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Debatte Russlands AußenpolitikPutins Status quo

Klaus-Helge Donath
Kommentar von Klaus-Helge Donath

Bis vor kurzem sah es aus, als ob Russland außenpolitisch alles richtig machte. Doch die Proteste in Kiew legen die narzisstische Statuspolitik offen.

Moskau versucht, die Einzelteile des untergegangenen Imperiums zusammenzusetzen. Bild: dpa

D ieses Jahr war das Jahr Präsident Wladimir Putins. Davon ist nicht nur Russlands politische Elite überzeugt. Auch das US-Magazin Forbes kürte den Kremlchef dieses Jahr zum politisch einflussreichsten Mann der Welt. Laut Forbes kann US-Präsident Barack Obama dem Russen auf internationaler Bühne nicht mehr das Wasser reichen.

In der Tat absolvierte Wladimir Putin seit Juni einen Höhenflug. Whistleblower Edward Snowden tauchte in Russland unter, das ihm auch vorübergehend Asyl gewährte. Statt wie bisher wegen seiner fragwürdigen Menschenrechtspolitik kritisiert zu werden, war aus Russland über Nacht eine Macht des Guten geworden.

Im September gelang es dem Kremlchef in einer Blitzinitiative, die Vernichtung syrischer Chemiewaffen einzuleiten. Das rettete dem syrischen Präsidenten Assad nicht nur das politische Überleben, es verdrängte den Krieg vorerst aus den Schlagzeilen. Obwohl sich an der Lage im Kriegsgebiet nichts änderte, konnte Russland so in die selbst definierte Rolle als Unterpfand des Weltfriedens schlüpfen.

Fast zur selben Zeit gelang es dem Kremlchef, Armenien den Ausstieg aus dem EU-Programm der Östlichen Partnerschaft schmackhaft zu machen. Noch vor der Ukraine lehnte Jerewan daraufhin die Unterzeichnung eines Assoziierungsabkommens ab. Der Höhepunkt der Erfolgssträhne war im November erreicht, als der Präsident der Ukraine, Wiktor Janukowitsch, das Vorhaben der Annäherung an die EU aufkündigte.

Hallo Partner, danke schön

Die Bilanz des Westens ist dagegen entmutigend. Die europäische Schwäche ist auch auf die Gleichgültigkeit zurückzuführen, mit der die EU der östlichen Partnerschaft lange begegnete. Nicht zuletzt auch aus Rücksichtnahme gegenüber Russland und der Angst vor irrationalen Reaktionen des Kremls. Erst in letzter Minute begriff die EU, als hätte es den Georgienkrieg nie gegeben, dass Putins antiwestliche Rhetorik Konsequenzen – auch geopolitische – haben könnte.

Die proeuropäischen Demonstrationen, die sich zu Protesten gegen die Machthaber in Kiew ausweiteten, verpassten der Euphorie in Moskau jedoch einen Dämpfer. Denn die wachsende Opposition gefährdet nicht nur die Herrschaft Wiktor Janukowitschs, sie macht eine Rückkehr der Ukraine in den russischen Schoß auch immer unwahrscheinlicher.

Moskau versteht nicht, was in der Ukraine vor sich geht: dass sich Gesellschaften von alten Eliten und ewigen Wahrheiten emanzipieren und lieber dort nach Anregungen suchen, wo „Soft Power“ im Angebot ist; statt Druck, Erpressungen und Verschwörungstheorien.

Soft Power to the People

Zurzeit versucht Moskau, die Einzelteile des untergegangenen Imperiums zusammenzusetzen. Dahinter steckt aber keine langfristige Strategie, die sich auf verlässliche Analysen stützen würde. Es sieht eher nach einer Laune aus, mit der Putin den anhaltenden Phantomschmerz lindern will. Dafür gründete man eine Zollunion mit Kasachstan und Weißrussland, der neben Armenien auch die Ukraine und zentralasiatische Staaten beitreten sollen.

Die Zollunion auf Basis einer Eurasischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) soll zu einer umfassenden politischen Eurasischen Union ausgebaut werden. Moskau lockt mit supranationalen Institutionen, an denen alle gleichberechtigt teilhaben dürfen. Aber bislang erklärten nur Weißrussland und Kasachstan ihre Mitgliedschaft. Doch selbst diese Autokratien bleiben Moskau gegenüber misstrauisch – im Ukrainekonflikt war es Putin, der sich als Einziger zu Wort meldete.

Das neue geopolitische Gebilde imitiert die Europäische Union, indem es gleiche Institutionen mit gleicher Bezeichnung schafft. Es war schon immer ein Charakteristikum russischer Politik, äußere Attribute des Westens zu übernehmen, diese aber mit gegenläufigen Inhalten zu füllen. Nach dem mühseligen Konsensprinzip der EU funktioniert die Eurasische Union jedenfalls nicht.

Auch wirtschaftlich ist das Konzept zweifelhaft. Fest steht, dass Russland materiell nicht profitieren wird. Vielmehr schießt es zu, um sich die Gunst der Autokraten zu erhalten. Auch der russische Steuerzahler wurde nicht gefragt, was er von dem Unternehmen hält. Zweifelsohne stecken neoimperiale Bestrebungen dahinter, mit denen Russland sich als eines der zivilisatorischen und integrativen Zentren neben EU, USA und China zu profilieren hofft. Ein Integrationsmagnet ist das Reich bislang noch nicht, weshalb nachgeholfen werden muss.

Putins Opferbereitschaft

Gleichzeitig ist Moskau gar nicht so erpicht auf direkte Machtausübung, wie die Bereitschaft zu finanziellen Opfern belegt. Auch in Syrien setzt der Kreml nicht auf materielle Vorteile. Seit dem Zusammenbruch der UdSSR hat das erratische Verhalten Moskaus vor allem etwas mit dem Kampf um den sozialen Status als Großmacht zu tun. Gerade der postsowjetische Raum ist zentral für Moskaus Selbstanspruch. Die Bedeutung eines realen Machtzuwachses spielt zuweilen eine geringere Rolle, als die Verteidigung der Insignien der Macht oder deren Rückeroberung.

Russland will an weltpolitischen Entscheidungen beteiligt sein; wie diese inhaltlich aussehen, ist dafür nicht unbedingt entscheidend. Sich der russischen Außenpolitik mit einer Kosten-Nutzen-Analyse zu nähern, führt daher oftmals in die Irre. Der symbolische Gehalt des sozialen Ranges – der selbst definierten Großmachtrolle – dominiert das Denken der russischen Elite und verleiht ihrer Politik widersprüchliche Züge. Die narzisstische Statuspolitik, die sich weigert, die Asymmetrie zwischen Selbstwahrnehmung und Außengeltung zur Kenntnis zu nehmen, ist nicht nur teuer, sie hindert Russland daran, eine außenpolitische Strategie zu entwerfen.

Denn auch Moskau wird langfristig nicht umhinkommen, sich nach Partnern, Bündnissen und Kooperationen umzuschauen. Die eurasischen Nachbarn werden diesen Ansprüchen nicht genügen, sie müssten sich erst einer Modernisierung unterziehen. Auch Russland müsste sich reformieren. Ursprünglich hatte Wladimir Putin bei Amtsantritt im Jahr 2000 dies versprochen, aber bisher nicht eingelöst.

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Klaus-Helge Donath
Auslandskorrespondent Russland
Jahrgang 1956, Osteuroparedakteur taz, Korrespondent Moskau und GUS 1990, Studium FU Berlin und Essex/GB Politik, Philosophie, Politische Psychologie.
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12 Kommentare

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  • @Irma

    Hallo Irma, Sie schreiben da ständig von mysteriösen Tscherkissen. Was ist das eigentlich, und in welchen Ländern bekommt man diese Frucht serviert? Und warum schreiben Sie da in jedem Ihrer Kommentare darüber?

  • So kommen wir einander schon ein wenig näher und finden vielleicht doch noch zu einer guten Diskussionsgrundlage. Ich kenne die Probleme der Tscherkessen in der Türkei einigermassen gut, da ich selbst dort lebe (ich nehme an, das wissen Sie). Ich selbst finde es vollkommen inakzeptabel, daß die fatalen Auswirkungen der kemalistischen Nationalitätenpolitik, soweit sie die Tscherkessen betreffen, von westlichen Betrachtern meist schlicht ignoriert werden. Ich mache dafür nicht zuletzt auch rassistische Bewertungsmaßstäbe unserer westlichen Öffentlichkeit verantwortlich. Ihr Vergleich ist meines Erachtens jedoch trotzdem nicht ganz treffend: Der Nordkaukasus ist die ursprüngliche Heimat von Tscherkessen, Tschetschenen usw., die dort die Mehrheit stellten und erst in Folge der russischen Vertreibungs- Vernichtungs und Assimilationspolitik zur Minderheit wurden. Das Osmanische Reich und die Türkei waren dahingegen ursprünglich ein temporärer Zufluchtsort, auch wenn letztere mittlerweile für viele der Nachkommen nordkaukasischer Migranten zur dauerhaften Heimat geworden ist. Insofern ist der Vergleich russische Minderheitenpolitik - türkische Minderheitenpolitik irreführend. Zudem zeigen auch jüngste Entwicklungen erhebliche Unterschiede: Während die Situation in der Türkei - trotz Erdogans dikatatorischer Ambitionen (!)- in Richtung auf mehr kulturelle Freiheiten und politische Partizipation für Minderheiten geht, machen die Verhältnisse im russischen Nordkaukasus rapide Rückschritte samt zunehmend massiver Menschenrechtsverletzungen.

  • DA
    D.J. an @Irma Kreiten

    @Irma Kreiten,

     

    bitte entschuldigen Sie. Die Antwortfunktion funktioniert aus mir unbekannten Gründen auf meinem Recher nicht. Darum habe ich das @ gewählt. Das "wir" mögen Sie durch "ich" ersetzen.

    Es ist übrigens in der Tat bedauerlich, dass das tscherkessische Schicksal (weitgehende ethnische Säuberungen im 19. Jh.) so gut wie niemandem bekannt ist. Zumal eine assimilatorische Politik in der Türkei auch dort die Kultur und Sprache der einst Vertriebenen fast zum Erlöschen gebracht hat (in Russland haben die Tscherkessen nach der Oktoberrevolution wenigstens zwei, wenn auch kleine, territoriale Einheiten bekommen und können an einigen Schulen ihre Sprache lernen).

    • @D.J. an @Irma Kreiten:

      Und zur Sowjetunion bzw. ihrer Nationalitätenpolitik: Ein nicht nach historischen Phasen differenzierender Verweis darauf, daß die Sowjetherrschaft auch eine handvoll wohldosierte Rechte und Chancen für die ehemaligen Mehrheitsbewohner des Nordkaukasus gebracht habe, klingt mir zudem allzu gönnerhaft bzw. angesichts der stalinschen Verbrechen geradezu exkulpatorisch und ist meines Erachtens damit auch recht unangebracht. Minderheiten haben einen Anspruch auf kulturelle und politische Rechte. Wer Almosen gewährt in der Ansicht, daß Minderheiten sich mit dem, was ihnen andere auf willkürliche Art und Weise zugestehen, zu bescheiden haben, verletzt ihre Rechte und Würde erneut. Trotzdem haben Sie in der Hinsicht recht, daß die Problematik der Tscherkessen eine internationale ist und eben nicht auf die RF begrenzt und dieser alleine angelastet werden kann.

  • @Irma Kreiten. In der Tat hat Europa seit Putin, die ganze Zeit vor Russland gekuscht. aber war die Partnerschaft "aus machtpolitischen Gründen" jemals attraktiv? für Gas sich in Abhängigkeit zu begeben und einem Land dafür in seiner offensichtlichen Hegemonialpolitik zu willen sein zu müssen, lässt sich kaum als machtpolitischen Trumpf verkaufen.

    • @ingrid werner:

      Das mag in der Tat so sein, ich fürchte aber, diejenigen, die maßgeblich für die Augestaltung unserer Außenpolitik sind, sehen dies nicht so. Das gilt auf der anderen Seite, d.h. in Bezug auf den "Partner" USA, doch auf ganz ähnliche Weise. Im Falle Rußlands kommen neben dem Gas auch noch andere Aspekte wie Wirtschaftskooperation und Absatzmärkte hinzu. Was ich hier konkret mit "aus machtpolitischen Gründen" meinte, war allerdings, daß sich die EU nun in Form der Ukraine Machtzuwachs verspricht, es dadurch zu Spannungen mit Rußlad ist und dies einer der Hauptgründe ist, warum nun nun plötzlich wieder vermehrt von "Menschenrechten" gesprochen wird.

  • 7G
    774 (Profil gelöscht)

    "Russland will an weltpolitischen Entscheidungen beteiligt sein; wie diese inhaltlich aussehen, ist dafür nicht unbedingt entscheidend." Hauptsache überall mitreden, ob nun sinnvoll oder nicht.

  • IK
    @Irma Kreiten

    Liebe Frau Kreiten, es ist wichtig, an jeden Vorgang zu erinnern, der genozidale Merkmale hat. Auch wenn er, wie der überaus grausame Kaukasuskrieg, 150 bis 200 Jahre zurückliegt. Bei Ihnen hat dies jedoch etwas geradezu Obsessives, da Sie Ihr "Ceterum censeo" fast bei jedem taz-Artikel anbringen. Jedenfalls kann ich auch hier keinen direkten Zusammenhang zum Artikel erkennen. Vielleicht können Sie evtl. vorhandene persönliche Beweggründe offenbaren, damit wir Sie besser verstehen können?

    • @@Irma Kreiten:

      Es gibt eine Antwortfunktion bei der TAZ, da muessen Sie nicht mit einem @ und fremdem Namen (meinem!) schreiben, ein Pseudonym wird ihnen ja wohl noch einfallen. Meine persoenlichen und gesellschaftspolitischen Beweggruende lassen sich nachlesen, hier und anderswo. Die erklaere ich Ihnen nicht immmer wieder aufs Neue. Was mich allerdings an Ihrer Seite interessieren wuerde: wer ist das "wir", von dem Sie hier sprechen und dessen gravierende Verstaendnisprobleme und Wissensdefizite Sie hier offenbaren? Sie schreiben hier dann offenbar wohl doch nicht als Privatperson, oder wie darf ich das deuten?

  • BM
    Brave Medienmichels

    Auch Russland ist ein kapitalistischer Staat ...

     

    Die Aufgabe der bürgerlich-emanzipatorischen Aufklärung wäre es heute, vor allem, im imperialistischen Deutschland und deren Europäischen Union:

     

    Die spätbürgerliche Medien-Berichterstattung sollte sich auch auf das Geheimdienst-Zentrum, - des bundesdeutschen Finanz-, BDA-Wirtschafts-, Rüstungs-, BDI-Konzern-, Rohstoff- und Monopolkapitals -, den staatsmonopolistischen und imperialistischen Bundesnachrichtendienst (u.a. mit BND-Zentrum in Berlin-Mitte) der deutschen Finanz- und Monopolbourgeoisie und deren hündische post-ideologische und gesellschaftspolitische Administration in Parteien, Kirchen, Gewerkschaften, Verbänden, 'NGO'-Stiftungen, Bundesministerien (Justiz, Bundeswehr, Polizei und analoge Gewalteinrichtungen), Regierung und Parlament, konzentrieren!

     

    Aufwachen, brave deutsch-europäische BDA-BDI-Wirtschafts- und BND-BfV-Medienmichels! (?)

  • "Bis vor kurzem sah es aus, als ob Russland außenpolitisch alles richtig machte. Doch die Proteste in Kiew legen die narzisstische Statuspolitik offen.". Für mich gestaltet sich der Sachverhalt eher umgekehrt: Rußland verfolgt - ebenso wie die westlichen Mächte - im In- und Ausland rücksichtslos die eigenen Großmachtsinteressen, von einem "richtig machen" kann in Bezug auf menschliche Werte doch nicht die Rede sein. Die narzisstische Statuskpolitik des Westens (!) hingegen offenbart nun ihr wahres Gesicht, indem Menschenrechtsverletzungen und Demokratiedefizite beim östlichen Partner just in dem Moment erkannt werden, in dem eine Partnerschaft mit Rußland aus machtpolitischen Erwägungen heraus unattraktiver wird und man sich um den Besitz der Ukraine streitet. Wenn sich Herr Donath auch einmal mit dem Völkermord an den Tscherkessen und dessen weitgehendem Verschweigen in westlichen Medien beschäftigen würde, dürften ihm diese Zusammenhänge fast schon von alleine deutlich werden: http://sochi2014-nachgefragt.blogspot.com/

  • D
    D.J.

    Statt Partnerschafspolitik haben Nato/USA/EU gegenüber Russland die Einkreisungspolitik gewählt. In Russland Menschenrechte anmahnend, hat der Westen die widerwärtigsten Regime hofiert, die wiederum kaukasischen Terror unterstützen (Saud-Arabien u.a.), und einen mörderischen Dschihad mitverschuldet (Syrien). In er Ukraine kümmert es ihn wenig, dass die derzeit ungeliebte Politik der Anlehnung an Russland durch eine demokratisch legitimierten Regierung erfolgt, und leistet sich diplomatische Fehlpässe (unser Außenminister auf Demos).

    Ja, Russland ist eine Semi-Demokratie mit einem teils unzureichenden Menschenrechtsverständnis. Aber außenpolitisch nach wie vor allemal rationaler und berechenbarer als der Westen.