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Debatte Solidarität mit „Charlie Hebdo“Vom Terror gezeichnet

Daniel Bax
Kommentar von Daniel Bax

Wenn es um den Nachdruck der Karikaturen geht, wollen jetzt nicht mehr alle Charlie sein. Aber auch das gehört zur Meinungsfreiheit dazu.

Eine Auflage von drei Millionen statt der üblichen 60.000: die erste Ausgabe von „Charlie Hebdo“ nach dem Anschlag. Bild: dpa

W ie schillernd ein Bekenntnis doch sein kann. Als kurz nach dem Anschlag auf Charlie Hebdo in Paris der Slogan „Je suis Charlie“ von so vielen aufgegriffen wurde, da war das ein spontaner Ausdruck der Solidarität mit dem Satireheft, das so brutal angegriffen wurde. Gerade Journalisten und Karikaturisten ging die Ermordung ihrer französischen Kollegen besonders nahe.

Doch die Einigkeit, wie man zu Charlie Hebdo stehen soll, ist spätestens jetzt schon wieder dahin, wo das neue Heft weltweit in Millionenauflage erscheint. Muslimisch geprägte Staaten reagieren darauf mit Kritik und Zensur. Und prominente Medienhäuser selbst in Großbritannien und den USA, etwa die New York Times, zögern, die Karikaturen nachzudrucken, und sehen sich deshalb massiver Kritik ausgesetzt. Jetzt wollen eben nicht mehr alle „Charlie“ sein. Das zu akzeptieren gehört aber auch zur Meinungsfreiheit dazu.

Für Zeitungen liegt es zwar nahe, die Karikaturen nachzudrucken, damit sich der interessierte Leser selbst ein Bild machen kann. Eine ganz andere Frage ist aber, ob man sich den Humor von Charlie Hebdo zu eigen machen und seine Karikaturen zu Ikonen der Meinungsfreiheit stilisieren muss. Dass es für Massaker an Karikaturisten oder in jüdischen Supermärkten keinerlei Entschuldigung oder Rechtfertigung gibt steht völlig außer Frage. Trotzdem kann man mache Zeichnungen aus Charlie Hebdo weiterhin rassistisch, sexistisch oder zumindest ziemlich platt finden.

Die Sache liegt aber nicht so einfach wie bei den dänischen Mohammed-Cartoons eines Kurt Westergaard, deren islamophobe Botschaft – der Prophet Mohammed mit Bombe unter dem Turban – offensichtlich war. Denn Charlie Hebdo ist in Frankreich zweifellos eine linke Institution. 1969 gegründet, stammt sie aus einer ursprünglich antirassistischen und anarchischen Tradition. Ihre Spezialität ist ein derber Humor voller sexuellen Anspielungen, bewusst albern und obszön.

Doch in den letzten Jahren entwickelte das Blatt beinahe schon eine Obsession mit dem Islam und ein etwas dogmatisches Humorverständnis. Seine Macher betonen zwar, in alle Richtungen auszuteilen und alle Seiten gleichermaßen zu beleidigen – Katholiken, Juden und eben Muslime. Aber es macht eben einen Unterschied, ob man sich in einem katholischen Land wie Frankreich über Katholiken oder den Front National lustig macht – oder über Angehörige von Minderheiten wie Juden und Muslime.

Absolute Freiheit als Fiktion

Gerade in Deutschland sollte man eigentlich wissen, warum man vorsichtig sein sollte, sich über religiöse Minderheiten und deren Glaubensinhalte lustig zu machen. Umgekehrt gilt, dass sich Minderheiten häufig gerade deshalb über symbolische Kränkungen wie banale Karikaturen erregen, weil andere, viel gravierendere Formen der Diskriminierung - auf dem Arbeitsmarkt oder bei der Wohnungssuche - so viel schwerer greifbar und damit schwerer angreifbar sind. Wenn zur Demütigung aber auch noch die Beleidigung hinzu kommt, ist für manche eine Grenze überschritten, weshalb Charlie Hebdo mehrfach auch von Muslimen verklagt wurde.

Zur Wahrheit gehört auch, dass es selbst bei Charlie Hebdo nie eine absolute Meinungsfreiheit hab. Vor sechs Jahren warf die Zeitschrift ihren langjährigen Zeichner Siné hinaus, nachdem dieser eine Karikatur von Jean Sarkozy, dem Sohn des damaligen Präsidenten, veröffentlicht hatte, die als antisemitisch kritisiert worden war. Und auch der französische Staat zieht bei der Meinungsfreiheit klare Grenzen. So ließ Frankreichs heutiger Premier Manuel Valls vor genau einem Jahr eine Tournee des Komikers Dieudonné M’Bala M’Bala verbieten, weil er dessen Bühnenprogramm für antisemitisch hielt.

Dieudonné, der ursprünglich aus Kamerun stammt, hat sich in den letzten Jahren immer mehr dem Front National angenähert. Er ist für den so genannten Quenelle-Gruß berüchtigt, der viele an den Hitler-Gruß erinnert. Mehrmals schon wurde er wegen Antisemitismus und Aufstachelung von religiösem Hass verurteilt, während „Charlie Hebdo“ von diesem Vorwurf vor Gericht immer wieder frei gesprochen wurde.

Nach dem Terroranschlag von Paris sorgte Dieudonné wieder für einen Skandal, als er in einem Facebook-Posting schrieb, er fühle sich heute wie „Charlie Coulibaly“, auf den Nachnamen des Attentäters im Supermarkt anspielend. Dafür wurde er jetzt von der Polizei verhaftet, der Vorwurf lautet: Verherrlichung des Terrorismus. Solche Reaktionen sind Wasser auf die Mühlen all jener, die Frankreichs Staat und Gesellschaft vorwerfen, im Umgang mit seinen Muslimen mit doppeltem Maßstab zu messen.

Das Kalkül der Terroristen

Die gängige Lesart der Anschläge ist, dass die Attentäter damit eine weitere Abbildung des Propheten verhindern wollten. Was aber, wenn das gar nicht stimmt? Waren die Attentäter wirklich so naiv, dass sie nichts von den Mechanismen einer modernen Mediengesellschaft verstehen? Könnte es nicht sein, dass man in ihre Falle tappt, wenn alle Zeitungen und TV-Sender solche Karikaturen möglichst prominent weiter verbreiten? Und ist es wirklich so eine gute Idee, Millionen Muslime vor den Kopf zu stoßen, um es so den Attentätern heinzuzahlen?

Die Terroristen wollen den Kulturkampf verschärfen. Sie hoffen, dass Staat und Gesellschaft überreagieren, und möglichst viele junge Muslime, die sich ausgegrenzt fühlen, in ihre Arme treiben. Je mehr junge Muslime in Folge der Anschläge misstrauisch beäugt oder gar attackiert werden und sich zusätzlich durch Mohammed-Cartoons provoziert fühlen, so ihr Kalkül, umso größer wird die Kluft zwischen Muslimen und den europäischen Mehrheitsgesellschaften.

Was aber wäre dann die richtige Antwort auf den Anschlag von Paris? Nein, man muss sich Mohammed-Karikaturen oder Witze über den Islam deswegen nicht verbieten lassen. Der Chefredakteur des deutschen Satiremagazins Titanic, Tim Wolff, hat in einem ARD-Interview aber einen besseren Vorschlag gemacht: es braucht mehr Witze über Terroristen, um ihre Taten und ihre Ideologie der Lächerlichkeit preis zu geben.

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Daniel Bax
Redakteur
Daniel Bax ist Redakteur im Regieressort der taz. Er wurde 1970 in Blumenau (Brasilien) geboren und ist seit fast 40 Jahren in Berlin zu Hause, hat Publizistik und Islamwissenschaft studiert und viele Länder des Nahen Ostens bereist. Er schreibt über Politik, Kultur und Gesellschaft in Deutschland und anderswo, mit Fokus auf Migrations- und Religionsthemen sowie auf Medien und Meinungsfreiheit. Er ist Mitglied im Vorstand der Neuen deutschen Medienmacher:innen (NdM) und im Beirat von CLAIM – Allianz gegen Islam- und Muslimfeindlichkeit. Er hat bisher zwei Bücher veröffentlicht: “Angst ums Abendland” (2015) über antimuslimischen Rassismus und “Die Volksverführer“ (2018) über den Trend zum Rechtspopulismus. Für die taz schreibt er derzeit viel über aktuelle Nahost-Debatten und das neue "Bündnis Sahra Wagenknecht" (BSW).”
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42 Kommentare

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  • Die religiösen Gefühle Gläubiger mit Spott über Götter und Propheten zu beleidigen, ist unzivilisiert und dumm. Um so länger ich - Atheist und Anarchist - darüber nachdenke, um so deutlicher wird mir das. Wie halte ich es mit Freunden und Bekannten, darunter Christen, Juden, Muslime? Ich berühre selten religiöse Fragen und hüte mich, sie zum Atheismus zu bekehren. Warum auch? Die meisten von ihnen sind in irgendeiner Weise sozial engagiert - und das zählt für mich, dafür haben sie meinen Respekt. Und deshalb mache ich keine Witze über ihre Götter. Aber Satire über Heuchler, korrupte Geistliche, frömmelnde Machtmenschen, die Religion für ihre Interessen benutzen - die verstehen wir eigentlich alle. - Hätte nie gedacht, hier nochmal religiöse Menschen verteidigen zu müssen.

    • 6G
      6474 (Profil gelöscht)
      @Albrecht Pohlmann:

      pardon,aber ich muss dem als anarchist und atheist ganz deutlich widersprechen bzw. es ist okay wenn du persönlich niemanden beleidigen willst,nette geste und manchmal hilfreich.

      aber überall auf der welt werde ich als atheist am allermeisten beleidigt-und zwar in fast jeder religion.in manchen islamischen ländern wird sogar dringend dazu geraten sich als christ zu bezeichnen,weil auf atheismus die todestrafe steht.

      mir wurde im zarten alter von 6 jahren von katholiken mitgeteilt das ich in die hölle komme weil ich nicht getauft bin.

      was konnte ich mir schon anhören in meinem leben?-"höllenbrut" war noch eine der netteren bezeichnungen.und jetzt soll ich mein maul halten?-weil leute an lügen und märchen glauben wollen?beim allem respekt,aber dieser ganze sch... ist NICHT WAHR!es warten keine engel und keine 72 jungfrauen auf euch!

    • @Albrecht Pohlmann:

      Das ist für mich einfach nur die Erkenntnis, dass die Religion nicht den Menschen, sondern der Mensch die Religion macht.

       

      Insofern ist es auch nur normal und legitim, dass die Religion ein Teil des gesellschaftlichen Diskurses ist.

      Es gibt schließlich immer wieder neue Menschen die einen Konsens in Frage stellen.

       

      Zum Thema Freundschaft: Ist diese stark genug und hat nicht nur oberflächlige Verbindungen, die weniger tief als die Religion gehen, kann sie auch den Diskurs über jene ab.

      • @Pleb:

        Stimme Ihnen zu, bis auf die Freundschaft: Eine enge hält sicher auch den Dissens in weltanschaulichen Fragen aus. Trotzdem käme ich nie auf die Idee, mich gegenüber einer katholischen Freundin über den "Lieben Gott" lustig zu machen. Zumal es ihren starken Glauben gar nicht "treffen" würde, wie will diesseitige Satire Jenseitiges überhaupt treffen? Also bliebe es bloß eine Beleidigung. Und ich beleidige nicht, dessen Freund ich bin.

  • F: Was kommt heraus, wenn man einen Zeugen Jehovas mit einem Atheisten kreuzt?

    A: Jemand, der vollkommen grundlos an der Tür klingelt.

    • 1G
      12239 (Profil gelöscht)
      @Arcy Shtoink:

      :-D

    • @Arcy Shtoink:

      Der is super xD

  • @Daniel Bax

    "Aber es macht eben einen Unterschied, ob man sich in einem katholischen Land wie Frankreich über Katholiken oder den Front National lustig macht – oder über Angehörige von Minderheiten wie Juden und Muslime."

     

    Ich empfehle Ihnen, sich über die antisemitischen Karikaturen einiger islamischen Periodika zu informieren, bevor Sie der Heuchelei der religiös beledigten Islam-Angehörigen auf den Leim gehen. Wenn der Islam zu Europa gehören will und Teil der europäischen Gesellschaft sein will, dann wird er sich auch kritisieren lassen müssen wie andere Teile der Gesellschaft auch - und sei es in Form einer Karikatur, die den Propheten sagen lässt: "Alles ist vergeben".

  • Da haben wir also den x-ten taz-Artikel über Satire, Islam, Terror und Meinungsfreiheit. Während es schon schlechtere Artikel in der taz gegeben hat, muss man allerdings anerkennen, daß der wichtigste Grund für islamistischen Terror - neben der Tatsache, daß es sich bei Al Qaeda und co. um unsere Monster handelt - immer brav ausgeklammert wird: der Terror des Westens. Telepolis:

     

    "Amerikaner und Europäer einen die "gemeinsamen humanistisch-universalistischen, normativen Orientierungen und Ziele". Die transatlantische Wertegemeinschaft steht für Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und vor allem für die Einhaltung der Menschenrechte. Diese höheren Werte werden bei jedem neuen Konflikt, als das zu verteidigende Banner vor sich her getragen. Und während Politik und Medien genau dieses Bild aufrechterhalten, vernichtete und vernichtet die westliche Wertegemeinschaft, jenseits der medialen Aufmerksamkeit, Millionen Menschenleben. "Freiheit" und Wohlstand der westlichen Welt werden mit dem Tod von "Unpersonen" erkauft." Kriege, Kriegsverbrechen und Propaganda | http://unurl.org/2Wly

    • @h4364r:

      Wird Zeit, dass sich auch mal die Würdenträger der Westlichen Welt von all dem, öffentlich, deutlich distanzieren würden.

  • Frecher Humor und Satire sind doch auch erlaubt und im Rahmen der Meinungsfreiheit, wenn sie Atheisten zum Ziel haben?

     

    Also denn mal ein paar kleine Atheisten-Witze. Sie sind zwar nicht besonders witzig, aber das kann man von der Charlie Hebdo-Witzen ja auch nicht behaupten.

     

    Kommt ein Atheist in einen Dönerladen, um den muslimischen Besitzer zu ärgern. "Ein Döner bitte." "Kalb oder Pute?" "Schwein." "Das sehe ich. Und was wollen Sie in Ihren Döner?"

     

    Diskutieren ein Atheist und ein Christ in einer Kneipe. "Gott ist eine Erfindung des Menschen." "Die Demokratie auch." "Aber die Demokratie ist real." Da nimmt der Wirt dem Atheisten das Bier weg: "Wenn ich gewußt hätte, daß Sie so wenig vertragen, hätte ich Ihnen ein Alkoholfreies gebracht."

     

    Fahren zwei Nonnen auf Fahrrädern an zwei Atheisten vorbei. Ruft der eine hinterher: "Wenn Gott real ist und Fahren besser als Gehen, warum hat er Euch Füße statt Rädern gegeben?" Ruft die eine zurück: "Wenn die Evolution real ist, warum gibt es dann Idioten?"

    • @Dudel Karl:

      Kommt ein Mann zum Arzt:

      "Kann ich mit Durchfall baden"?

      Wenn Sie die Wanne voll bekommen, ja.

      • 1G
        12239 (Profil gelöscht)
        @Ron Jeremy:

        Perfekt!

      • @Ron Jeremy:

        Dachte seit heute früh nicht, heute nochmal lachen zu können.

        Der Kommentar ist herrlich.

        Danke !! :-))))

      • @Ron Jeremy:

        Kommt ein Atheist zum Arzt: "Ich glaube an Gott. Ist das schlimm?" "Nur, wenn Sie Atheist sind." "Ich bin Atheist." "Dann verschreibe ich Ihnen ein Antignostikum. Nehmen Sie es so lange dreimal täglich, bis Sie nicht mehr an Gott glauben." Nach einer Woche kommt der Atheist wieder: "Ich bin geheilt. Ich glaube jetzt nicht mehr an Gott." "Schön, dann hat die Arznei gewirkt" "Ja, ich vertraue stattdessen auf Wissenschaft, Rechtsstaat und Demokratie." "Scheiß Nebenwirkungen."

  • 7G
    774 (Profil gelöscht)

    [... es braucht mehr Witze über Terroristen, um ihre Taten und ihre Ideologie der Lächerlichkeit preis zu geben.] - Ja, zahlt es ihnen heim, den Politikern, Beamten und Richtern!

    • @774 (Profil gelöscht):

      Beamte? ... Wurden Sie bei zu schnellem Fahren erwischt?

  • "Aber es macht eben einen Unterschied, ob man sich in einem katholischen Land wie Frankreich über Katholiken oder den Front National lustig macht – oder über Angehörige von Minderheiten wie Juden und Muslime."

     

    In Bezug auf irgendwas bin ich immer in einer Minderheit (Bayern-München-Vereinsmitglied, Glatzkopf, Avocadofan, Streichholzsammler, Tandemfreak ...). Wehe es wagt einer, sich über mich lustig zu machen: übler "Rassist".

    • @Ernst Tschernich:

      Haha, netter Versuch.







      Die ständige instutionalisierte Diskrimminierung von FCB-Verinsmitlgiedern ist auch wahrlich eine Schande.







      [...] Kommentar gekürzt. Die Moderation

  • Ein sehr interessanter Artikel. Ich finde es in der Tat ein wenig wohlfeil, sich als der besonders Gute zu gerieren, einfach weil man karikiert, dann aber in der beschriebenen Weise verschiedene Maßstäbe anzulegen, je nach Ziel der Satire. Andererseits haben wir es hier mit dem zwangsläufigen Widerspruch von Satire und Gesellschaft bzw. Politik zu tun. Satire ist ja gerade nicht mehr Satire, wenn sie vorgeschriebenen Regeln folgt. Aber Satire um der Beleidigung Willen ist in jedem Kontext billig. Sie läuft dann leer und funktioniert nicht mehr.

    Was ich insgesamt aber seltsam finde, ist das ostentative Bestehen darauf, die Pressefreiheit sei angegriffen worden. Ist sie nicht: Wenn wir in einer Diktatur mit totaler Zensur lebten, die zufällig aber solche Bilder gestattet, wäre der Anschlag wohl auch irgendwann passiert. Die Reaktionen erscheinen mir daher irgendwie schief. Dass einige solche Bilder nun verbieten wollen, ist zwar ein Angriff auf die Pressefreiheit, aber eben nicht der Anschlag selbst. Er lässt sich ohne Verlust der eigenen Haltung durchaus als extremer Auswuchs eines Konflikts verstehen, dessen eine Partei sich dadurch zur Partei macht, dass sie genau den wunden Punkt immer wieder attackiert, den wir doch ohnehin kennen. Klar, der Umgang mit so etwas entspricht nun wirklich nicht dem Verständnis sogenannter Aufgeklärter. Aber das macht uns ja nicht zu besseren oder wertvolleren Menschen, wie es manchmal suggeriert wird.

    Albrecht Pohlmanns Kommentar, auf den er hier verlinkt (http://www.taz.de/!1...message_3220886), finde ich sehr bemerkenswert und empfehle ihn als differenzierten, wenn auch sicher nicht einfach-konsensuellen Beitrag zu all den Gedanken, die hier zu lesen sind.

  • Wie äußerte sich Charlie Hebdo Gründungsmitglied und Zeichner Willem Holtrop bereits anläßlich der Groß-Demonstration in Paris und überall über die "Heuchler":

     

    „Wir kotzen auf all die Leute, die sich plötzlich unsere Freunde nennen“.

     

    http://www.focus.de/politik/ausland/kritik-von-charlie-hebdo-zeichner-willem-holtrop-wir-kotzen-auf-unsere-neuen-freunde_id_4397705.html

     

    Je suis Charlie.

  • Der Satz:

    "Und ist es wirklich so eine gute Idee, Millionen Muslime vor den Kopf zu stoßen, um es so den Attentätern heinzuzahlen?"

     

    offenbart ein Denken an dessen Ende das Ende der Pressefreiheit steht.

     

    Meinungsfreiheit ist einfach schwarz oder weiß, sie veträgt keine Relativierung oder "Rücksichtnahme" - sonst ist sie nicht mehr vorhanden.

     

    Ein Satz wie: Es gilt die Meinungsfreiheit, aber sie sollte....

     

    Ist einfach nur Parodie. Ja oder Nein.

  • Lieber Daniel Bax, Sie sprechen mir aus der Seele! Es hat etwas Pubertäres, mit einem trotzigen "Jetzt erst recht!" den Propheten jetzt noch mal ganz doll zu beleidigen. Wer das macht, ist mutig, hat aber nicht lange genug nachgedacht. Es ist ziemlich doof, aus der (wirtschaftlichen, militärischen) Überlegenheitsposition des Westens den Minderheiten im Inland bzw. den Massen einer - mehr oder weniger - westlich dominierten Welt ihre Religion madig zu machen. Wie es überhaupt eher lächerlich ist, über Götter und Propheten herzuziehen, weil man dann doch so tut, als hielte man deren Existenz für real. Da sich die Texte zum Thema gerade häufen - hier mein Kommentar an anderer Stelle: http://www.taz.de/!152836/#bb_message_3220886

    Also nochmals Dank, Daniel Bax - von einem, der jahrelang "Redakteur" für Weltmusik war, habe ich kaum etwas anderes erwartet.

    • @Albrecht Pohlmann:

      Da sämtliche Religionen reine menschliche Erfindungen sind, dürfte der nackte Spott eines jedes Atheisten spätestens seit der Aufklärung mehr als gerechtfertigt sein.

       

      Je suis Charlie.

      • @Eilige Intuition:

        Auch der Atheismus ist eine menschliche Erfindung.

    • @Albrecht Pohlmann:

      "Westlich dominierte Welt"? Wovon reden Sie überhaupt? Als ob bspw. die mediale Öffentlichkeit in Saudi-Arabien mit unserer vergleichbar ist.

       

      "Wie es überhaupt eher lächerlich ist, über Götter und Propheten herzuziehen, weil man dann doch so tut, als hielte man deren Existenz für real."

       

      Man mag die Existenz nicht für real halten, der Glauben daran ist es aber definitiv.

      • @Malte Kuller:

        "Man mag die Existenz nicht für real halten, der Glauben daran ist es aber definitiv." - Wunderbar, @Malte Kuller, wie man sich mißverstehen kann - eben genau das meinte ich doch: der Glauben ist real für Milliarden Gläubige und auch wir Atheisten wären gut beraten, hier weise zu agieren und nicht auf Teufel komm raus zu beleidigen. Wozu soll das denn dienen? Milliarden ins atheistische Umerziehungslager? Man könnte auch sagen: Wer auf diesen Beleidigungen irgendwelcher religiöser Gefühle beharrt, will - ob nun bewußt oder unbewußt - auf einen permanenten Kriegszustand der "Kulturen" (gemeint sind: Religionen, auch Rassen ...) hinaus. Angesichts der EINEN WELT, in der wir leben, erscheint mir das als sowas von ... 15. Jahrhundert (mindestens, wenn nicht früher). Mohammed-Karikaturen zu veröffentlichen ist mutig, aber nicht klug. Nachdenken hilft meistens. und: Es ist ein gewaltiger Unterschied, ob ich in einem katholischen Land mit laizistischer Tradition, wie Frankreich, über das Christentum witzele, oder aus "westlicher" Position (was die anderen wahlweise mit "christlich" oder "ungläubig" übersetzen) über außerwestliche Religionen herziehe. Dann bin und bleieb ich der Imperialist und Neokolonialist. Ist eigentlich alles schon -zigmal analysiert und geschrieben worden, aber irgendwie geht linke Theorietradition gerade rapide verloren.

  • "Ein Volk, das seine ´Caricatura´nicht ernähren und am Leben erhalten kann, ist nicht wert, daß es existiert"

    Robert Gernhardt

     

    "Wir sind in ganz wenigen Ländern auf der Welt privilegiert, sagen zu dürfen, was wir wollen. Es gibt nur wenige Länder auf der Welt, in denen wir dieses Geschenk haben. Wir müssen es wertschätzen. Alle anderen wollen es, wir haben es - lasst uns uns nicht benehmen, als ob wir es nicht brauchen"

    Salman Rushdie

     

    "Es ist sehr einfach, nicht verletzt zu sein, man guckt sich ein anderes Kunstwerk an"

    Salman Rushdie

  • Danke, danke..........endlich einmal ein differenzierter Artikel! Der nicht nur eine gute Recherche zeitigt; sondern auch mir das Gefühl gibt, nicht ganz so allein mit meinen Gedankengängen bezügl. " Charlie" zu sein. Nach all den einhelligen Meinungen und den zwanghaften Solidaritätsbekundungen und zunehmendes Unbehagen meinerseits, wollte ich schon eine Psychiater bitten, pathologische Ursachen für meine weniger konformen Sichtweisen , abklären lassen;)

    • @Maryam Marasco:

      Weitaus schlimmer finde ich die x-te scheinheilige nationalistische Äußerung anlässlich der Mahnwache in Berlin von Bundespräsident Gauck, von der sich Sigmar Gabriel sogar "berührt" fühlte:

       

      "Wir alle sind Deutschland."

       

      Im Kontext mit den furchtbaren Morden von Paris eine degoutante, unglaublich reaktionäre, chauvinistische Selbstbeweihräuscherung und gleichzeitiger kaum noch unterschwellig zu nennender Kotau vor den völkischen Parolen von Pegida & Konsorten.

       

      http://d-a-s-h.org/dossier/16/06_dbd.html

       

      Sehr geehrter Herr Gauck,

       

      lassen Sie mich zukünftig bei Ihren schamlosen Beteuerungen außen vor.

       

      Ich bin NICHT Deutschland. Und Ihr Deutschland schon gar nicht.

       

      Je suis Charlie.

    • @Maryam Marasco:

      Weitaus schlimmer finde ich die x-te scheinheilige nationalistische Äußerung anlässlich der Mahnwache in Berlin von Bundespräsident Gauck, von der sich Sigmar Gabriel sogar "berührt" fühlte:

       

      "Wir alle sind Deutschland."

       

      Im Kontext mit den furchtbaren Morden von Paris eine degoutante, unglaublich reaktionäre, chauvinistische Selbstbeweihräuscherung und gleichzeitiger kaum noch unterschwellig zu nennender Kotau vor den völkischen Parolen von Pegida & Konsorten.

       

      http://d-a-s-h.org/dossier/16/06_dbd.html

       

      Sehr geehrter Herr Gauck,

       

      lassen Sie mich zukünftig bei Ihren schamlosen Beteuerungen außen vor.

       

      Ich bin NICHT Deutschland. Und Ihr Deutschland schon gar nicht.

       

      Je suis Charlie.

      • @Eilige Intuition:

        Dacore mit Abwandlungen:) Hier zuletzt von mir:

         

        Ich bin schon gut damit beschäftigt ich selbst zu sein; anders gesagt, ich bin nicht Charlie! Die Menschen, welche sich aus vielfältigen Gründen zu Gruppen gehörig fühlen wollen, sollten sich bewusst machen, dass sie -psychoanalytisch- gesprochen, durch einen mangelnden Individuationsprozeß, noch in der Pubertät feststecken;) Hierzu für alle Cineasten einen wunderbaren Film von Woody Allen : ZELIG

        Kurzbeschreibung: Leonard Zelig ist ein gesellschaftlicher Verwandlungskünstler. Seine neurotische Unsicherheit zwingt in zu geistigen und sogar körperlichen Anpassung an jede Umgebung,-egal mit wem er gerade zusammen ist. Das ist eine wunderbarer typisch satirischer Film eines Woody Allens aus 1984.

        Eben Qualitätshumor!

        https://www.youtube....h?v=hPTq9ki_oAs

  • Niemand wird gezwungen an eine Religion zu glauben, ich finde den Begriff Religionsrassismus wirklich schlimm. Wirklicher Rassimus ist gegen Hautfarbe oder Herkunft.

     

    Dass rechte "Religionskritiker" eigentlich nicht die Religion meinen ist wohl klar, dass ist auch wirklich der einzige Grund warum man deren Kritik dann ablehnen sollte.

     

    Ideologie von solchen ist dann meist genauso rückständig, darum muss mehr Aufklärung von links kommen so wie es eben natürlich ist, die kam nämlich immer nur von links.

    • @AufklärungstattIgnoranz:

      @Religionsrassismus : Kleiner Tip: Der Begriff "Jude" bezeichnet Anhänger des Jüdischen Glaubens. Es gab mal eine Zeit in Deutschland, da wurden Juden ...

      • @Arcy Shtoink:

        Die Hamburger Journalistin Peggy Parnass schrieb Anfang der Achtzigerjahre anlässlich eines Prozesses gegen Wachmannschaften der Konzentrationslager: "... als ob man jüdische Atheisten verschont hätte"

    • @AufklärungstattIgnoranz:

      Obschon ich selber Atheist, bin ich erschrocken über die Nonchalance, mit der TAZ-Autoren und viele Leser in ihren Kommentaren ihren kontext- und gedankenlosen Atheismus zelebrieren. Milliarden Menschen sind gläubig - es ist ein Phänomen, das man nicht einfach mit "Niemand wird gezwungen an eine Religion zu glauben" wegwischen kann. Wir haben also mit diesen Gläubigen, unseren Mit-Weltbürgern, zu rechnen! Es wäre dabei klug, von menschlichen essentials auszugehen - jede und jeder wollen in Frieden, Gesundheit und ohne materielle Not leben. Religionen werden deshalb von der Mehrheit der Gläubigen stets pragmatisch ausgelegt. An diesen "pragmatischen mainstream" können wir alle anknüpfen, Gläubige wie "Ungläubige", das eint uns. Um so mehr wir diese Normalutät fördern, um so weniger Raum bleibt den Fundamentalisten. - Die hier vorgetragene "Religionskritik", die ich grundsätzlich teile, ist mir oft viel zu abstrakt und unpraktisch fürs friedliche Zusammenleben auf diesem Planeten.

      • @Albrecht Pohlmann:

        "gedankenlosen Atheismus zelebrieren"

         

        Gedankenlosigkeit findet sich bei kritischen Atheisten und Agnostikern eher selten und ist doch wohl nahezu ausschließlich das ausgesprochene Privileg der "Gläubigen".

         

        Je suis Charlie.

      • @Albrecht Pohlmann:

        Am besten gefällt mir die Satire, die aus der muslimischen Welt selbst stammt, und die Fundamentalisten als einfache Arschlöcher und Idioten abstempelt, die ihre Verirrungen und ihre Gewalt durch Religion rechtfertigen wollen. Diese Perspektive ist meines Erachtens quer durch die Glaubensrichtungen konsensfähig.

        • @Karl Kraus:

          nicht "quer durch", sondern quer für.

          • @Eilige Intuition:

            ?

      • @Albrecht Pohlmann:

        Sehe ich ähnlich. Die grosse Mehrheit der Gläubigen hierzulande dürfte es so wie ich halten: ich empfinde manche vermeintliche "Witze" über Gott, Jesus und andere Aspekte meines Glaubens zwar als unverschämt. Aber gerade weil dieser stark genug ist, muss ich mich nicht unnötig darüber echauffieren.

        • @Malte Kuller:

          "Aber gerade weil dieser stark genug ist, (..)."

           

          Du lieber Himmel.

           

          Glaube und Heilige Einfalt sind in der Tat selbst in 2015 Synonyme.

           

          Je suis Charlie.