Debatte übers Böllerverbot in Berlin: Knallköpfe dürfen weiter krachen
Der Regierende Bürgermeister strebt eine bundeseinheitliche Lösung in Sachen Böllerverbot an. Die jährliche Debatte darüber endet wie immer.
Sein Geld kann man auch online verpulvern: aktuelle Werbung in Berlin Foto: picture alliance/Wolfgang Kumm/dpa
Nie war Berlin einem effektiven Böllerverbot an Silvester so nah, wie in diesem vermaledeiten Coronajahr 2020. Nie wäre es so einfach und logisch gewesen, den öffentlichen Verkauf von Raketen, Batterien und Knallfröschen zu untersagen, denn dieses konkrete Verbot bräuchte es dafür: Wo keine Böller, da keine Böllerei, da kaum angeheiterte nachbarschaftliche Umarmungsorgien auf der Straße um 24 Uhr, keine Nachbildung von Straßenkämpfen und keine unnötigen Schichten in den wegen Corona bereits am Limit arbeitenden Krankenhäusern.
Ein schlichtes bundesweites Verkaufsverbot hätte aufwendig abgesperrte Verbotszonen und aufreibende Kontrollen durch die Polizei unnötig gemacht. Und über die paar Knallerreste, die noch in den Schubladen herumlagen, oder die paar geschmuggelten Kracher aus östlichen Nachbarländern, über die hätte man dezent hinweggehört.
Das Jahr 2020 ohne sinnlos abgetrennte Finger und schwer verletzte Zehnjährige zu beenden, ohne viel unnötigen Feinstaub in der Luft und ohne rotschimmernde Knallerreste am Boden: Das wäre angemessen gewesen nach zehn Monaten Pandemie und ein Zeichen an jene, die in dieser Zeit oft Alltagshelden genannt wurden, etwa die Pfleger in den Kliniken.
Aber der auch unter Druck der Berliner Grünen forcierte Verbotsvorschlag endete in der entscheidenden Sitzung der Kanzlerin mit den MinisterpräsidentInnen am Mittwoch wie einer dieser „Heuler“ genannten Miniraketen: Erst krass laut, aber nach drei Sekunden vorbei.
Bundesweit einheitliche Lösung?
Am Ende haben Angela Merkel und die LänderchefInnen Silvesterfeuerwerk lediglich auf belebten Plätzen und Straßen untersagt. Wie die konkreten Vorgaben aussehen werden, damit soll sich laut Berlins Regierendem Bürgermeister die Ministerpräsidentenkonferenz noch mal am 2. Dezember befassen. Er strebe eine bundesweit einheitliche Lösung an, sagte Michael Müller (SPD) am Donnerstagabend nach der Senatssitzung.
Angesichts der Inkonsequenz vieler Beschlüsse vom Mittwoch ist diese Haltung zum Böllern konsequent: Wer zuvor extra verschärfte Kontaktbeschränkungen über Weihnachten massiv lockert, der darf seinen BürgerInnen auch nicht die Freude am Knallen nehmen wollen. Die heidnisch-christlichen Spiele müssen bleiben, egal wie hart das Brot danach schmeckt.
Natürlich hätte ein Verbot einen weiteren Verzicht auferlegt: Viele Menschen haben fast kindlichen Spaß am Böllern, am Raketen betrachten, am Zündeln, und es ist auch nichts dagegen zu sagen, sein Leben lang irgendwo ein Kind zu bleiben. Und natürlich hätte sich die Politik dem Vorwurf ausgesetzt gesehen, die Pandemie nur als Vorwand zu nutzen, um eine Maßnahme durchzusetzen. Aber wäre das so schlimm, da es sich um eine schlichtweg logische und sinnvolle Maßnahme handelt?
In vielen anderen Städten der Welt ist man längst zu dieser Einsicht gekommen
In vielen anderen Städten der Welt ist man längst zu dieser Einsicht gekommen. Und die Menschen dort leben trotzdem noch. In anderen Ländern wird auch viel schärfer gegen Zigaretten vorgegangen, und auch dort leben die Menschen noch. Und in anderen Städten werden ganze zentrale Bereiche für den Autoverkehr gesperrt und von FußgängerInnen zurückerobert. Und diese Städte sind bisher nicht untergegangen.
Ein allgemeiner Verzicht auf Böller in diesem Jahr – und erst mal nur in diesem – hätte gezeigt, was fehlt, wenn nicht geknallt wird, und was nicht fehlt. Viele wären sicher erstaunt gewesen.
Debatte übers Böllerverbot in Berlin: Knallköpfe dürfen weiter krachen
Der Regierende Bürgermeister strebt eine bundeseinheitliche Lösung in Sachen Böllerverbot an. Die jährliche Debatte darüber endet wie immer.
Sein Geld kann man auch online verpulvern: aktuelle Werbung in Berlin Foto: picture alliance/Wolfgang Kumm/dpa
Nie war Berlin einem effektiven Böllerverbot an Silvester so nah, wie in diesem vermaledeiten Coronajahr 2020. Nie wäre es so einfach und logisch gewesen, den öffentlichen Verkauf von Raketen, Batterien und Knallfröschen zu untersagen, denn dieses konkrete Verbot bräuchte es dafür: Wo keine Böller, da keine Böllerei, da kaum angeheiterte nachbarschaftliche Umarmungsorgien auf der Straße um 24 Uhr, keine Nachbildung von Straßenkämpfen und keine unnötigen Schichten in den wegen Corona bereits am Limit arbeitenden Krankenhäusern.
Ein schlichtes bundesweites Verkaufsverbot hätte aufwendig abgesperrte Verbotszonen und aufreibende Kontrollen durch die Polizei unnötig gemacht. Und über die paar Knallerreste, die noch in den Schubladen herumlagen, oder die paar geschmuggelten Kracher aus östlichen Nachbarländern, über die hätte man dezent hinweggehört.
Das Jahr 2020 ohne sinnlos abgetrennte Finger und schwer verletzte Zehnjährige zu beenden, ohne viel unnötigen Feinstaub in der Luft und ohne rotschimmernde Knallerreste am Boden: Das wäre angemessen gewesen nach zehn Monaten Pandemie und ein Zeichen an jene, die in dieser Zeit oft Alltagshelden genannt wurden, etwa die Pfleger in den Kliniken.
Aber der auch unter Druck der Berliner Grünen forcierte Verbotsvorschlag endete in der entscheidenden Sitzung der Kanzlerin mit den MinisterpräsidentInnen am Mittwoch wie einer dieser „Heuler“ genannten Miniraketen: Erst krass laut, aber nach drei Sekunden vorbei.
Bundesweit einheitliche Lösung?
Am Ende haben Angela Merkel und die LänderchefInnen Silvesterfeuerwerk lediglich auf belebten Plätzen und Straßen untersagt. Wie die konkreten Vorgaben aussehen werden, damit soll sich laut Berlins Regierendem Bürgermeister die Ministerpräsidentenkonferenz noch mal am 2. Dezember befassen. Er strebe eine bundesweit einheitliche Lösung an, sagte Michael Müller (SPD) am Donnerstagabend nach der Senatssitzung.
Angesichts der Inkonsequenz vieler Beschlüsse vom Mittwoch ist diese Haltung zum Böllern konsequent: Wer zuvor extra verschärfte Kontaktbeschränkungen über Weihnachten massiv lockert, der darf seinen BürgerInnen auch nicht die Freude am Knallen nehmen wollen. Die heidnisch-christlichen Spiele müssen bleiben, egal wie hart das Brot danach schmeckt.
Natürlich hätte ein Verbot einen weiteren Verzicht auferlegt: Viele Menschen haben fast kindlichen Spaß am Böllern, am Raketen betrachten, am Zündeln, und es ist auch nichts dagegen zu sagen, sein Leben lang irgendwo ein Kind zu bleiben. Und natürlich hätte sich die Politik dem Vorwurf ausgesetzt gesehen, die Pandemie nur als Vorwand zu nutzen, um eine Maßnahme durchzusetzen. Aber wäre das so schlimm, da es sich um eine schlichtweg logische und sinnvolle Maßnahme handelt?
In vielen anderen Städten der Welt ist man längst zu dieser Einsicht gekommen
In vielen anderen Städten der Welt ist man längst zu dieser Einsicht gekommen. Und die Menschen dort leben trotzdem noch. In anderen Ländern wird auch viel schärfer gegen Zigaretten vorgegangen, und auch dort leben die Menschen noch. Und in anderen Städten werden ganze zentrale Bereiche für den Autoverkehr gesperrt und von FußgängerInnen zurückerobert. Und diese Städte sind bisher nicht untergegangen.
Ein allgemeiner Verzicht auf Böller in diesem Jahr – und erst mal nur in diesem – hätte gezeigt, was fehlt, wenn nicht geknallt wird, und was nicht fehlt. Viele wären sicher erstaunt gewesen.
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Kommentar von
Bert Schulz
Ex-Leiter taz.Berlin
Jahrgang 1974, war bis Juni 2023 Leiter der Berlin-Redaktion der taz. Zuvor war er viele Jahre Chef vom Dienst in dieser Redaktion. Er lebt seit 1998 in Berlin und hat Politikwissenschaft an der Freien Universität studiert.
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