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Debatte nach AngriffenAuf der Suche nach Hilfe

Eiken Bruhn
Kommentar von Eiken Bruhn

Nach Attacken von psychisch Kranken wie gerade in Hamburg wächst der Wunsch nach den einfachen Lösungen. Hilfreich wäre aber Vorbeugung.

Spurensicherung nach dem Messerangriff im Hamburger Hauptbahnhof Foto: Fabian Bimmer/reuters

A m Hamburger Hauptbahnhof wurden vergangene Woche 18 Menschen von einer psychisch kranken Frau durch Messerstiche verletzt, einige von ihnen lebensgefährlich. Wie nach ähnlichen Vorfällen steht die Frage im Raum, wie sich die Tat hätte verhindern lassen. Die Sehnsucht nach einfachen Antworten scheint groß. Im Fokus der breiten Öffentlichkeit stehen Menschen, die an der einen oder anderen Stelle eine falsche Entscheidung getroffen haben könnten. Etwa ein Arzt in einem der Krankenhäuser, in denen die mutmaßliche Täterin zuletzt behandelt wurde.

Die Innenminister der Bundesländer, die sich im Juni treffen, suchen die Antwort in einer von ihnen ausgemachten Gesetzeslücke. So hatten sie im Januar nach der Tat in Aschaffenburg, bei der ein psychisch Kranker ein Kleinkind und einen Erwachsenen getötet hatte, gefordert, den Schutz von Pa­ti­en­t:in­nen­da­ten bei psychischer Erkrankung aufzuweichen.

Auch dahinter steckt die Idee, dass man ein System etablieren könne, in dem das Gefährdungspotenzial von Menschen in einem psychischen Ausnahmezustand rechtzeitig und treffsicher erkannt wird, um sie dann wegzusperren. Das klingt so absurd, wie es ist. Menschen sind keine Maschinen – und selbst bei denen lässt sich nicht hundertprozentig voraussagen, wann sie auseinanderfallen. Und Wegsperren ist weder in der Theorie noch in der Praxis so einfach, wie es klingt.

Das komplizierte Ganze

Zudem verstellt die Konzentration auf den Einzelfall den Blick aufs Ganze. Das ist leider kompliziert, zumal es um das deutsche Gesundheitswesen geht. Das ist zum einen zweigeteilt in einen ambulanten und einen stationären Sektor, und die neiden sich gegenseitig das Geld der Krankenkassen.

Zum anderen funktioniert es nach dem Grundsatz der Behandlung von Krankheiten und nicht der Verhinderung von deren Entstehen. Bei somatischen Erkrankungen klappt das einigermaßen: Wer mit einem gebrochenen Bein ins Krankenhaus kommt, verlässt dieses in der Regel gesünder. Bei psychischen Erkrankungen werden im besten Fall die Symptome in der Klinik gelindert – einer ursächlichen Behandlung steht der stationäre Aufenthalt eher entgegen.

Deshalb setzen einige Kliniken wie in Bremen und Schleswig-Holstein auf sogenannte Regionalbudgets, die es möglich machen, mehr Pa­ti­en­t:in­nen zu Hause zu behandeln.

Angebote, die präventiv wirken, werden nur als Modellprojekte unterstützt. Oder gar nicht, weil sie nicht als individuelle Maßnahmen konzipiert sind, sondern für Gruppen wie „Brynja“, ein Bremer „Fitnessstudio für die Psyche“.

wochentaz

Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.

Nachdenklich machen könnten auch Fälle wie jüngst in Bremen, wo ein Mann in psychotischen Zuständen in der Klinik Mitpatientinnen vergewaltigte. Er hatte zuvor sieben Jahre im niedersächsischen Umland gelebt, wo eine Flüchtlingshelferin und ein Hausarzt dafür sorgten, dass er einmal im Monat Medikamente nahm. „Ich bin freitagnachmittags zu ihm gefahren, wenn er nicht zum verabredeten Termin kam“, erzählt der Arzt der taz am Telefon. Und weil der junge Mann ihm vertraut habe, ließ er sich die Spritze geben. Gesundheitsfördernd seien wohl auch andere so­ziale Kontakte vor Ort gewesen.

Auffällig ist eine weitere Leerstelle in der öffentlichen Debatte: Medien berichten zwar ausführlich über Angriffe von psychisch Kranken, fragen aber nicht nach der eigenen Verantwortung für die Häufung. „Täterin stach wahllos zu“ titelt beispielsweise die Website der Frankfurter Rundschau und zeigt 25 Bilder. Auf einem sind nur Blutflecken auf dem Boden zu sehen. Dabei gibt es Hinweise darauf, dass bestimmte Formen der Berichterstattung Nachahmungs­taten fördern können.

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Eiken Bruhn
Redakteurin
Seit 2003 bei der taz als Redakteurin. Themenschwerpunkte: Soziales, Gender, Gesundheit. M.A. Kulturwissenschaft (Univ. Bremen), MSc Women's Studies (Univ. of Bristol); Alumna Heinrich-Böll-Stiftung; Ausbildung an der Evangelischen Journalistenschule in Berlin; Lehrbeauftragte an der Univ. Bremen; Systemische Beraterin (SG).
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4 Kommentare

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  • Wie auch dieser gelungene Artikel ist der Ableismus in unserer Gesellschaft ein Fakt.

  • Wichtige Punkte, die auch häufig übersehen werden:



    Die meisten Menschen mit psychischen Erkrankungen sind nicht gewalttätig und verletzen, wenn überhaupt, sich selbst. Daten über diese Menschen herauszugeben, würde also nicht "nur" die Rechte unschuldiger verletzen, sondern auch die Rechte all derer, die niemals irgendetwas tun werden.

    Zweiter Punkt: die gesundheitliche Versorgung ist sehr schlecht. Nicht nur, dass ein Klinikaufenthalt nur in manchen Fällen hilft - es gibt kaum Plätze, sogar bei Notfällen, und auf viele Dinge kann gar nicht eingegangen werden (z.B. ist immer unter Menschen sein, in Gruppentherapien und Mehrbettzimmern nicht für jede*n gut). Auf ambulante Therapie wartet man vor allem bei schweren Erkrankungen sehr lange und nach ein paar Jahren zahlt die Krankenversicherung nicht mehr für die Therapie.

    Es gibt viele Baustellen, an denen man arbeiten kann, Datenschutz und Rechte beschneiden gehört nicht dazu.

  • Den Schutz von Pa­ti­en­t:in­nen­da­ten bei psychischer Erkrankung aufzuweichen bedeutet doch nur, dass sich Menschen nicht mehr behandeln lassen, aus Furcht im Knast zu landen oder den Job zu verlieren.



    Dämliche Idee von profilierungsgeilen Politikern.

  • Der Mangel an Fachkräften zur Behandlung psychisch Erkrankter ist ein weitere Problem, dass seit mindestens 25 Jahren bekannt ist. So, wie auch alle anderen Personalmängel. Und es sind alle seitdem regierenden Parteien daran schuld. Aber auch mit der neuen Regierung ist keinerlei Abhilfe zu erwarten. Mindestens ebenso dramatisch ist auch der Mangel an fähigen Politikern. Und der dauert noch länger.