Debatte um Einrichtung in Hamburg-Altona: Jugendliche wollen nicht hungern
Junge Geflüchtete erneuern Vorwürfe gegen Hamburger Träger Sternipark im Jugendhilfeausschuss. Politiker reagieren betroffen, Träger verteidigt sich.
Der 16-jährige Junge afghanischer Herkunft lebt seit fast einem Jahr in der Theodorstraße. Eine Einrichtung, die der Träger Sternipark Ende 2022 eröffnete, um die Engpässe in der Erstversorgung von minderjährigen unbegleiteten Flüchtlingen zu lindern. 48 Plätze sollte es geben, dem hatte auch der Jugendhilfeausschuss Altona zugestimmt, unter Vorbehalt, denn eigentlich hielt man dort weder die Immobilie – eine in den 1990ern umgebaute Lagerhalle – noch den Träger für sonderlich geeignet.
Doch seit Kurzem ist die Platzzahl auf 67 aufgestockt, es kamen mehr Betten in die Zimmer und es gab Beschwerden. Wie die taz berichtete, protestierten am 15. November über 20 Jugendliche beim Kinderschutzbund. Sie schickten Videos von engen Zimmern und einer leeren Frühstückstafel.
Doch seitdem ihre Proteste publik sind, sei es eher noch schlechter geworden, berichtet der Jugendliche. Ein Übersetzer habe gedroht, sie kämen in eine Einrichtung für Erwachsene, wenn sie sich weiter beschwerten. Ein anderer Junge erzählt, er sei schon vier, fünf Monate in Deutschland und gehe noch nicht zur Schule. Er wolle Deutsch lernen, doch der Kurs in der Einrichtung reiche nicht.
Andere Einrichtungen zahlen Essensgeld
Begleitet wurden die Jugendlichen von der Hamburger Ombudsstelle für Kinder- und Jugendhilfe (OHA). Es gebe dort seit Mai etliche Beschwerden über die Theodorstraße, auch von Vormündern und Lehrkräften der Schulen, sagte OHA-Leiterin Anja Post-Marstens.
Sternipark-Geschäftsführerin Leila Moysich kam im Anschluss zu Wort. Sie sagte, sie könne in einigen Punkten die Unzufriedenheit verstehen, etwa weil es oft dauere, bis ein Jugendlicher einen Schulplatz bekäme. Das könne aber Sternipark nicht ändern. Doch für Verpflegung sei gut gesorgt, das könne sie mit Mengenangaben belegen. Sie könne „ausschließen“, dass es Jugendliche gab, die in der Zeit von 6 Uhr früh bis 10.30 Uhr in der Einrichtung kein Frühstück vorfinden. Sollte etwas fehlen, werde nachgelegt.
Man habe die Belegung auf 67 erhöht, um zu verhindern, dass Jugendliche in Zelten wohnen. In drei Fällen wohnten nun drei in Zweibettzimmern, weil Freunde zusammenziehen wollten. Die Zimmer mäßen zwischen 13,98 und 27,12 Quadrameter.
Hoch her ging es, als ein Ausschussmitglied Moysich fragte, ob sie eine Erklärung für die Kritik habe. Moysich sagte, beim Essen gebe es „in der Tat einen Konflikt um Finanzmittel“. Denn in den Einrichtungen des städtischen Landesbetriebs bekämen die Jugendlichen neben Taschengeld auch Geld für Lebensmittel, das auch für anderes verwendet werden könnte. Es gebe viele, die mit „schwerem finanziellen Druck“ herkämen, etwa weil sie Schlepper bezahlen müssten.
Daraufhin merkte Linken-Bezirkspolitiker Volker Vödisch an, die Jugendlichen hätten mit keinem Wort mehr Geld verlangt, sondern wollten besser verpflegt werden. Die Jugendlichen rege das Gesagte sehr auf, sagte auch die Übersetzerin: „Hier wurde die Ehre verletzt. Geld spielt für die Jugendlichen keine Rolle.“
Jugendamt übt auch Kritik
Die Träger-Chefin bemerkte noch, es gebe bei anderen Bewohnern Unverständnis über das Geschilderte. „Es gibt eine Menge Jugendliche, die heute hier nicht sitzen.“
Allerdings gab es am 22. November dort einen Besuch von zwei Mitarbeitern des Jugendamts Altona und einem Mitarbeiter der Sozialbehörde. Man habe dort die Jugendlichen in drei Gruppen aufgeteilt und Sprachmittler dabei gehabt, berichtete Jugendamtsmitarbeiter Christian Dreyer-Witt dem Ausschuss. „Die Bewohner haben das, was hier heute Abend auch vorgetragen wurde, in allen drei Gruppen genau so wiedergegeben.“ Sie hätten ausdrücklich gewünscht, zur Schule zu gehen, und gesagt, dass der Sprachkurs vor Ort viel zu kurz sei. Räume für den Sprachkurs gebe es zwar, aber die reichten für die Menge nicht aus. Damit die jungen Menschen ihre Zeit sinnvoll nutzen können, müsse das pädagogische Angebot ausgeweitet werden. „Die Einrichtung braucht insgesamt mehr Atmosphäre“, sagte Dreyer-Witt. „Also es ist da schon sehr karg.“ Auch ein Vertreter umliegender Jugendklubs erklärte, man habe vergeblich versucht, Kontakt aufzubauen und würde gern kooperieren.
Der Ausschuss will im Januar die Sozialbehörde zum Sternipark befragen. „Es ist gut, dass das Anliegen der Jugendlichen vor den politischen Ausschuss gelangt ist“, sagte Volker Vödisch nach der Sitzung. Er sei von den Berichten der Jungen geschockt. „Da muss man Abhilfe schaffen.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Debatte um SPD-Kanzlerkandidatur
Schwielowsee an der Copacabana
BSW und „Freie Sachsen“
Görlitzer Querfront gemeinsam für Putin
Urteil nach Tötung eines Geflüchteten
Gericht findet mal wieder keine Beweise für Rassismus
Papst äußert sich zu Gaza
Scharfe Worte aus Rom
Waffen für die Ukraine
Bidens Taktik, Scholz’ Chance
Unterwanderung der Bauernproteste
Alles, was rechts ist