Debatte Wahlen in Polen: Die Macht wechselt, die Richtung nicht
Der Machtwechsel in Polen wird in Deutschland mit zu hohen Erwartungen überfrachtet. Politisch liegen der Wahlsieger Tusk und die Kaczynski-Brüder nicht weit auseinander.
D ie Schreckensherrschaft der "evil twins" ist vorbei, der Spuk hat ein Ende. Kein Regierungsmitglied aus Warschau wird mehr, zumindest in absehbarer Zeit, die Toten des Zweiten Weltkriegs gegen das Stimmengewicht im EU-Ministerrat aufrechnen oder einen europaweiten Tag gegen die Todesstrafe sabotieren, wie es die Kaczynski-Brüder getan haben. Donald Tusk sei Dank. Aber den Wahlausgang schlicht als "Zeichen demokratischer Reife" und Beweis dafür zu nehmen, dass die Polen aus ihrer "selbst verschuldeten Unmündigkeit" aufgewacht sind, wie manche Kommentatoren meinen, wäre dann doch zu kurz gedacht.
HOLGER MÜNCH (36) ist Politologe und beschäftigt sich mit den deutsch-polnischen Beziehungen. Jüngst erschien von ihm im VS-Verlag "Leitbilder und Grundverständnisse der polnischen Europapolitik".
Denn von der westeuropäischen Empörung über absurde Verlautbarungen aus Warschau ist bei den einfachen Leuten in Polen, insbesondere auf dem Land nur wenig angekommen. Und das Projekt der Kaczynskis, Warschau eine deutlich vernehmbare Stimme im europäischen Konzert zu verschaffen und sich dafür auch mal querzustellen, dürfte bei den meisten ihrer Stammwähler eher gut angekommen sein: Sie sind davon überzeugt, als Polen nur EU-Mitglieder zweiter Klasse zu sein.
Im Vergleich zu den Wahlen von 2005 hat die Kaczynski-Partei auch nicht wirklich verloren, sondern sogar rund sechs Prozentpunkte zugelegt - und das trotz aller Affären und Skandale. Machtpolitisch ging die Strategie des bisherigen Premiers Jaroslaw auf, die radikalen Populisten und Ultraklerikalen durch ihre Einbindung in die Regierung zu entzaubern, zu marginalisieren und aus dem Parlament zu drängen. Die "Selbstverteidigung" Leppers und die "Liga der Polnischen Familien" haben den Sprung über die Fünfprozenthürde deutlich verfehlt: Damit besetzt die Kazcynski-Partei nun ganz allein den rechten Rand.
Ihr Kalkül, sich die knapp zwanzig Prozent Stimmen einzuverleiben, die ihre bisherigen Partner bei den letzten Wahlen erreicht hatten, erwies sich jedoch als Milchmädchenrechnung. Am Ende wurde Jaroslaw Kaczynski damit zum Opfer seiner eigenen, sonst so erfolgreichen Spaltpilztaktik. Denn die ohnehin parteiskeptischen Polen aus den ländlichen Gebieten hat das skandalträchtige Auseinanderbrechen der alten Koalition nur in ihrer Auffassung bestärkt, dass "die da oben" doch allein an das eigene statt das Wohl des Landes denken. So blieben sie bei der Wahl denn auch frustriert zu Hause.
Die höher gebildeten und urbanen Polen wiederum trieb der putineske Regierungsstil der Zwillinge an die Urnen: Sie wollten um jeden Preis die weitere Demontage von Rechtsstaat und Demokratie verhindern. "Wähl, solange du noch kannst" lautete der sinnige Aufruf einer polnischen Zeitschrift. Die Zwillinge demobilisierten also ihre eigenen Stammwähler, während sie Tusk einen unerwartet hohen Stimmengewinn bescherten.
Kaczynski scheint daraus bislang wenig gelernt zu haben, wie sein an Verschwörungstheorien reicher Auftritt am Wahlabend zeigte. Er gab einen Vorgeschmack darauf, was er mit der "harten Opposition" meint, mit der er jede Initiative der neuen Regierung "zerpflücken" will: Die Strategie der Polarisierung und Zersetzung wird Polen wohl auch durch die künftige Legislaturperiode begleiten.
Sollte der moderater wirkende Präsident Lech Kaczynski zudem weiterhin als braver Erfüllungsgehilfe seines Bruders in Erscheinung treten, könnte dies zu einer Konfrontation zwischen neuer Regierung und altem Präsidenten führen und einer von Tusk angeführten Koalition das Leben ziemlich schwer machen. Schon jetzt fordern einige Getreue Unklarheiten der Verfassung bei der Machtverteilung auszunutzen und Ämter wie das des Außenministers selbst zu besetzen. Durch die Blockade wichtiger Gesetzesprojekte könnte die Regierung unter Druck geraten, den die Kaczynski-Getreuen durch Geldgeschenke und persönlichen Druck auf einzelne Abgeordnete nach Kräften verstärken würden. Der scheinbar komfortable Vorsprung von zehn Mandaten für das wahrscheinliche Bündnis aus Bürgerplattform und Bauernpartei könnte so möglicherweise schnell dahinschmelzen.
Die potenziellen Koalitionspartner sind sich von ihren Programmen her ohnehin nicht gerade grün. So vertritt die Bauernpartei eher sozialstaatliche Vorstellungen, mit denen sie der Kaczynski-Partei PiS nähersteht als den wirtschaftliberalen Ideen aus der Plattform von Tusk.
In der Europapolitik sind dieGemeinsamkeiten deutlich größer - sie weichen aber auch nicht sehr von denen der Kaczynskis ab: Beide Parteien hätten wohl die Nizza-Regelungen genauso vehement verteidigt wie die Ioannina-Klausel mit ihrer aufschiebenden Vetomöglichkeit, auf welche die Kaczynskis in Brüssel so gepocht haben. In ihrer Euphorie über den politischen Wechsel in Warschau übersehen westliche Beobachter den parteiübergreifenden Konsens in der Europapolitik.
Für den größten Teil der polnischen Parteien ist die EU nur ein Vehikel, um ihrem Land (wieder) zu Weltgeltung zu verhelfen. Durch die immer stärkere Durchdringung von nationaler und europäischer Ebene sehen sie die Basis der einzelstaatlichen Ordnung unterspült, welche als Ultima Ratio jeglicher Politik gilt. Aus diesem Grund haben auch die Vertreter der Bürgerplattform bislang eine klare Begrenzung der europäischen Integration gefordert; ein Verzicht auf das Vetorecht in "vitalen Bereichen" ist für sie ausgeschlossen. So bleibt in Fragen der "Moral", etwa bei Homosexualität oder Abtreibung, für sie die Entscheidungsgewalt des Nationalstaats zentral. Auch von den vielen Anhängern Tusks, die in diesen Fragen mit den Kaczynskis ein ähnlich konservativ-katholisches Weltbild teilen, wird die EU als eine potenzielle Bedrohung für traditionelle polnische, katholische Werte betrachtet.
In der Innenpolitik mag die Regierung deutlich andere Schwerpunkte setzen. Im deutsch-polnischen Verhältnis dagegen wird sich lediglich die Stimmung verbessern und die Zusammenarbeit leichter werden. So dürften die Hindernisse für die Arbeit des Deutsch-Polnischen Jugendwerks bald aus dem Weg geräumt sein. Für umwälzende Veränderungen ist der Spielraum jedoch eher begrenzt. Polen hat klar definierte Interessen, die sich in wichtigen Bereichen von denen Deutschlands und anderer europäischer Partner zu unterscheiden, was unter anderem schlicht mit der unterschiedlichen Größe und geografischen Lage zu tun hat.
Die Erwartungen auf einen dramatischen Wechsel sollten daher nicht allzu hoch geschraubt werden. Der Machtwechsel ist zwar sicher das Beste, was den deutsch-polnischen Beziehungen bei diesen Wahlen passieren konnte. Aber es wäre unrealistisch, von Tusk nun Wunder zu erwarten - etwa eine Abkehr von allgemein akzeptierten Interessen. Wer solche Erwartungen schürt, der ebnet nur der nächsten bilateralen Krise den Weg, die auf die Enttäuschung solcher überhöhten Erwartungen folgen würde. Tusk mag, wie er im Wahlkampf sagte, die Deutschen lieben - die Polen liebt er verständlicherweise noch etwas mehr.
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