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Debatte Steigende AktienkurseBlase ist nicht gleich Blase

Ulrike Herrmann
Kommentar von Ulrike Herrmann

Es droht kein Crash, obwohl die Aktienkurse steigen. Es ist viel schlimmer. Wir leiden immer noch an der Finanzblase, die 2008 geplatzt ist.

Der DAX schießt hoch zu neuen Rekorden, doch außer ähnlicher Symptome gibt es keine Gemeinsamkeiten mit dem Börsencrash 2008. Bild: reuters

S teuern wir auf eine neue Finanzkrise zu, die an den fatalen Crash von 2008 erinnert? Auf den ersten Blick könnte es so scheinen. Die Zinsen liegen bei null, das Geld ist billig, die Immobilienpreise steigen, und der deutsche Aktienindex DAX schießt auf neue Rekorde. Ähnliche Phänomene waren in den Vereinigten Staaten zu beobachten, bevor die Subprime-Krise losbrach. Daher wirkt es naheliegend anzunehmen, dass sich die nächste Spekulationsblase aufpumpt.

Doch Blase ist nicht gleich Blase. Obwohl Symptome ähnlich sind, können Ursachen unterschiedlich sein. Man würde ja auch nicht sagen, dass jedes Kind zu dick ist, das 50 Kilo wiegt. Es kommt offensichtlich darauf an, wie groß es ist. Ein 3-Jähriger wäre verfettet, ein hochaufgeschossener 12-Jähriger hätte Untergewicht.

Bei einer Spekulationsblase ist typisch, dass zu viele Kredite vergeben werden, weil allseits Optimismus herrscht. Auch Menschen ohne großes Einkommen nehmen eine Hypothek auf und wetten darauf, dass die Häuserpreise weiter steigen. Die Idee ist: Die Immobilie finanziert sich bestimmt von selbst. Es werden Luftschlösser gebaut, die irgendwann zusammenkrachen. Zurück bleiben Bauruinen, die keiner haben will.

Die jetzige Situation ist anders. Es herrscht nicht Euphorie, sondern Ratlosigkeit oder gar Verzweiflung. Kredite werden kaum gewollt, stattdessen versuchen Sparer panisch, ihr Geld in Sicherheit zu bringen. Aktien werden nicht gekauft, weil man mit den Papieren spekulieren möchte, sondern es gilt das Motto: Rein in die „Sachwerte“!

Bloß nicht zu viel Geld auf dem Konto haben

Bei den Immobilien ist es ähnlich. Viele Wohnungen werden bar bezahlt und als Zweit- oder gar Drittwohnung erworben, damit bloß nicht zu viel Geld auf dem Konto liegen bleibt. Diesmal sind keine Hallodris unterwegs, sondern es werden Vermögende unruhig, die immer auf eine solide Finanzierung gesetzt haben – und nun merken, dass man mit Solidität kein Geld mehr verdienen kann.

Anders als bei einer Spekulationsblase sind die niedrigen Zinsen nicht Verlockung, sondern Horror, weil sie das Geld auf den Konten vernichten. Die fleißigen Sparer weichen daher auf Aktien oder Immobilien aus, wo sie sich höhere Renditen versprechen. Der Effekt ist jedoch unerfreulich: Wenn Aktien begehrt sind und die Kurse steigen, dann tendieren die Renditen auch dort gen null. Denn die Unternehmensgewinne – und damit die Dividenden – steigen ja nicht, nur weil Aktien so beliebt sind. Ähnliches ist bei Immobilien zu beobachten: Die Hauspreise legen schneller zu als die Mieten, sodass auch dort die Renditen fallen.

Die EZB ist nicht schuld

Anlageberater erzählen zwar gern, dass man jetzt in Aktien investieren solle, weil dort ein höherer Gewinn winke. Aber das ist Unsinn. Die Finanzmärkte hängen zusammen, und das Geld rotiert so lange zwischen den einzelnen Anlageklassen wie Bankkonten, Immobilien, Agrarflächen oder Aktien, bis sich die Renditen überall angeglichen haben – bei fast null.

Übrigens ist nicht die Europäische Zentralbank daran schuld, dass die Zinsen so niedrig sind. Zwar will EZB-Chef Mario Draghi demnächst 1,1 Billionen Euro in die Wirtschaft pumpen – aber dieses Programm ist noch gar nicht angelaufen. Trotzdem sind die Zinsen längst im Keller.

Die Renditen fallen, weil das Gesetz von Angebot und Nachfrage wirkt: Es ist viel zu viel Geld vorhanden. Die Reichen sitzen auf enormen Finanzvermögen – das sie nirgends investieren können. Denn die Wirtschaft stagniert, sodass es sinnlos wäre, die Produktionskapazitäten auszuweiten.

Neue Freiheit

Wir erleben keine neue Blase – sondern leiden an der alten Blase, die 2008 geplatzt ist. Wir stecken in einer „Bilanzrezession“ fest, wie es der japanische Ökonom Richard Koo genannt hat. Dieser Begriff meint, dass der Konsum schwächelt, weil allzu viele Leute noch auf alten Schulden sitzen, die sie zurückzahlen müssen. Private Haushalte und Firmen sind damit beschäftigt, ihre Bilanzen zu bereinigen.

Diese Sanierungsarbeiten dürften noch Jahre dauern, denn 2008 ist nicht irgendeine Blase geplatzt, sondern eine „Superblase“, wie sich Star-Investor George Soros ausdrückt. Ab 1980 wurden die Banken weltweit dereguliert, und sie nutzten diese neue Freiheit, um hemmungslos Kredite zu vergeben und zu spekulieren.

Der Schuldenberg ist daher enorm, der noch abgetragen werden müsste. Ordnungsfanatiker freuen sich immer, wenn Kredite termingerecht zurückgezahlt werden. Doch für die Wirtschaft ist es fatal, wenn alle gleichzeitig versuchen, ihre Schulden zu tilgen. Wer Kredite abbaut, kann nicht auf Shoppingtour gehen.

Rabatte sind nicht schön

Also bricht die Wirtschaft ein, die Fabriken sind nicht ausgelastet und die Preise für normale Güter fallen. Es kommt zu jener Deflation, die jetzt den Euroraum erreicht hat und weltweit eine Gefahr darstellt.

Noch immer wundern sich viele Deutsche, warum eine Deflation schlimm sein soll. Sie finden fallende Preise angenehm. Doch der riesige Schuldenberg wird damit erdrückend. Wenn Umsätze und Löhne sinken, lassen sich Kredite nicht zurückzahlen. Die „Bilanzrezession“ währt ewig.

Aber sind wir überhaupt in einer Deflation? Selbst ehemalige Finanzminister wie Peer Steinbrück bezweifeln dies. Seine Logik wirkt auf den ersten Blick bestechend: Wenn die Preise für Aktien und Häuser steigen – dann haben wir eine Inflation, keine Deflation. Die Geldentwertung wird nur falsch gemessen (taz, 3. 2. 15).

Geld ist da, nur an der falschen Stelle

Doch was so logisch wirkt, ist trotzdem falsch. Die Aktienpreise ändern nichts daran, dass Deflation herrscht. Es ist ein Krisensymptom, dass nur die Preise für Vermögen steigen – während normale Waren eher billiger werden und Autos nur noch mit Rabatt einen Käufer finden.

Es ist eine seltsame Welt: Geld ist genug da, doch an der falschen Stelle. Da hilft nur, das Vermögen der Vermögenden zu besteuern. Denn auf den Staat ist Verlass: Er gibt sein Geld aus und kurbelt damit die Wirtschaft an – statt panisch die Aktienkurse in die Höhe zu treiben.

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Ulrike Herrmann
Wirtschaftsredakteurin
Der Kapitalismus fasziniert Ulrike schon seit der Schulzeit, als sie kurz vor dem Abitur in Gemeinschaftskunde mit dem Streit zwischen Angebots- und Nachfragetheorie konfrontiert wurde. Der weitere Weg wirkt nur von außen zufällig: Zunächst machte Ulrike eine Banklehre, absolvierte dann die Henri-Nannen-Schule für Journalismus, um anschließend an der FU Berlin Geschichte und Philosophie zu studieren. Sie war wissenschaftliche Mitarbeiterin der Körber-Stiftung in Hamburg und Pressesprecherin der Hamburger Gleichstellungssenatorin Krista Sager (Grüne). Seit 2000 ist sie bei der taz und schreibt nebenher Bücher. Ihr neuester Bestseller heißt: "Das Ende des Kapitalismus. Warum Wachstum und Klimaschutz nicht vereinbar sind - und wie wir in Zukunft leben werden". Von ihr stammen auch die Bestseller „Hurra, wir dürfen zahlen. Der Selbstbetrug der Mittelschicht“ (Piper 2012), „Der Sieg des Kapitals. Wie der Reichtum in die Welt kam: Die Geschichte von Wachstum, Geld und Krisen“ (Piper 2015), "Kein Kapitalismus ist auch keine Lösung. Die Krise der heutigen Ökonomie - oder was wir von Smith, Marx und Keynes lernen können" (Piper 2018) sowie "Deutschland, ein Wirtschaftsmärchen. Warum es kein Wunder ist, dass wir reich geworden sind" (Piper 2022).
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11 Kommentare

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  • Vielen Dank Frau Hermann, für Ihre erneut gelungene Analyse. Ich hatte bereits im Oktober 2013 provokativ geschrieben: "Es geht ein Gespenst um in Europa, das Gespenst der Deflation": https://zinsfehler.wordpress.com/2013/10/13/zehn-masnahmen-fur-ein-europa-in-frieden-freiheit-und-wohlstand/

     

    Aber nicht nur Peer Steinbrück sitzt falschen Paradigmen auf; auch die deutschen Top-Ökonomen reden immer noch viel UnSinn, wenn der Tag lang ist, uns aber die Zeit zwischen den Händen zerrinnt: https://zinsfehler.wordpress.com/2015/02/07/die-wundersame-welt-des-hans-werner-sinn/

     

    LG Michael Stöcker

  • ". . .Es ist eine seltsame Welt: Geld ist genug da, doch an der falschen Stelle. Da hilft nur, das Vermögen der Vermögenden zu besteuern. Denn auf den Staat ist Verlass: Er gibt sein Geld aus und kurbelt damit die Wirtschaft an – statt panisch die Aktienkurse in die Höhe zu treiben... ."

    ich weiß - again;

    aber - die Theorie des Ungläubigen - die glaub ich halt mit Ulrike Herrmann nicht - Aktien nur bei Klimpergeld - alles andere ist was für Börsenjobber mit Insiderwissen&tipps -

    & für - Anlageberaters Taschen zu füllen.

  • 1G
    10236 (Profil gelöscht)

    "10 bis 12%"

     

    Es ist ein Fehler, von der Vergangenheit auf die Zukunft zu schließen. Wachstumsraten sinken seit Jahrzehnten. Woher sollen dann die 10-12% kommen? Vom land grabbing in Afrika?

    • @10236 (Profil gelöscht):

      Es ist auch ein Fehler aus der Vergangenheit nichts zu lernen. Und Landgrabbing ist nicht nötig. Das Weltwirtschaftswachstum liegt bei ca. 4% plus genausoviel Inflation ist schon mal eine Basis. Die Investition in Aktiengesellschaften bringt noch mehr Rendite, zum Beispiel der amerikanische Gesundheitssektor. Das gibt seit Jahrzehnten jährlich 12% bis 14% nur mal als Beispiel. Wer möchte, kann ja einen Teil des Geldes spenden, z. B. für Leute in Afrika, damit sie ihr eigenes Land kaufen können (mach ich z. B.)

  • Teil 2

    In der aktuellen Situation, mit sehr gesunkenen Energiepreisen, von Deflation zu sprechen ist daher relativ abwegig, wenn dieser Trend gerade schwach negative Preissteigerungswerte hervorbringt. Selbst wenn es einen deflationaeren Trend geben sollte, ist nicht bekannt, ob solche Trends staerkere Selbstverstaerungstendenzen aufweisen als inflationaere Entwicklungen, wie immer wieder in der oeffentlichen Debatte unterstellt wird. Es bleibt bei der allgemeinen unsachlichen Hysterie ueber geldorientierte Phaenomene gerade in Detschland, wo solche Nervositaet auf besonders fruchtbaren Boden zu fallen scheint.

    Es ist wesentlich wichtiger die genaue Charakteristik, Ursache und Wirkung und Dynamik der Entwicklung zu erkennen.

     

    Faktisch haben wir keine Deflation. Trotz staerkster Lockerung der Geldpolitik haben wir keine angeblich immer nach klassischer pawlow'sche neoliberaler Vorstellung automatisch auftretende Inflation dieser Politik. Ein Tatbestand, der auch den letzten Monetaristen nun aussterben lassen sollte aud auch weitreichende Auswirkungen hat auf die wirtschaftstheoretischen und -politischen Vorstellungen und Konzepte des oekonomischen Mainstreams.

    Der allgemeine Preistrend (wesentlich mehr als nur geldbasierende Inflation/Deflation) ist durch sehr schwache Nachfage ruecklaufig. Die Ursache liegt wie so immer bei wesentlichen oekonomischen Fragestellungen im realen Bereich, der Finanzsektor bildet dieses dann entsprechen ab.

    Fuer die praktische Wirtschaftspolitik gilt daher die Fokusierung auf genau diese realoekonomischen Fragen, wie regionale Handelsbilanzungleichgewichte, Stoerung des oekonomischen Kreislaufes durch Vermoegenungleichgewichte mit entsprechenden Bilanzpositionen in Luxemburg und anderen Schurkenstaaten, reale Arbeitslosigkeit und prekaere Beschaeftigung als Belastung der Nachfrage und weniger oeffentliche Verwirrung durch vorabendliches pseudo-kompetentes Boersenfernsehen zur Volksverdummung.

  • Teil 1

     

    Einige Ergaenzungen zu einem sonst gelungenen Kommentar:

     

    Es ist sicher fraglich ob die Steinbrueck'schen Definitionsversuche zur Deflation von Bedeutung sind. Obwohl er selbst Volkswirt ist und daher viele Dinge besser wissen sollte, sind seine Kommentare doch immer vom selben Defizit gepraegt. Die deutesche Sozialdemokratie im 21. Jahrhundert gehoeren nicht zum intellectuall-progressiven Spektrum der Gesellschaft, als Konsequenz kann nur links-tuetteliges zustande gebracht werden.

     

    Unabhaengig davon ist es aber nur bedingt sinnvoll Inflation und die viel seltenere Deflation von ihrer originaeren geldtheoretischen Definition auf alle Preisentwicklungen zu uebertragen. Urspruenglich meinet man mit diesen Begriffen 'Krankheiten des Geldes' also prinzipielle geldtheoretische- oder praktische Problem, die man eben nicht direkt am Geld aber an desssn Wert ueber die Preise erkennen konnte. Jede Preisentwicklung als inflationaer oder delationaer zu erklaeren laesst die Grenze zu Marktentwicklungen der Preise verschwimmen. Die Verwirrung ist damit vorprogrammiert. So wie es allein definitiansgemaess keine Hauspreisinflation gibt, so sind gerade sehr volatile Aktienmaerkte mit Sicherheit nicht der richtige Indikatorraum fuer Inflation oder Deflation.

  • Laut der Unternehmensberatung McKinsey beträgt die Globale Verschuldung 199 Billionen Dollar (Dunkelziffer unbekannt). Insofern: wie ein Häuslebauer ist der Mensch am Wickel und der Kapitalismus genötigt sein Raubtier aus dem Stall zu lassen.

  • "Es ist eine seltsame Welt: Geld ist genug da, doch an der falschen Stelle. Da hilft nur, das Vermögen der Vermögenden zu besteuern. "

     

    Das ist , Frau Herrmann , nicht mal wie banges Pfeifen im dunklen Walde . Richtig : Geld ist genug da -... inklusive allerdings der Schuldtitel auf der anderen Seite der Schuldenberge , die in Zeiten von Deflation nicht mehr getilgt werden können , also Geldkapital ohne Wert sind . Geld , das die Banken praktisch nur noch verwahren , ist , streng gesehen , makroökonomisch ebenfalls wertlos .

    Der Frage , wieviel flüssiges Geld denn die klammen Staaten bei ihren Reichen einsammeln könnten und müßten , sind Sie (wohlweislich ?) nicht näher getreten .

     

    Fazit : Die neue Blase könnte schlimmer sein als die 2008 geplatzte .

  • 1G
    10236 (Profil gelöscht)

    "Geld ist genug da, doch an der falschen Stelle. Da hilft nur, das Vermögen der Vermögenden zu besteuern."

     

    Es ist sicherlich richtig. Da leider nicht mal eine sozialdemokratische (?) Partei diesen Ansatz hierzulande verfolgt, wird die Umsetzung der gerechten Besteuerung wohl noch 20-30 Jahre warten müssen.

  • Kurzum: Die Welt leidet am Kapitalismus.

  • Zitat: "Anlageberater erzählen zwar gern, dass man jetzt in Aktien investieren solle, weil dort ein höherer Gewinn winke. Aber das ist Unsinn. Die Finanzmärkte hängen zusammen, und das Geld rotiert so lange zwischen den einzelnen Anlageklassen wie Bankkonten, Immobilien, Agrarflächen oder Aktien, bis sich die Renditen überall angeglichen haben – bei fast null. "

     

    Was ist denn das für ein Unsinn? Ein weltweit diversifiziertes Aktienportfolio (kann man heute mit billigen ETF abbilden) hat NOCH NIE langfristig bei Null rentiert. Die langfristige Durchschnittsrendite bei Gewichtung nach Bruttosozialprodukt (nicht Aktienmärkte) liegt bei 10 bis 12%. EGAL WANN man eingestiegen ist. Genau so ein Unsinn, wie er hier behauptet wird hält die Leute davon ab, mitzuverdienen!