieren zu wenig andere Aspekte, die die Demokratie stärken.



    Sind mit "WIR" die Regierungsparteien, die reichweitenstarken Medien, die Wirtschaftslobby gemeint?



    Die diskutieren andere Aspekte, allerdings solche, die nicht die Demokratie stärken (nicht einmal diesen Anspruch erheben):



    - Kürzungen + Sanktionierungen beim Bürgergeld



    - Einschränkungen bei Bildung, günstigem Wohnen, Gesundheit, Pflege, Migration, Asyl, Klimaschutz



    - Subventionierung von fossilen Investitionen



    - Ablehnung von Steuern auf Vermögen und Erbschaften von Überreichen



    - Zögerlichkeit beim AfD-Verbotsantrag



    - Behinderung der Arbeit von demokratischen NGOs



    Sind mit "WIR" die demokratischen Oppositionsparteien, die demokratischen NGOs und deren konventionelle und soziale Medien gemeint?



    Die diskutieren auch diese Aspekte, jedoch mit entgegensetztem Wertekompass und Zielvorstellungen. Und zielen damit tatsächlich auf Verteidigung und Stärkung der Demokratie.

  • Danke für diesen Kommentar.

    Er beschreibt die wirkliche Situation in diesem Land, nicht die imaginierte, von den neoliberalen/neocon think tanks der USA vorgegebene Projektion.

    Eine Politik, die sich nicht für die Probleme der Menschen interessiert, sondern die Interessen anderer umsetzen will, kann keinen Bestand haben.

    Noch haben die etablierten Parteien die Möglichkeit sich zu besinnen, aber die Zeit wird knapp.

  • Interessanter Artikel!



    Leider leben wir in Zeiten, die wieder von Militarismus und teilweise Bellizismus geprägt sind. Die Debatte ist bisher sehr einseitig gewesen. Wer Kritik äußert und zb "nur" für eine maßvolle Aufrüstung plädiert wird gleich als "Putinfreund" abgestempelt. Ich hoffe, dass das "auch" in Zukunft stärker debattiert wird.



    Ich möchte nicht, dass die AFD weiterhin davon profitiert, dass sich für viele Menschen das Leben verschlechtert. Auch finde ich die Vorstellung, dass Deutschland in ein paar Jahren von der AFD regiert wird und Deutschland dann über die stärkte konventionelle Armee in Europa verfügen könnte beängstigend.

    • @Alexander Schulz:

      Wir haben - nachdem wir die Bundeswehr über 20 Jahre ziemlich kaputt gespart haben - die Grenze der "maßvollen" Aufrüstung angesichts der realen Bedrohungen sicher noch nicht überschritten. Wir steigen ja lächerlich weit unten ein.

      Die Debatte ist nicht zuletzt deshalb so einseitig, weil auch die Kritik (zumindest auf der Straße) meist sehr einseitig daherkommt.

      Das die Regierungen in Deutschland in diesem Jahrhundert bisher eher schlecht regiert haben, hat mit der Bundeswehr wenig zu tun. Eher mit Opportunismus wie dem eines Jens Spahn.