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Debatte um FußballhymneDas „Herz von St. Pauli“ schlägt nicht mehr am Millerntor

Jan Kahlcke
Kommentar von Jan Kahlcke

Der FC St. Pauli versteht sich als antifaschistischer Klub. Nun ist man auf die NS-Vergangenheit des Texters der inoffiziellen Vereinshymne gestoßen.

Prinzipiell gibt es ein antifaschistisches Grundverständnis im Stadion vom FC St. Pauli Foto: Marcus Brandt/picture alliance/dpa

P fiffe gegen den Präsidenten Oke Göttlich im Millerntorstadion – was ist los beim FC St. Pauli? Es geht um die inoffizielle Vereinshymne, die die Fans seit 20 Jahren vor Spielbeginn anstimmen – bis zu diesem Heimspiel gegen den SC Freiburg. „Das Herz von St. Pauli“ ist der Titel der Schmonzette. Bekannt geworden ist sie in der Interpretation von Hans Albers im gleichnamigen Kriminalfilm von 1957. Und da fangen die Probleme schon an: Albers war im Nationalsozialismus ein gefeierter Star, der sich für die Propaganda des Regimes hergab, auch wenn er sich im Privaten davon distanzierte.

Mit diesem janusköpfigen Künstler hatte sich der dezidiert antifaschistische Klub arrangiert. Doch nun haben Recherchen des Vereinsmuseums zu Tage gebracht, wer den Text geschrieben hat: Josef Ollig, unter Pseudonym. Ollig wurde 1929 Redakteur der stramm rechten Hamburger Nachrichten, die den Nazis den Weg ins Hamburger Bürgertum ebneten.

Im Krieg war Ollig dekorierter Kampfflieger und „Kriegsberichter“ in einer Propagandakompanie. Er verherrlichte die Erfolge der Wehrmacht – und stellte sowjetische Kriegsgefangene als Untermenschen dar.

„So sehr man sich müht, man findet nichts als trostlose Stumpfheit“, schrieb er 1941 über 3.000 Kriegsgefangene, die an ihm vorbeizogen. „Das ist kein Zug von Menschen. Sie gleichen Halbwilden, die mit Gleichgültigkeit ihr Schicksal tragen und tief versunken sind im dunklen Abgrund einer Primitivität, die ob ihrer Armut an Geist und Gefühl erschüttert.“ Ollig wundert sich: „Da ist niemand mehr, der noch aufrecht geht wie ein Mann“ – nachdem er vorher geschrieben hat, die Gefangenen hätten auf ihrem Marsch seit drei Tagen nichts als Wasser und Brot bekommen. „Niemand, auf dessen Gesicht etwas geschrieben steht vom Erlebten dieser Stunde, und sei es auch nur ein Schimmer von Freude darüber, daß dieses nackte Leben gerettet worden ist.“ Die Gefangenen werden geahnt haben, was ihnen in deutscher Kriegsgefangenschaft droht: Hunger, Zwangsarbeit und Tod.

Heimattümelnder Seefahrtkitsch

Dieser Josef Ollig wurde ein Jahr nach Kriegsende Ressortleiter bei der Zeitung Die Welt, später stieg er beim Hamburger Abendblatt zum stellvertretenden Chefredakteur auf. Ein Umstand, den das Blatt in seinen Texten zur aktuellen Auseinandersetzung um das Lied beharrlich beschweigt. Nebenbei textete Ollig Schlager wie „Das Herz von St. Pauli“. Der heimattümelnde Text voller Seefahrtkitsch war zwar schon immer zum Fremdschämen, lässt aber keine Rückschlüsse auf die Nazivergangenheit der Autors zu.

Unter den St.-Pauli-Fans läuft nun die Debatte, ob es möglich ist, den „Künstler“ vom Werk getrennt zu betrachten, oder ob das Lied gar qua Aneignung durch die Fanszene umgewertet ist. Vereinspräsident Göttlich versuchte, eine Brücke zu bauen, indem er darauf verwies, dass aus den Stadionlautsprechern ja nicht das Original erklingt, sondern eine Schrammelversion der Hamburger Punkbands Phantastix und Elf.

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Der Verein hat sich mit seinen Fanklubs beraten und dem Lied eine Pause verordnet. In der soll das Vereinsmuseum seine Erkenntnisse schriftlich ausarbeiten. Danach wird es zu einem Abstimmungsprozess kommen, vermutlich auf einer Mitgliederversammlung. Dass es da nicht um einen simplen Mehrheitsentscheid gehen kann, machte St. Paulis Sicherheitschef Sven Brux, im Stadion neben Göttlich stehend, klar: „Eine Hymne im Stadion funktioniert nicht, wenn 20, 30 oder 40 Prozent dagegen sind.“

Wenn das gilt, ist schwer vorstellbar, dass im Stadion, das seit 1998 nicht mehr nach dem Nazi Wilhelm Koch heißt, wieder „Das Herz von St. Pauli“ gegrölt wird.

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Jan Kahlcke
Redaktionsleiter
Jan Kahlcke, war von 1999 bis 2003 erst Volontär und dann Redakteur bei der taz bremen, danach freier Journalist. 2006 kehrte er als Redaktionsleiter zur taz nord in Hamburg zurück
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1 Kommentar

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  • "Am Millerntor tags um halb vier. Ob Du'n Pils hast oder 'n Bier. Stört und kümmert uns nich, denn ganz sicherlich/ siegen wir - heute und hier ..."

    Schickt es dem Verein. Nehmt es, ich bin gewiss antifaschistisch genug als Texter.