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Debatte SyrienEs gibt eine Chance

Kommentar von Kristin Helberg

„Friedensstrategien“ sind für die neuen Verhandlungen ein zu großes Wort. Aber immerhin gibt es neue Ideen, die das Leid lindern könnten.

Der syrische Machthaber Baschar al-Assad wird sich nicht halten können. Bild: dpa

D rei Entwicklungen laufen parallel. Erstens versucht Russland, Vertreter von Regime und Opposition in Moskau an einen Tisch zu bringen. Zweitens diskutieren die wichtigsten Oppositionsgruppen einen Fahrplan zum schrittweisen Machtwechsel in Damaskus.

Und drittens wirbt der UN-Sonderbeauftragte für Syrien Staffan de Mistura dafür, den Konflikt lokal einzufrieren, um den Vormarsch des Islamischen Staats (IS) zu stoppen. Das ist nicht originell, eröffnet aber Chancen.

Eine davon liegt in Moskau – wenn die Konferenz scheitert. Im Moment sind Gespräche zwischen Regime und Opposition Zeitverschwendung. Präsident Baschar al-Assad weigert sich, Macht abzugeben, und kein ernst zu nehmender Oppositioneller ist bereit, unter Assads Führung mitzuregieren (wie der Kreml das gern hätte). Außerdem haben beide Seiten nur begrenzten Einfluss auf den Krieg in Syrien.

Dem Regime gehen inzwischen Geld und Soldaten aus. Abgesehen von wenigen Eliteeinheiten, die dem Präsidenten direkt unterstehen, existiert die Syrisch-Arabische Armee nicht mehr. Die verbliebenen Truppen werden vom Iran gesteuert, daneben kämpfen die libanesische Hisbollah und die National Defense Forces (NDF) – lokale Milizen, die sich aus den Shabiha und konfessionell organisierten Bürgerwehren entwickelt haben.

Die Allmacht bröckelt

Ihre Anführer sind durch die Verteidigung bestimmter Gebiete und Einnahmen aus Schmuggel, Schutzgelderpressung und Entführungen teils so mächtig geworden, dass sie unliebsame Befehle aus Damaskus schlicht ignorieren. Assads Allmacht bröckelt. Genau darin liegt die Chance. Denn manch Oppositioneller, der in den vergangenen Wochen nach Moskau reiste, versuchte das den Kreml-Vertretern klarzumachen: Assad kann Syrien nicht befrieden, weil er nicht mehr „in control“, sondern abhängig von anderen ist.

Die Tatsache, dass er einige Gebiete halten und andere zurückerobern kann, hat er seinen ausländischen Unterstützern zu verdanken, nicht seinem Rückhalt im Land. Selbst viele Alawiten sind es leid, ihre Söhne für Assads Machterhalt zu opfern – wer freiwillig kämpft, tut das nur noch, um in Lattakia und Tartous die eigenen Leute zu beschützen, aber nicht, um Raqqa vom IS zurückzuerobern.

Der Versuch Moskaus, die Opposition zu spalten, wird hoffentlich scheitern. Noch ringen die drei wichtigsten Gruppen – die Nationale Koalition der Syrischen Revolutions- und Oppositionskräfte, das Nationale Koordinierungskomitee für demokratischen Wandel und die Bewegung Building the Syrian State – um einen gemeinsamen Plan. Sie sind sich jedoch einig, dass Assads Rückzug keine Vorbedingung für Gespräche sein kann, sehr wohl aber die logische Konsequenz eines politischen Übergangs sein muss.

Es ist deshalb an Moskau, einzusehen, dass der syrische Staat nicht mit Assad gerettet werden kann. Im Gegenteil. Wer in Syrien staatliche Strukturen erhalten will, muss sich für eine schrittweise Umverteilung von Macht einsetzen, und zwar nicht im Großen, sondern im Kleinen.

Die UN lernen langsam dazu

Womit wir beim dritten Thema wären, dem Einfrieren der Kämpfe und den Erfahrungen mit lokalen Waffenstillständen. Staffan de Mistura hat erkannt, dass eine Gesamtlösung des Konflikts zurzeit unrealistisch ist. Und dass er als UN-Sondergesandter etwas tun muss angesichts von 250.000 Toten, 3 Millionen Flüchtlingen und 7 Millionen Vertriebenen.

Seine Idee, zunächst in Aleppo die Kämpfe einzufrieren, klingt gut – ein Alltag ohne Fassbomben und Scharfschützen wäre für die Bewohner eine große Erleichterung. Allerdings erscheint eine dauerhafte Feuerpause unrealistisch, solange aus den Erfahrungen bisheriger Waffenstillstände nichts gelernt wird. Zum Verständnis. In Syrien gibt es landesweit Dutzende von lokalen Initiativen, bei denen zivile Akteure, Rebellen, Regimevertreter, Armee und die genannten NDF Waffenruhen aushandeln.

Doch erstens werden die meisten Waffenstillstände vom Regime durch Abriegeln, Aushungern und massives Bombardieren eines Gebietes erzwungen. Zweitens setzt das Regime häufig Bedingungen durch, die für lokale Oppositions- und Rebellengruppen einer Kapitulation gleichkommen. Drittens wird die Umsetzung von keiner unabhängigen Instanz überwacht, so dass Vereinbarungen nicht erfüllt oder gebrochen werden (zu wenig humanitäre Hilfe, unvollständige Evakuierung von Zivilisten, nachträgliche Verhaftung oder Erschießung von Rebellen, erneute Abriegelung).

Viertens verhindern oder unterwandern auf beiden Seiten radikale Gruppen oder regionale Unterstützer (Iran, Türkei) einen Einigungsprozess, wenn dieser eigene Interessen gefährdet. Fünftens nutzen die kriegführenden Parteien die Feuerpause oft nur dazu, sich für weitere Kämpfe zu rüsten. Allen fehlt der Wille zum Frieden.

Der lokale Ansatz stimmt

Dennoch ist der lokale Ansatz richtig. Denn die Bereitschaft, mit dem Feind zu verhandeln und Kompromisse zu schließen, ist bei den kriegsmüden Menschen vor Ort deutlich größer als bei Politikern und Kommandeuren, die weit weg vom Geschehen Maximalforderungen stellen und den Konflikt damit verlängern. Außerdem sind die Lebensbedingungen, die gesellschaftliche Zusammensetzung, die politischen wie militärischen Machtverhältnisse in Syrien regional so unterschiedlich, dass es keine allgemeingültige Lösung geben kann.

Von oben verordnete Patentrezepte laufen ins Leere, stattdessen sollten zivile Akteure vor Ort – lokale Komitees, Stadt- und Gemeinderäte, religiöse Würdenträger, einflussreiche Geschäftsleute, Dorfälteste und Stammesführer – gestärkt werden. Denn Waffenstillstände kommen vor allem dort zustande, wo es ausgeprägte zivile Strukturen gibt.

Die Vision, die sich daraus ergibt, sieht so aus. Ein Waffenstillstand wird lokal ausgehandelt, aber von einer neutralen Instanz mit einem robusten Mandat des UN-Sicherheitsrats durchgesetzt und überwacht. Diese kontrolliert und finanziert auch die Funktionsfähigkeit von Verwaltung und Infrastruktur.

Bürgerämter, Gerichte, Polizei, Umspannwerke und Wasserbehörden arbeiten weiter oder werden wiederaufgebaut. Ziel ist es, staatliche Strukturen zu erhalten, ohne dass diese vom Assad-Regime vereinnahmt werden. So erwächst aus einem Waffenstillstand eine glaubwürdige politische Alternative mit einem funktionierenden Alltag und der Botschaft: Verhandlungen lohnen sich!

Die Dynamik nicht missverstehen

Wenn de Mistura aber nur Kämpfe einfrieren will, um gemeinsam gegen den IS vorzugehen, hat er die Dynamik der letzten Monate nicht verstanden. Den Terror der Dschihadisten zu bekämpfen und dabei den Terror Assads zu ignorieren, radikalisiert die Syrer – Zivilisten wie Rebellen – nur weiter (im Dezember tötete das Regime 1.049 Zivilisten, der IS 72).

Lokale Waffenstillstände bieten die Chance, in kleinen Schritten neue Machtverhältnisse zu schaffen. De Mistura sollte alles daransetzen, ein UN-Mandat für die Unterstützung dieser Feuerpausen zu bekommen – mit Russlands Stimme.

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5 Kommentare

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  • "Der Versuch Moskaus, die Opposition zu spalten, wird hoffentlich scheitern. Noch ringen die drei wichtigsten Gruppen – die Nationale Koalition der Syrischen Revolutions- und Oppositionskräfte, das Nationale Koordinierungskomitee für demokratischen Wandel und die Bewegung Building the Syrian State – um einen gemeinsamen Plan. Sie sind sich jedoch einig, dass Assads Rückzug keine Vorbedingung für Gespräche sein kann, sehr wohl aber die logische Konsequenz eines politischen Übergangs sein muss."

     

    WO IST HIER DER VERSUCH RUSSLANDS DIE OPPOSITION ZU SPALTEN? die erwähnten oppositionsgruppen sind bisher von allen internationalen treffen ausgeladen worden

  • In ihrem Buch spricht Kristin Helberg eine deutliche Sprache.

    Während der größte Teil von Erlebsnissen mit SyrerInnen geprägt ist, stellt das Schlußkapitel klar, dass die Radikalisierung der Opfer der Diktatur nur um so weitergeht, je länger er an der Macht gehalten wird:

    von Russland, Iran, und der westlichen Diplomatie.

    Damaskus würde also keineswegs vom IS überrannt.

    Und die Nusairis werden sicher nicht die Christen und Minderheiten schützen und "den Antiterrorkampf" für uns machen.

    • @nzuli sana:

      Die FSA schützt auch keine Christen und macht trotzdem "Antiterrorkampf" für "uns". Youtube: "Free Syrian Army (FSA) chop off fingers of an alleged "spy"". Natürlich können Sie auch auf die offiziellen Twitter usw. Seiten der FSA gehen und mit "Allahu Akbar" begrüßt werden, wenn Sie meinen... Übrigens: in Syrien dürfen Frauen Auto fahren!

      In Saudi Arabien nicht. Soll ich jetzt fragen ob das der Grund für das schmierige Beileid und was Saudis alles dolles erreicht hätten, des Bundespräsidenten ist? "Bundespräsident Gauck zum Tod des Königs des Königreiches Saudi-Arabien". Auf dessen Homepage.

      Ich kenne einen Syrer der sich regelmäßig zusammenreißen muss dass er nicht ausrastet, was der Westen mit seinem Land anstellte. Verlogene Heuchlerbande!

  • Wie unrealistisch ist denn das!

     

    Darauf zu hoffen, dass Assads Macht zerbröselt, um mit den lokalen Kriegsherren, der Hisbollah, der Al Nusra-Front (Ja, die gibt es auch noch neben IS und wird gerade im Süden von Israel indirekt unterstützt.), den Kurden und wer weiß mieviel anderen Gruppen, einen Waffenstillstand erreichen zu können.

     

    Vor ein, zwei Jahren hätte es ja die realistische Chance auf einen Waffenstillstand gegeben: mit Hilfe Moskaus und mit Assad. Man muss Assad nicht lieben, aber wer einen Waffenstillstand mit seinem Feind haben will, muss mit diesem verhandeln, mit wem denn sonst? Aber die Aussicht, Assad und damit Moskaus und Teherans Einfluss in der Region zu beseitigen, war halt zu verlockend. Man verzeihe mir: Es ging NIE um Demokratie und Menschenrechte.

  • Die Oppositionellen, das sind Al Nusra, Al Quaida, auch IS und die FSA, die als moderat präsentiert werden, von denen ein großer Teil längst in den Reihen des IS kämpft. Man sieht also wie moderat die sind. Dann gibt es noch x,x,x weitere Gruppen die teils miteinander und gegeneinander im Miteinander kämpfen. Mit Ausländern aus der gesamten Welt unterfüttert. Insgesamt: Bärtige Dschihadisten, die so called Opposition.

     

    Nach einem Sturz Assads würden sich die Bärtigen um die Macht streiten, das Land in noch tieferes Dauer-Chaos stürzen als z.B in Lybien. Um eine dauerhafte Stationierung mit Militär käme der Westen nicht drum rum - mag sein dass er danach schielt. Gründe zu helfen gibt´s ja wieder genug und gewisse linke Medienkreise können sich und ihre Leser heuchlerisch wieder mit ihren Menschenretterstorys bedüddeln. Alles andere, das Land sich selbst zu überlassen wäre die totale Katastrophe. Aber auch das traue ich dem Westen zu, nachdem jetzt jahrelang Horden von Terroristen im Pakt mit Katar, Saudis und Co auf das Land gehetzt worden sind.