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Debatte über Fotos aus ButschaKrieg ist nicht erträglich

Wie viel Grauen Medien aus dem Ukraine-Krieg zeigen sollen, ist umstritten. Doch die Gewalt des Krieges zu verschleiern, darf keine Option sein.

Ein Journalist auf einem zerstörten Fahrzeug in Butscha Foto: Felipe Dana/ap

Seit vergangenem Sonntag kann man den grausamen Bildern nicht mehr entkommen. Nach dem Rückzug der russischen Truppen aus Butscha, einem Vorort von Kiew, wurde ein Massaker sichtbar. Die Leichen Hunderter Ukrai­ne­r*inn­nen wurden auf den Straßen, in Kellern und in Vorgärten entdeckt. In der „Tagesschau“ wird am Abend ein Video des ukrainischen Verteidigungsministeriums gezeigt: Autos fahren Slalom auf Butschas Straßen, um keine der Leichen am Straßenrand zu überfahren. Es folgen Fotos internationaler Nachrichtenagenturen, die getötete Menschen mit gefesselten Händen zeigen, neben ihnen liegen ihre Fahrräder oder Einkaufstaschen. Die Gesichter der Leichen sind verpixelt.

Der Beitrag dauert nur wenige Minuten, beim Zuschauen verkrampft sich alles in der Bauchgegend, man muss gegen den Drang ankämpfen, sich die Hände vor das Gesicht zu schlagen. Dabei sind die gezeigten Aufnahmen fast zurückhaltend im Vergleich zu dem, was sich an diesem Abend in anderen Medien finden lässt. International werden Nahaufnahmen von Gesichtern der Leichen, abgetrennte Gliedmaßen oder ein Soldat mit einem getöteten Baby in den Händen gezeigt.

Die deutsche Presse geht unterschiedlich mit den Bildern um: mal aus der Ferne, mal verpixelt, mal in Frontalansicht. Auch auf Plattformen wie Instagram, Twitter, Reddit oder Facebook wurden unzählbare Fotos und Videos aus Butscha geteilt. Ähnlich präsent wie die Fotos war an diesem Abend in den sozialen Medien nur die Warnung: Zeigt keine Bilder der Opfer!

Denn wie viel Leid und Elend man aus einem Krieg zeigen soll, was den Opfern gerecht wird und wie viel man dem Publikum zumuten kann, darüber gibt es in Deutschland eine medien-ethische Debatte, die nicht erst seit dem russischen Massaker in Butscha existiert. Anfang März diskutierte die deutsche Öffentlichkeit über das Foto der Pulitzer-Preisträgerin Lynsey Addario, das auf der Titelseite der New York Times erschien. Darauf zu sehen war eine vierköpfige Familie, die auf der Flucht Opfer eines russischen Artillerieangriffs wurde. Und auch bei früheren Aufnahmen, die heute als ikonisch gelten, gab es Debatten: Etwa beim Foto des dreijährigen syrischen Alan Kurdi, dessen Leiche 2015 am Strand angespült wurde.

Es ist wichtig, Bilder zu zeigen

Die Motivation der Warnenden mag ehrenwert sein, sie argumentieren mit der Würde und den Persönlichkeitsrechten der Opfer. Oder sie weisen daraufhin, dass die Bilder zu grausam sein könnten, dass die Menschen verschrecken oder abstumpfen könnten. Kriegsbilder sind furchtbar. Doch es ist wichtig, sie zu zeigen. Und zwar aus mehreren Gründen: zur Dokumentation des Kriegsgeschehens und um die Weltbevölkerung zu informieren. Sie können wichtiges Beweismittel für Ermittlungsbehörden oder den internationalen Strafgerichtshof in Den Haag sein und sie können dafür sorgen, dass niemand mehr weggucken kann.

Denn Bilder funktionieren anders als Text: Sie berühren uns sofort emotional und hindern uns am Vergessen. Bilder haben die Macht, Kriege zu verändern, weil sie Kriegsparteien oder andere Beteiligte beeinflussen können. Und natürlich haben die Kriegsparteien ein Interesse daran, welche Bilder um die Welt gehen. Deswegen geht mit der Veröffentlichung von Kriegsfotografien eine Verantwortung einher.

Wie wäre die Situation ohne Bilder?

Eine der Kri­ti­ke­r*in­nen der Praxis, Bilder wie die aus Butscha weiterzuverbreiten, ist die Medienethikerin Claudia Paganini. Sie sagt im Interview mit der Süddeutschen Zeitung, dass Medien diese Bilder zeigen würden, um höhere Klickzahlen zu generieren. „Schockierende Bilder“ brauche man heute nicht mehr. Denn, so erklärt sie: „Wir haben in Europa einen Konsens, dass Krieg negativ ist.“ Als Alternative schlägt sie vor: „Bilder, die Empathie auslösen und positive Gefühle wecken.“ Doch es ist nicht die Aufgabe von Journalismus, mit Kriegsbildern „positive Gefühle“ zu wecken. Im Gegenteil: Journalismus soll dokumentieren und uns das Grausame erklären, das Hunderte Kilometer entfernt von uns stattfindet.

Russland führt einen Krieg, der auf Desinformationen basiert. So gibt es, obwohl Dutzende Jour­na­lis­t*in­nen in Butscha berichtet und fotografiert haben, die Vorwürfe, die Ukraine habe den Fall nur inszeniert. Und es gibt Menschen, die das glauben. Wie wäre die Situation, wenn es nicht einmal die Bilder gäbe?

Die Würde der Menschen bleibt gewahrt

In der Debatte, was angemessen ist, kommt immer wieder das Argument der Würde der Opfer auf. Doch die Würde wird den Menschen nicht durch die Fotos genommen, sondern durch die sexualisierte Gewalt, durch die Schändung und Ermordung. Bilder machen nicht schlimmer, was passiert ist, sie machen es sichtbar. Viele Angehörige, so auch im Fall der getöteten Familie, die von Addario fotografiert wurde, befürworten es, wenn Bilder verbreitet werden. Sie möchten, dass die Weltöffentlichkeit von den Verbrechen erfährt, die ihren Liebsten angetan wurden.

Doch der Deutsche Presserat hat zugleich natürlich Recht, wenn er zu einem sorgsamen Umgang mit den Fotos aufruft. Denn es kann nicht sein, dass es heißt: je grausamer, desto wirkungsvoller. Gewalt, die stattfindet, darf nicht verschleiert werden. Es ist also ein Balanceakt, und es ist eine journalistische Aufgabe zu entscheiden, was zu zeigen ist und was nicht. Wichtig ist neben der Verifizierung der Bilder, dass die Motivation klar ist: nämlich die Dokumentation und Aufklärung.

Auf Fotos verzichten ist keine Alternative

Deswegen ist es auch ein Unterschied, ob sie in sozialen Medien geteilt werden oder durch journalistische Berichterstattung eingeordnet und mit der nötigen Hintergrundinformation versehen sind. Die Forderung, ganz auf diese Bilder zu verzichten, geht mit dem Wunsch einher, die Situation für uns erträglicher zu machen. Doch Krieg ist nicht erträglich. Und so darf es auch hier vor Ort nicht dargestellt werden.

Natürlich kann man auch mal Pause vom Nachrichtengeschehen machen. Und es spricht auch nichts gegen Warnhinweise oder dagegen, dass Bilder erst nach einer Zustimmung angezeigt werden – gerade für jüngere Menschen kann das hilfreich sein und auch um Menschen mit Kriegs- und Fluchterfahrung vor einer Re­traumaisierung zu schützen. Doch ganz auf die Fotos zu verzichten, kann keine Alternative sein. Die Grausamkeiten des Krieges dürfen nicht verschleiert werden – auch, wenn es schwer anzusehen ist.

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10 Kommentare

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  • Jedes Kriegsopfer ist eins zu viel. Kriegsgräuel müssen gezeigt werden. Auch die Bilder von Hiroshima und Nagasaki dürfen nicht vergessen werden. Mehr Waffen erhöhen die Opferzahlen. Wer sie liefert oder sich anders am Krieg beteiligt, muss diese Zahlen abschätzen. Das war im Krieg gegen das zerfallende Jugoslawien nicht so schwer. Womit in einem Krieg der NATO gegen Russland zu rechnen wäre, ist unvorstellbar.

  • Noch ein Aspekt: im Bestreben, den Krieg als etwas Steriles darzustellen, landet man in der Ukraine sehr, sehr schnell bei der einen Einheit, deren offizielles Video- und Bildmaterial in der Regel nicht den Krieg aus nächster Nähe zeigt, wie er ist, sondern von ihrer Presseabteilung auf leichte Konsumierbarkeit für Menschen in "westlich-zivilisierten" Ländern zurechtgeschnitten ist, den Krieg wie ein Computerspiel und die ukrainischen Truppen wie strahlende Helden erscheinen lässt: bei den Asow-Faschos.

    "Aus Pietätsgründen" rechte Propaganda verbreiten, weil von den normalen ukrainischen Truppen vorwiegend wackelige Handyvideos voll Blut, Ruinen und Leichen veröffentlicht werden - ein doppelt dämlicher Move, denn es verdeckt nicht nur das wahre Wesen dieses Kriegs, sondern gibt auch noch den rechtesten der Rechten in der Ukraine eine Plattform.

  • Mir reichen schon die Überschriften. Die Bilder muß ich mir nicht ansehen. Dafür stimme ich Euch vollkommen zu, das diese Gräuel gezeigt werden müssen. Wenn Eltern ihre Kinder Nachrichten sehen lassen, entsteht bestimmt ein Problem. Ist scho schlimm, was Kinder nebenbei mitkriegen. Dann muß man dringend mit Kindern sprechen. Zu "erklären" ist alles nicht...

  • Krieg bringt Leid. Und die Gewalt des Krieges zu verschleiern, darf keine Option sein. Aber der Versuch, über die Medien andere Länder zu beeinflussen und in die Auseinandersetzung mit hineinzuziehen darf auch keine Option sein. Und da sollte sich Deutschland besser dagegen verwehren!

  • Ein sehr kluger Kommentar. Ich kann als ehemaliger Krisenfotograf alles unterschreiben.

    Den Medien ist in Deutschland bei der Darstellung des Krieges bisher eine sehr gute, überlegte Arbeit zu attestieren. Vorwürfe, die etwas drastischere Bildauswahl diene den Klickzahlen, sind zynische Unterstellungen. Daran denkt kein Bildredakteur bei solchen Bildern. Er wünscht sie sich auch nicht, sichtet sie dann aber aus professionellen Motiven.

    Im Gegensatz zu anderen Ländern geht man hierzulande verantwortungsvoll mit dem Informationsauftrag um, wie mit dem Wissen, niedere Instinkte zu bedienen. Dabei ist immer elementar, in welchen Kontext solche Bilder eingebettet sind.

    Ich selber habe im Kroatienkrieg fotografiert. Diese Bilder waren historisch. Sie zeigten die Situation, nicht aber einzelne Menschen. Die Bilder dienten dazu, den Riss zu dokumentieren, der auf einmal Dörfer und Menschen entzweite.Gab es Blut? Ja, gab es. Symbolisierte das Blut das Auseinanderbrechen eines Staates? Nein, tat es nicht; es wäre sensationsgierig gewesen. Die Bilder waren nicht Srebrenica. Das wäre Pflicht gewesen. Aber so – Karlovac: Ich fotografierte andere Szenen. Diese Bilder wurden freigegeben.

    Ich habe schwere Motorradunfälle fotografiert. Aus nächster Nähe. Die Polizei bat darum. Die Bilder dienten der Unfallrekonstruktion. Ich übergab mich im Graben. Die Bilder wurden nicht freigegeben. Wozu auch? Was hätten sie symbolisieren können, außer Leid? Sie wären eine zusätzliche Belastung für die Angehörigen gewesen, hätten ihre Trauerarbeit gestört. Erkenntnisgewinnung für die Öffentlichkeit? Gleich Null!

    Ukraine 2022 ist eine in Europa einmaliger Situation. Es finden Kriegsverbrechen statt. Es finden Verbrechen gegen die Menschlichkeit statt. Das muss man dokumentieren. Medien, die danach Werbung schalten, könnten sich überlegen, ob sie das verdiente Geld spenden. Aber sonst: Ist es ein Dienst für unsere Demokratie, unsere Gesellschaft. Unsere Verantwortung.

  • Ein Bild sagt mehr als tausend Worte, aber der fötide und penetrante Leichengeruch bei einsetzender Verwesung ist um ein vielfaches unerträglicher in der Kombination bei der medizinischen Exploration oder einer Konfrontation. Wer kennt sie nicht, die Bilder aus Buchenwald? Entsetzte junge Frauen, die als Zwangsmaßnahme die Opfer der Nazis face to face ansehen mussten? Eine jüngere Variante des allerdings freiwillig zelebrierten Horrors ist ein devianter digitaler Dark Tourism. Viele bildaffine NutzerInnen des Internets haben Enthauptungsvideos regelrecht konsumiert. (!)Schau hin(!), ein Imperativ nicht zum Voyeurismus, sondern zur Realitätswahrnehmung in einer Gesellschaft, die allabendlich Tötungsdelikte als TV-Betthupferl in telegener Kammerspielart konsumiert und nun so tut, als sei die Wirklichkeit zu brutal. Es mussten wohl wirklich erst "richtige Leichen" her, bis Brechts Vision, dass der Mensch dem Menschen ein Helfer sei (werde) wieder mit Wumms präsent wurde. Seine Bitte um Nachsicht der Nachgeborenen ist zu unterstreichen, wegen fortwährender Prokrastination Selbiger./



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    taz.de/Ueber-dem-K...engeruch/!1284591/



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    www.aerzteblatt.de...se-ich-den-Krieg//



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    staatsbibliothek-b...on-1871-bis-1932//



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    www.deutschlandfun...diskurs-100.html//



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    taz.de/Ich-habe-be...e-gesehen/!211470/



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    www.deutschlandfun...-gewusst-100.html/



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  • Volle Zustimmung.

  • Das bringt es sehr gut auf den Punkt.

  • Twitter spült das Grauen ungebremst auf den Screen. Da müssen Mainstream-Medien natürlich mithalten. Oder vielleicht lieber nicht den bellizistischen Voyeurismus bedienen? vor den Grauen schützen und auf Klicks verzichten? Das wäre zumindest eine Option.

  • Wer nicht hinschaut - sieht auch nichts. Das ist leider so.



    Und bekommt man nur schönes zu sehen, dann - na Verdrängen ist natürlich auch Selbstschutz.



    Trotzdem ist die Friedenspolitk der letzten Jahre auch deshalb gescheitert, weil zu viel weich und schön gespült wurde, häßliche Bilder ausgespart und abgedunkelt wurden. Jeder konnte hinschauen und sah nichts.Wer bei Menschenrechtsverletzungen wegschaut, um die schöne Energie billig zu bekommen, macht es nicht richtig.



    Halbherzige Rüstungspolitk und halbherzige Friedenspolitik hat eben keine Hand und keinen Fuß.



    Nach dem Bosnienkrieg ist es nun die Steigerung für Europa und bringt vielleicht näher, dass in der Krim, in Syrien, in vielen Ländern Afrikas, Asiens und Südamerika wegzuschauen und wirtschaftliche Interessen in den Vordergrund zu stellen (wir wollen doch unseren Reichtum nicht aufgeben) einfach zu kurzsichtig ist.



    Ja leider müssen endlich Bilder gezeigt werden, damit man überhaupt wegschauen kann, wenn der Mut für die Wirklichkeit fehlt.