Debatte Todkranker Chávez: Chavismus nach Chávez
Venezuelas Staatspräsident Hugo Chávez liegt im Sterben. Wie geht es nun weiter? Zunächst einnmal wird seine Partei die kommenden Wahlen gewinnen.
E in Staat, der von der Existenz nur eines Menschen abhängt, sollte nicht existieren, und wird am Ende auch nicht lebensfähig sein.“ Dieser so wahre Satz von Simón Bolívar passt ganz gut zu der nun beginnenden Übergangsphase Venezuelas zu einem Land nach Hugo Chávez. Chávez hat die verschlafene venezolanische Gesellschaft aufgerüttelt.
Aber er hat sie auch zwischen Chavisten und Antichavisten polarisiert. Angesichts seiner schweren Krankheit, dürfte es jetzt bald Neuwahlen geben. Wie wird der Führungswechsel ausgehen? Wird der Chavismus Hugo Chávez überleben?
Der Chavismus entwickelte sich in einem Venezuela, das damals noch viel ärmer war als heute. Er ist das Produkt des politischen Systems des puntofijismo. Über vierzig Jahre lang wechselten sich zwei Parteien an der Macht ab, die herrschende Elite strich die Erdölprofite ein und sah zu, wie während der goldenen Jahre der Erdölwirtschaft die Slums von Caracas immer weiter wuchsen. Hugo Chávez kam 1999 an die Macht, um diese „Ordnung“ über den Haufen zu werfen.
Leidenschaftlich sprach der charismatische Führer vom bolivarischen Projekt. Das sei die Vision für Venezuela und überhaupt für ganz Lateinamerika. Weder war diese Vision besonders konkret oder durchdacht, aber sie war zumindest eine Alternative, vor allem für die Massen der Armen in Venezuela. Chávez verhalf neuen politischen und sozialen Bewegungen in Lateinamerika zum Durchbruch.
Sozialismus 2.0
ist bolivianische Politikwissenschaftlerin und Anwältin. Spezialisiert auf internationale Beziehungen, ist sie derzeit Doktorandin am German Institute of Global and Area Studies(Giga) in Hamburg und Stipendiatin des DAAD.
Doch als Chávez 2004 den „Sozialismus des 21. Jahrhunderts“ zum Ziel erklärt, kehrte man zu steinalten Debatten um Kapitalismus und Sozialismus zurück. Es ist logisch, dass Chávez sich nach dem versuchten Staatsstreich gegen seine Regierung und dem anschließenden langen Erdölstreik radikalisierte. Aber der Sozialismus des 21. Jahrhunderts war, selbst wenn er sich Sozialismus 2.0 genannt hätte, von Anfang an ein Irrtum. Und zwar aus mindestens zwei Gründen:
Erstens propagierte Chavez mit seinem Sozialismus ein Modell, das mindestens genauso gescheitert war wie der Kapitalismus. Zweitens konnte „der“ Sozialismus in einer so konsumorientierten Gesellschaft wie der venezolanischen nicht funktionieren. Als der neue Verfassungsentwurf im Referendum 2007 klar abgelehnt wurde, dachten ja viele, die Bürger hätten vor allem gegen die Möglichkeit der unbegrenzten Wiederwahl des Staatsoberhaupts votiert. Doch ich glaube, sie fürchteten vor allem die Abschaffung des Privateigentums.
Dennoch: Chávez hat seine Aufgabe erfüllt. Er war ein Führer, der die Massen zu Bürgern und Wählern mit einer Stimme in einer Demokratie gemacht hat. Er hatte die Vision, die Erdöleinnahmen an die Mehrheit der Bevölkerung umzuverteilen. Dank seiner Politik fühlten sich viele Venezolaner als Menschen wieder ernstgenommen. Was fehlte, waren neue Formen, die venezolanische Gesellschaft zu führen. Es blieb bei der kurzsichtigen Strategie „teile und herrsche“. So wurden die Einkünfte der staatlichen Erdölgesellschaft PDVSA verschwendet, ohne Grundlagen für die Zukunft zu schaffen.
Nachfolger steht schon fest
Der Übergang zu einem Post-Chávez-Venezuela wird von dem derzeitigen Vizepräsidenten Nicolas Maduro gestaltet. Maduro wird die Wahl gewinnen, und zwar vor allem aus drei Gründen: Die Chavisten werden den Anweisungen ihres ehemaligen Führers folgen, und die Unentschiedenen werden sich in dem emotionalen Ausnahmezustand, den der wahrscheinliche Tod Chávez mit sich bringen wird, noch klarer für den Chavismus entscheiden als in den letzten Wahlen.
Zweitens haben die Chavisten trotz aller Machtspiele verstanden, dass sie ohne Geschlossenheit die Macht verlieren werden. Und drittens hilft die Opposition ja auch noch ein bisschen mit, denn sie verfügt noch immer weder über eine wirkliche Führung oder auch nur eine überzeugende politische Idee.
Trotzdem stimmt es natürlich, dass der letztjährige Oppositionskandidat Henrique Capriles große Besonnenheit an den Tag gelegt hat. Aber viele seiner Mitstreiter vom Oppositionsbündnis Mesa de la Unidad Democratica (MUD) haben das nicht verstanden. Im Kern ist die venezolanische Opposition heute genauso gespalten wie 2002, als sie sich nicht einmal während des Staatsstreichs auf Posten und Machtverteilung einigen konnte.
Capriles hat im Wahlkampf 2012 gezeigt, dass er dazugelernt hat. Ein großer Teil seines Erfolges war der Tatsache geschuldet, dass Capriles die Erfolge der Regierung Chávez in Bezug auf soziale Rechte respektierte. Er erkannte die Arbeit der Sozialmissionen der Regierung an und versicherte, sie würden auch unter seiner Präsidentschaft fortgesetzt. So weist der Chavismus über Hugo Chávez hinaus – seine sozialen Projekte sind inzwischen Bestandteil Venezuelas.
Viele Herausforderungen für Maduro
Auf Nicolás Maduro kommt nun keine leichte Aufgabe zu. Er muss an vielen Fronten gleichzeitig manövrieren. In den ersten Monaten wird er eine relative Stabilität seiner Regierung genießen, aber er wird rasch seine Führungs- und Verhandlungsfähigkeiten in mindestens vier Bereichen unter Beweis stellen müssen: Erstens muss er die eigenen Reihen geschlossen halten, vor allem im Umgang mit seinem Rivalen Diosdado Cabello und dessen Anhängern. Zweitens wird er mit der Opposition verhandeln und einen versöhnlicheren Kurs einschlagen müssen. Fast die Hälfte der Venezolaner unterstützte bei den letzten Wahlen die Opposition – ihre Forderungen werden in seine Politik einfließen müssen.
Die dritte und vielleicht größte Herausforderung besteht darin, die Wirtschaft des Landes anzukurbeln, die auslaufenden Kredite neu zu verhandeln, die Inflation zu kontrollieren und in die Erdölgesellschaft PDVSA zu investieren, um weiterhin mit den Ölerlösen die Sozialpolitik finanzieren zu können.
Viertens muss Maduro das Problem der Gewaltkriminalität angehen. Das könnte ein Punkt sein, der die Venezolaner eint, denn davon sind alle betroffen. Um das alles hinzubekommen, braucht es einen sehr pragmatischen Führungsstil.
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