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Debatte Syrien-Einsatz des WestensOhne Plan zur zynischen Lösung

Kommentar von Martin Reeh

Der Westen agiert in Syrien ohne erkennbaren Plan. Am Ende könnte eine zynische Lösung stehen: Assad gewinnt Gebiete, der Westen Sicherheit.

Der IS gefährdet die Stabilität des Westens, Assad nicht. Foto: dpa

D er Guardian hat vor wenigen Tagen einige Syrer interviewt, die aus der IS-Hochburg Rakka ins türkische Gaziantep fliehen konnten. Hier haben sie ihr Café wiedereröffnet, der Chef, die Angestellten und die Speisekarte sind die alten. Nur die Witze sind zynischer geworden: „Kann sich jemand freuen, wenn Rakka nun von jedem bombardiert wird?“, fragt einer der Gäste. Aus Sicherheitsgründen will er nur Abu Ahmed genannt werden – seine Söhne leben noch in Syrien. „Jeder, der sich gerade über seine Frau zu Hause ärgert, schickt nun seine Bomber los. Jordanien, die Emirate, die USA, Russland, Frankreich.“

Sie fürchten zivile Opfer der Luftangriffe in einer Stadt, in der sich der IS in den Wohnhäusern verschanzt. Pazifisten sind sie nicht. Sie hoffen auf eine Bodenoffensive, weil der IS anders nicht besiegt werden könne. Aber wer soll sie ausführen? Die Kurden? Sie könnten die arabische Bevölkerung Rakkas vertreiben, fürchten sie. Die Freie Syrische Armee? Zu schwach. Schließlich, so argwöhnen sie, würden die Assad-Truppen Rakka wiedererobern.

Das ist der syrische Pessimismus, genährt aus vier Jahren Bürgerkrieg, in denen alles immer schlimmer wurde. taz-Auslandsressortleiter Dominic Johnson sieht die Lage positiver. Wenige Kilometer vor Rakka haben sich kurdische Verbände und ihre Alliierten eingegraben. Im Verein mit Luftangriffen des Westens könnten diese Rakka vom IS befreien – und so bessere Optionen bei den Verhandlungen mit Assad und Russland über die Zukunft des Landes ermöglichen. Der Sturm von Kurden und ihren Verbündeten auf Rakka wäre wohl eine Lösung des kleinsten Übels, wenn man die Meinung teilt, dass man den IS militärisch bekämpfen muss und zugleich Assad nicht für seine Fassbomben belohnt werden darf.

Aber hat der Westen eine Strategie? Man darf skeptisch sein, betrachtet man die Historie seiner Interventionen. Im Kosovokrieg hoffte die Nato auf ein Einlenken Jugoslawiens nach wenigen Tagen Bombardement. Als das nicht eintraf, bombardierte sie auch Infrastrukturziele wie Brücken und innerstädtische Gebäude, Zivilisten starben. Als der Nato präzisere Waffen wie Cruise Missiles ausgingen, kamen Streubomben zum Einsatz. In Afghanistan verbündete sich der Westen mit Warlords, um möglichst wenige eigene Soldaten einsetzen zu müssen. Schließlich zog der Großteil der Truppen ab, die Taliban gewinnen wieder an Land.

Immer wieder Pathos

Im Irak waren die USA so sicher, als umjubelte Befreier dazustehen, dass sie glaubten, Armee und Baath-Partei auflösen zu können. Auf den dann beginnenden Guerillakrieg waren sie unvorbereitet. Als er befriedet schien, zogen die USA ab, obwohl die schiitische Regierung den sunnitischen Bevölkerungsteil ausgrenzte.

Großes Pathos, verbunden mit naiven Strategien, taktischen Fehleinschätzungen und der fehlenden Bereitschaft, Einsätze, wenn sie schon begonnen werden, auch ausreichend lange durchzuhalten: Das sind die Charakteristika der wichtigen Interventionen des Westens seit dem Kosovokrieg. Deutet etwas darauf hin, dass es diesmal anders sein wird?

Die Toten von Paris waren unsere Toten, die von Aleppo nicht

Nicht viel. Nach dem Beginn des Aufstands gegen Assad rechnete auch die Bundesregierung zunächst mit seinem Sturz innerhalb weniger Monate. Das russische Eingreifen hatte niemand auf dem Schirm, offenbar ebenso wenig die Möglichkeit, dass der IS auch im Westen wie in Paris angreifen würde. Dabei war doch der failed state Afghanistan vor 9/11 eine perfekte Blaupause für das IS-Gebiet und Paris. Die Bundesregierung hielt ein militärisches Eingreifen in Syrien noch 2014 trotz Kobani und Jesiden-Verfolgung nicht für nötig. Nun nach Paris die Kehrtwende. „Warum war im Westen niemand bewegt, als uns das Assad-Regime angegriffen hat?“, fragt im Guardian Mona, eine Lehrerin. „Warum ist der Einsatz nur eine Antwort auf den IS? Nur weil der Terror im Westen zugeschlagen hat?“

Der Westen, auch die Bundesregierung, konnte mit den 250.000 Bürgerkriegstoten in Syrien leben, nicht aber mit den 130 Toten von Paris. Die Toten vom Bataclan waren unsere Toten, die von Aleppo und Rakka nicht. Vor allem aber gefährdet der IS die Stabilität des Westens, Assad nicht.

Assad ist berechenbar

Und deshalb bleibt die Frage, ob eine zynische Lösung nicht ebenso wahrscheinlich ist wie eine, die die Interessen der oppositionellen, prowestlichen Syrer befriedigt. David Cameron spricht zwar von 70.000 „moderaten Kämpfern“ als Verbündete in Syrien, Ursula von der Leyen in ihrem in der Bild veröffentlichten 6-Punkte-Plan von „gemäßigten Stämmen im Irak und in Syrien“, mit denen man zusammenarbeiten müsse. Aber beide dürften wissen, dass Gruppen, die man in der Vergangenheit aus kurzfristigen Erwägungen heraus missachtet hat, beim nächsten Kurswechsel nicht wieder ohne Weiteres zur Verfügung stehen: Die „Freie Syrische Armee“ etwa leidet nach vier Jahren Bürgerkrieg nicht nur unter fehlender Bewaffnung und internen Spaltungen. Sie arbeitet auch mit islamistischen Milizen zusammen, die zwar weniger radikal als IS und al-Nusra sind, aber von denen niemand weiß, wohin sie sich entwickeln. Bei Assad weiß der Westen, woran er ist.

Die zynische Lösung geht daher so: Die russische Luftwaffe bombardiert die Gebiete der „gemäßigten Rebellen“. So nach Berichten von syrischen Aktivisten in den letzten Tagen rund um Asas in der Nähe der türkischen Grenze, wo anschließend der IS vorrückte. Der Westen bombardiert die IS-Gebiete. Die Assad-Truppen rücken zumindest in Teile vor, unterstützt von Hisbollah, Iranern und russischer Artillerie. In die anschließenden Friedensverhandlungen gehen die „gemäßigten Rebellen“ zumindest geschwächt, wenn nicht besiegt. Die Kurden erhalten im besten Fall eine regionale Autonomie. Der Westen hat wieder mehr Sicherheit, die Russen internationale Anerkennung, Assad bleibt an der Macht.

Dieses Szenario kann niemand ausschließen, solange sich westliche Regierungen weigern zu sagen, mit wem sie am Boden ihre Ziele erreichen wollen. Abu Ahmed sollte sich auf eine Zukunft in Gaziantep einrichten – oder nach Deutschland weiter fliehen.

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Von 2018 bis 2020 taz-Parlamentskorrespondent. Zuvor von 2013 bis 2018 Leiter der taz-Inlandsredaktion, von 2012 bis 2013 Redakteur im Meinungsressort. Studierte Politikwissenschaft in Berlin, danach Arbeit als freier Journalist für Zeitungen, Fachzeitschriften und Runkfunkanstalten, Pressesprecher eines Unternehmensverbands der Solarindustrie und Redakteur der Blätter für deutsche und internationale Politik.
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8 Kommentare

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  • 2G
    2422 (Profil gelöscht)

    ..sorry, das mit dem Chef stimmt nicht, trotzdem ein ungewöhnlicher Verweis...

  • 2G
    2422 (Profil gelöscht)

    "taz-Auslandsressortleiter Dominic Johnson sieht die Lage positiver. "

    Der will sowieso immer gleich bomben, egal wo. Ungewöhnlich finde ich allerdings, dass ein Auslandsreporter der TAZ jetzt schon die Meinung seines Chefs zur Sache zitiert. Ist das die neue TAZ-Demokratie?

  • Qualitativ besser als Ihre vorherigen Kommentare.

    Wenn der Westen nur auf Anforderung der Bodenstreitkräfte (meinetwegen nur der kurdischen) bombardieren würde und wenn nach dem Ende des Bürgerkriegs freie Wahlen stattfänden, wäre die von Ihnen beschriebene Lösung vielleicht etwas weniger zynisch.

  • Wo sind in Syrien "prowestliche" Oppositionelle? Al-Nusra?

    Hier zeigt sich die Naivität vieler Betrachter, Politiker eingeschlossen.

    Weil sie sich eine "prowestliche" Opposition wünschen, deshalb wird (fast) jeder der gegen Assad kämpft, als Teil einer solchen gesehen.

    Reines Wunschdenken!

    Spielen Sie doch einfach mal einen Sieg von Al-Nusra in Gedanken durch!

    Was würde ein solcher Sieg für Syrien und die Welt bedeuten? Zum Beispiel für die religiösen Minderheiten in Syrien. Unter Assad ist die Religionsfreiheit garantiert, unter Al-Qaida, denn nichts anderes ist Al-Nusra, nicht!

    Möglicherweise sind die anderen "Rebellen" nicht ganz so brutal wie der IS, aber es bleiben immer noch Verbrecher.

    Hätten nicht die USA,Saudi-Arabien und die Türkei jeden unterstützt, der gegen Assad ( und damit gegen die Mehrheit des syrischen Volkes) zog, es hätte nicht mehrere 100000 Tote geben müssen.

    Bisher hat noch niemand überzeugend darlegen können, das ein Syrien ohne Assad ein besseres Syrien wäre.

    Denn die "prowestliche" Opposition ist ein Phantom und in Syrien ohne jeglichen Einfluss!

  • "Dieses Szenario kann niemand ausschließen, solange sich westliche Regierungen weigern zu sagen, mit wem sie am Boden ihre Ziele erreichen wollen."

     

    Zunächst mal sollte das gemeinsame Ziel klar sein. Tatsächlich aber verfolgt da jede Partie nur ihr eigenes Interesse. Deswegen wird das Chaos in Syrien und der Region nach dem Einsatz größer sein als jetzt.

     

    Militärisch sinnvoll wäre nur eine Totallösung in Kombination mit einer nachhhaltigen Strategie für danach, wie es etwa Invasion + Marshallplan für Europa waren. Diesen Weg kann aber nur eine solide Allianz gehen, wie es die Alliierten damals waren. Der jetzt zusammengestopselte Chaotenhaufen könnte nicht mal, wenn er wollte.

     

    Es sieht düster aus: Der Frieden wir mit diesem Einsatz in noch weitere Ferne rücken. Die Allianz wird sich noch im oder direkt nach dem Konflikt gegenseitig zerfleischen. Bestenfalls resultiert ein neuer kalter Krieg daraus.

  • Mir fällt gerade dieses Wort PERFIDE ein, das deutsche Politiker gerne benutzen um Terroristen zu diskreditieren.

     

    Ich finde hier passt es bestens. Man beschliesst einen Bombembterror, der nachweislich zu keine Lösung führen wird, nimmt zehn- oder hundertausende tote Zivilisten inKauf. Und warum? Um sich wiederwählen zu lassen.

     

    Politiker, die sich aus Geltungssucht (und Dummheit) hinter Bomben verstecken handeln perfide.

     

    Und weil heutzutage jeder rumnervt und die Politik beschimpft, will ich auch noch eine Handlungsanweisung geben, was wirklich zu tun ist:

     

    - rausfinden was Terroristen wirklich wollen (die Psychologie weiss sehr viel interessantes zu Agression, etc., es gibt Wissenschaftler, die auch schon mit terroisten gesprochen haben,...)

     

    - rausfinden, wer den Terror warum unterstützt (Saudis, Ölkonzerne kämen mir bei der aktuellen Situation in den Sinn...)

     

    - und dann zu beiden Problemfeldern Alternativen aufbauen. Könnte so aussehen: Weniger Ausgrenzung, weniger Rassissmus, weniger Rüstungsgüter herstellen, mehr alternative Energien, etc..., Lobbyisten rasukanten, die diesen Zielen im Weg stehen, Überhaupt mal was gegen Korruption machen. Die Liste ist lang.

     

    Aber wahrscheinlich wird der einfachere Weg gewählt: Weltkrieg und Wiederaufbau ;-(

  • "taz-Auslandsressortleiter Dominic Johnson sieht die Lage positiver."

     

    Ja, durch die rosarote Brille des nicht Betroffenen.

  • "Der Westen, auch die Bundesregierung, konnte mit den 250.000 Bürgerkriegstoten in Syrien leben, nicht aber mit den 130 Toten von Paris. Die Toten vom Bataclan waren unsere Toten, die von Aleppo und Rakka nicht."

    Respekt, freut mich das endlich in der Taz zu lesen.