Debatte Rechtsruck bei der AfD: Rassismus bis in die obersten Gremien
Nach dem Abgang von Bernd Lucke steht die neue Vorsitzende Frauke Petry vor großen Problemen. Vier Thesen zu einer Partei in der Krise.
A ls Frauke Petry auf dem Essener Parteitag der Alternative für Deutschland zur neuen Vorsitzenden gewählt war, hätte sie ihrem Konkurrenten Bernd Lucke und seinen Anhängern souverän die Hand reichen können. Stattdessen drehte sie sich vom Rednerpult aus zu ihrem geschlagenen Widersacher um und nannte ihn die „Galionsfigur der Gründerzeit“. Der nachgeschobene Satz, sie hoffe, er bleibe in der AfD, wirkte da bereits wie blanker Hohn.
Lucke gilt den neuen Machthabern als Verräter, der die Partei spalten wollte. Dem neuen 13-köpfigen Parteivorstand gehören zehn Mitglieder an, die der rechte Parteiflügel zur Wahl empfohlen hatte. Ihren Sieg begingen die Nationalkonservativen nicht demütig, sondern mit lautem Gebrüll. Sie johlten und buhten und trieben das Lucke-Lager regelrecht aus der Partei. Doch die vorläufige Einigkeit nach innen wird sich bei der Frage nach der zukünftigen Bedeutung als Pyrrhussieg erweisen.
4.000 Unterstützer hatte Lucke in seinem Verein „Weckruf 2015“ um sich gesammelt, über die Hälfte hat inzwischen der AfD den Rücken gekehrt, mehr als 10 Prozent der bundesweit etwa 20.000 Parteimitglieder. Ganze Kreisverbände haben sich aufgelöst, die vierköpfige parlamentarische Gruppe in der Bremer Bürgerschaft hat sich auf einen wackeren Petry-Getreuen dezimiert, die Gruppe im Europaparlament von sieben auf zwei reduziert. Es gehen die Liberalen, die Mittelständler, Ökonomen und Professoren.
Die Partei sei „keine Heimat mehr für vernünftige Mitglieder mit gesundem Menschenverstand und Manieren“, erklärte Tilman Matheja, der bisherige Bundesgeschäftsführer der Politischen Akademie der AfD in seinem Austrittsschreiben. Mit den Funktionären kehren auch viele bisherige Sympathisanten und Wähler der Partei den Rücken. In der ersten Meinungsumfrage von Emnid nach dem parteiinternen Putsch sank der Zustimmungswert auf 3 Prozent bundesweit – im Mai war er noch doppelt so hoch.
Stramm-rechter Kurs
In einer YouGov-Umfrage zeigen sich 58 Prozent der Befragten überzeugt, dass die Partei früher oder später verschwinden werde, nur 17 Prozent glauben, sie werde auch in Zukunft eine politische Rolle spielen. Diesen schwerwiegenden Verlust sowohl an Kompetenz als auch an Rückhalt will Petry nicht wahrhaben. Für sie war der Parteitag schlicht ein „Befreiungsschlag“.
Die YouGov-Befragung zeigt auch, wie sich die Bedeutung der AfD regional unterscheidet. Während in Berlin 71 Prozent der Befragten die Partei bereits abgeschrieben haben, sind dies in Petrys Heimatland Sachsen nur 50 Prozent. In den ostdeutschen Bundesländern konnte die Partei bislang mit einem stramm-rechten Kurs gegen Flüchtlinge, geschürter Angst vor Islamisierung und einer barschen Law-and-Order-Politik punkten. Gleichzeitig ging sie auf Stimmenfang, indem sie sich immer wieder lobend auf die Politik der DDR etwa im Bildungswesen, aber auch bei der inneren Sicherheit, bezog.
Offenbar fällt eine ressentimentgeladene Politik gegen alles Fremde im Osten auf fruchtbareren Boden. Während Pegida im Westen ein Randphänomen blieb, wurde die Bewegung in Dresden und Leipzig zeitweilig zu einem Massenphänomen – stets begleitet von Sympathiebekundungen seitens der AfD. In Essen bezeichnete Petry Pegida als vergebene Chance „Wir hätten dieses Thema zu einem Erfolg für die Partei machen können“, so ihre These.
In Zukunft wird die Partei mit den Themen Asyl und Islam punkten wollen. Dass Wählerpotenzial für eine solche Politik besteht, daran gibt es keinen Zweifel. Doch es ist nicht unerschöpflich. Insofern könnte es zu einem massiven Problem für die AfD werden, dass auch Pegida bei den kommenden Landtagswahlen antreten will. Besonders bei den Wahlen in Sachsen-Anhalt im März und Mecklenburg-Vorpommern im Herbst nächsten Jahres droht sich das rechte Lager gegenseitig zu kannibalisieren.
Rechtfertigungsdruck für Petry
Bernd Lucke wusste, dass seine Partei – solange sie noch seine war – nur erfolgreich sein könnte, wenn sie sich über das Euro-Thema hinaus öffnen würde. Er selbst ebnete mit gezielten Aussagen und Provokationen den Weg für jene, die ihre Politik auf stumpfe Deutschtümelei und insbesondere antimuslimischen Rassismus begründen. Zuletzt hatte er nicht nur im eigenen Parteivorstand eine geballte Fraktion gegen sich, die die AfD deutlich weiter rechts positionieren wollten als er selbst. Petry war Teil dieses Lagers.
Anders als einige ihrer neuen Kollegen im Parteivorstand – etwa Sachsen-Anhalts AfD-Chef André Poggenburg, für den der Umgang mit NPD-Kadern etwas völlig Selbstverständliches ist – tritt Petry bedacht auf. Doch jetzt steht die Mehrheit im Vorstand rechts von ihr.
Während es auf dem Parteitag donnernden Applaus für Redebeiträge gab, die gegen die „Invasion von Scheinasylanten“ hetzten, sprach Petry vom Versuch der Medien, die Partei „ins politische Abseits“ zu stellen. Doch diese Verschleierungsstrategie ist zum Scheitern verurteilt.
Der offene Rassismus bis in die obersten Parteigremien lässt sich nicht leugnen. An Eskapaden von Parteifreunden, die Petry rechtfertigen muss, wird es nicht mangeln. Sie wird sich dann entscheiden müssen: Gibt sie ihre Strategie auf und verzichtet auf die letzten gemäßigten Wähler, oder macht sie sich mit scharfer Abgrenzung den ultrarechten Parteiflügel zum Gegner.
Bereits am Sonntag wollen ehemalige AfD-Mitglieder und Anhänger von Lucke eine neue Partei gründen. Zuvor hatten bei einer Umfrage 71 Prozent der Weckruf-Mitglieder für eine Parteineugründung votiert. Eine andere Wahl bleibt ihnen auch kaum, wenn sie sich weiterhin in einer politischen Partei engagieren wollen. Denn sowohl FDP als auch CDU haben angekündigt, den Verschmähten keine neue Heimat zu bieten. Doch eine weitere konservativ-wirtschaftsliberale Partei braucht niemand. Zwischen FDP und AfD ist kein Platz mehr für eine neue Lucke-Partei.
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