Debatte Umweltbetrug bei VW: Die Perspektive der Täter
Im Diskurs um „Dieselgate“ dominiert die Ökonomie, die Opfer kommen nicht vor. Umweltgesetze waren schon immer das Feindbild der Autobauer.
D ie Schweiz stoppt den Verkauf von VW-Dieselmodellen. Die Umweltbehörden von Südkorea, Indien, Mexiko, Litauen, Singapur und vielen anderen Ländern ermitteln gegen VW. Die ganze Welt ist alarmiert und überzieht den Wolfsburger Konzern mit einer Flut von Klagen. Die „übergrünen Deutschen“ stehen am Umweltpranger, erwischt ausgerechnet von den US-Ökoschurken.
Reflexartig gilt bei uns die erste Sorge der Wirtschaft mit VW als Aushängeschild der Deutschland AG. Verschwindet das Gütesiegel „Made in Germany“ hinter stinkenden Abgaswolken? Was macht der VW-Börsenkurs? Wie soll es jetzt weitergehen, wo doch jeder sechste deutsche Arbeitsplatz – in Wahrheit jeder zwanzigste – an der Autoindustrie hängt?
Auch die taz stimmt die ökonomische Jeremiade an. Umstandslos wird der Umweltslogan der 80er Jahre – erst stirbt der Wald, dann stirbt der Mensch – umgedichtet zur neuen Formel: Erst stirbt VW, dann stirbt Deutschland.
Wer wirklich stirbt, sind exakt sieben Millionen Menschen weltweit, die nach Zahlen der Weltgesundheitsorganisation Jahr für Jahr Opfer der Luftverschmutzung werden. Luftverpestung ist „die wichtigste Einzelursache für Umweltsterblichkeit“, bilanziert die WHO. Der Verkehr hat einen großen Anteil daran.
Die Autoindustrie als Killer? Gesundheitsbelange kommen in der Aufarbeitung dieses Skandals ebenso wenig vor wie die Opfer. Allergiker und Asthmatiker, Umweltsensitive und Lungenkrebskranke, Alte und Kleinkinder, deren Nase knapp über Auspuffhöhe liegt – sie alle sind nur Statisten. Der Hinweis auf die Leidtragenden wird als grüne Moralsoße diffamiert. So bestimmt ausschließlich die Perspektive der Täter den Diskurs.
Grausliche Talkrunde
Kann VW das alles schultern?, fragt besorgt die sonntägliche Talkrunde. Und Grünen-Vorsteher Anton Hofreiter wird von Günther Jauch angeblafft, ob er denn die europäische Automobilindustrie in den Ruin treiben wolle. „Wollen Sie das!“ Ganz so, als hätten die Niedersachsen-Grünen sich nächtens in Wolfsburg eingeschlichen und sich an den Drosselklappen von Millionen Motoren zu schaffen gemacht.
Einer der wenigen, der aus der wirtschaftlichen Logik ausbricht und den Skandal nüchtern juristisch betrachtet, ist Jakob Augstein. Er bezeichnet die „Tricks“ und „Schummeleien“ von VW als das, was sie wirklich sind: ein Verbrechen.
Es wurde vorsätzlich, heimtückisch und mit hoher krimineller Energie über viele Jahre begangen. Inzwischen ermittelt die Staatsanwaltschaft Braunschweig gegen Ex-VW-Chef Winterkorn.
Dass die Verantwortlichen ins Gefängnis gehören, trauen sich bisher nur US-Politiker zu fordern. Aber sie haben recht. Seit dem BP-Skandal im Golf von Mexiko ist dies der heftigste Umweltfrevel. Doch während bei BP jeder sah, wie das Öl wochenlang ins Meer strömte, verteilen sich die Umweltgifte aus den Dieselfahrzeugen weitgehend unsichtbar.
Gegen grüne Latzhosenbrigaden
Wie konnte es dazu kommen? Softwaremanipulationen besorgt ja nicht der Praktikant mal nebenbei. Da sind Software-Entwickler und Motorenabteilungen involviert. Da muss getestet, gemessen und ausprobiert werden, ob der Betrug auch funktioniert. Das war keine Einzeltäterschaft oder das Werk einer kleinen Gruppe, da war der halbe Konzern beteiligt.
Die Täter hatten offenbar keinerlei Unrechtsbewusstsein. Warum auch? Es ging ja darum, die Umweltvorschriften der grünen Latzhosenbrigaden auszuhebeln, sich gegen den „ganzen Umweltzirkus“ zur Wehr zu setzen. Die deutsche Automobilindustrie hat die Umweltgesetzgebung immer als Feind und nie als Fortschritt betrachtet. Sie wurde dabei von der Bundesregierung stets vorbehaltlos und nach Kräften unterstützt.
Das gezähmte, das zivilisierte, das zukunftsfähige Auto, die Abrüstung in der Tiefgarage – es war nie das Ding der Autobauer. Schon gegen den Katalysator hatte sich die Branche mit massiver Lobbyarbeit jahrelang gewehrt. Derselbe Abwehrkrampf war im Brüsseler Poker um den CO2-Ausstoß zu beobachten. Und auch jetzt, während der VW-Skandal tobt, versuchen Autoindustrie und Bundesregierung weiter in bewährter Eintracht die für 2017 vorgesehene Änderung des realitätsfremden EU-Prüfzyklus zu verschieben. Ökologie wird nur zum Greenwashing gebraucht, wenn es darum geht, den Käufern sagenhafte Verbrauchswerte vorzugaukeln, an die nicht mal die eigenen Händler glauben.
Als mit dem VW Lupo endlich das Dreiliterauto kam, bestand sein einziger Sinn darin, aller Welt zu zeigen, dass König Kunde so was nicht kauft. Wie sollte er auch, wenn die Marketingmaschinen der Hersteller mit aller Macht die Erotik des Rallyestreifens, Dynamik, Beschleunigung und chromglitzernde PS-Manie favorisieren.
Recht auf Rasen
Zum Idealbild des King of the Road, der auf der Autobahn mit strammem Gasfuß regiert, taugte der Lupo aber nicht. Gegenüber den anderen Modellen erhielt er so den Sexappeal einer Fahrrad-Hosenklammer. Er verschwand auf dem Komposthaufen der Automobilgeschichte.
Dort liegen auch alle Pläne, in Deutschland ein Tempolimit einzuführen. Selbst diese harmlose kleine Bändigung des Autoverkehrs war nie durchsetzbar. Rasen im Treibhaus gehört zu den unveräußerlichen Grundrechten in diesem Land, in dem Politiker und Konzernchefs gern mit „Benzin im Blut“ prahlen. Bei manchem hat es die Blut-Hirn-Schranke schon durchbrochen.
Wie geht es weiter? Auf VW kommen hohe Strafen, Klagen, Schadenersatzprozesse, Rückrufaktionen und abstürzende Verkaufszahlen zu. Nach juristischem Ermessen müssen alle Autos stillgelegt werden, die mit manipulierter Abgas-Abschaltautomatik ausgerüstet sind und so den Stickoxidgrenzwert um das Sieben- bis Zehnfache überschreiten. Auch die Rücktrittswelle bei VW wird weitergehen. Wenn Zeitungsberichte zutreffen, dass von der Internen Revision im Jahr 2011 Warnungen kamen, dann ist auch der Aufsichtsrat dran.
Und was können die Besitzer der als Dreckschleudern enttarnten Dieselmodelle tun? Sie könnten ihre Karre den Händlern vor die Türe stellen und Ersatzautos verlangen. Denn VW ist nicht mehr verkehrsfähig.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Rechtsextreme instrumentalisieren Gedenken
Bundestagswahl am 23. Februar
An der Wählerschaft vorbei
Erderwärmung und Donald Trump
Kipppunkt für unseren Klimaschutz
EU-Gipfel zur Ukraine-Frage
Am Horizont droht Trump – und die EU ist leider planlos
Wirbel um KI von Apple
BBC kritisiert „Apple Intelligence“
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“