Debatte Postkapitalismus (VIII): Das Geschäft mit dem Vertrauen

Wer den Vertrauensverlust als zentrales Problem deklariert, will schlicht die Logik der Profitmaximierung retten und über Verantwortlichkeit schweigen

Noch vor Kurzem hatte Jan Philipp Reemtsma in seinem Werk "Vertrauen und Gewalt" resümiert: "Unsere Gesellschaften sind vertrauensselig." Und jetzt?

Der Bankkunde vertraut nicht mehr seinem Kreditinstitut, die Banken haben im Verkehr untereinander jedes Vertrauen eingebüßt, und an allen Ecken der Gesellschaft kriecht Misstrauen gegen die Funktionsweise des gesamten Wirtschaftssystems und gegen die von ihm errichtete Vertrauensfassade hoch. Allerorten ist vom Verlust des Vertrauens die Rede und wie es, bitte, zurückgewonnen werden kann.

HANNES KOCH (VII):

Ohne Porsche durch die L-Kurve

GERHARD SCHERHORN (VI):

Finanzkapital rettet die Banken

BARBARA DRIBBUSCH (V):

Schwarzer Schwan

ANKE DOMSCHEIT (IV):

Die neuen Trümmerfrauen

RUDOLF WALTHER (III):

Innenausstatter mit Ethik gefragt

ULRIKE HERRMANN (II):

Wie schrumpft man eine Bank?

SASKIA SASSEN (I):

Primitive Akkumulation

CHRISTIAN SEMMLER, 70, seit 1989 bei der taz. Einstmals Maoist, jetzt Sozialist auf freiem Fuß. Er hat sich mehrfach mit dem Thema Kapitalismus und Vertrauen beschäftigt.

Die inflationäre Nutzung des Vertrauensbegiffs zur Beschreibung der Krise hat ideologische Gründe. Denn wer einen psychologischen Befund, den Vertrauensverlust, zum eigentlich krisenantreibenden Motor erklärt, kann es sich leicht ersparen, über dessen systemische Ursachen nachzudenken. Es reicht, die Gier der Banker anzuprangern, die bei ihren Risikogeschäften jede "Bodenhaftung" verloren hätten. Folgt man der "Berliner Rede" des Bundespräsidenten Köhler, so ist den Bankern das Bewusstsein für das "was man einfach nicht tut", abhandengekommen. Der gute alte Bankier ist zum Banker degeneriert, dem Geldwertstabilität, Respekt vor dem Sparer und langfristiges Denken schnuppe sind.

In der ständigen Rede vom Vertrauensverlust werden absichtsvoll die verschiedenen Bedeutungsebenen des Vertrauensbegriffs verwischt. Wir aber unterscheiden persönliche Vertrauensverhältnisse, beispielsweise im Freundeskreis. Diese Art von Vertrauen baut sich langsam auf, bedarf steter Erneuerung und funktioniert stabil.

Von dieser Art von Vertrauen ist das Zutrauen zu unterscheiden, das wir zum "normalen Gang" der Ereignisse haben. Zutrauen betrifft zum einen Ereignisse, auf die wir keinerlei Einfluss nehmen können, denen wir aber doch unterliegen, und solche, in die wir, wenngleich meist passiv, als Akteure involviert sind. Wenn wir generell in der Gesellschaft darauf setzen, dass der Laden schon laufen und der Normalfall eintreten wird, sprechen wir von Systemvertrauen.

Personales Zutrauen ist nicht so leicht zu erschüttern, während das Zutrauen in den Normalfall rasch verloren gehen kann. Von personalem Vertrauen und dessen Verlust angesichts der Finanzkrise zu sprechen stellt ein Verdunklungsmanöver dar. Verantwortlichkeiten bleiben unbenannt. Vielmehr wird an einer Pseudopersonalisierung, einem Stereotyp gearbeitet. Sobald die vertrauenerschütternde Gewissenlosigkeit "der Banker" feststeht, braucht von der Krise des Systemvertrauens keine Rede mehr zu sein.

Der Köhlersche Gegensatz von solidem, vertrauenswürdigem Bankier und gewissenlosem Banker ist sentimentaler Humbug. Noch stets war der Umgang mit Kunden im Bankgeschäft dem Primat der Profitmaximierung untergeordnet. Stets war das Risikogeschäft Bestandteil der Profitorientierung, und Spekulationsblasen sind keine Neuerscheinung, sondern begleiten seit der frühen Neuzeit den Aufstieg des Kapitalismus. Die Bankiers kalkulierten stets das Risiko, die heutigen Banker, die mit Risikopapieren handeln, kalkulieren ebenfalls. Ihr Problem bestand darin, dass ihre Kalkulationsgrundlage, der Value at Risk (VaR) einer Vorstellung der statistischen Normalverteilung von Risiken folgte, die sich als fehlerhaft erwies.

Die Banker folgten anerkannten Wissenschaftlern auf dem Gebiet der Wahrscheinlichkeitsrechnung, darunter Nobelpreisträgern. Sie vertrauten nicht dem Glück des Zockers, sondern dem Expertenwissen, das war ihr Problem. Sie wiegten sich bei der Wahl des VaR in einer falschen Sicherheit, die sie, wie Wolfgang Münchau in seiner hervorragenden "Kernschmelze des Finanzsystems" herausgestellt hat, ermutigte, noch riskantere Geschäfte einzugehen. Dieser Rückkopplungseffekt führte dazu, dass Risiken permanent unterschätzt wurden.

Der Rekurs auf die Bankerpsyche hat geringen Erklärungswert. Stets war das Hauptmotiv der Maximalprofit in möglichst kurzem Zeitraum. Mag der Entscheidungsspielraum der Banker beträchtlich gewesen sein, sie handelten im Interesse ihrer Bank. Es ist falsch, zu behaupten, erst das Jonglieren mit Risikopapieren hätte den Zusammenhang der Finanzsphäre mit der Realökonomie aufgelöst und die Banken in den Abgrund gerissen. Das immer risikoreiche Geschäft im Finanzsektor war stets Reaktion auf die Entwicklung der Realökonomie und die dort tendenziell fallende Profitrate.

Misstrauen und Vertrauen gehören, wie Remtsma in "Vertrauen und Gewalt" erläutert hat, zusammen, das eine ist ohne das andere nicht denkbar. In Alltag und in persönlichen Beziehungen zeigt sich diese Zusammengehörigkeit, diese Komplementarität. Wer durchgängig misstrauisch ist, kommt ebenso wenig zurecht wie jemand, der stets grenzenloses Vertrauen praktiziert. Beide extremen Verhaltensweisen gelten als irrational.

Das Misstrauen der Kunden gegen ihre Banken und der Banken untereinander folgt hingegen nicht aus irrationalem Verhalten, kein Herdentrieb bestimmt es, sondern das rationale Kalkül der Profitsicherung.

Wie aber steht es mit dem jetzt um sich greifenden Verlust des Vertrauens ins kapitalistische Finanzsystem, also einem zentralen Bestandteil des Systemvertrauens? Als ob es nie die Doktrin gegeben hätte, nach der der Staat sich tunlichst aus der Ökonomie heraushalten sollte, tritt jetzt dieser Staat als vertrauenswürdiger Bankenretter auf. Ja, er greift sogar zum bislang verteufelten Mittel der Verstaatlichung. Dies als einen Schritt zur Bildung von Vertrauen ins Wirtschaftssystem anzusehen, gar als Verteidigungsbastion für die betroffenen Lohnabhängigen, wäre ein grober Irrtum, dem allerdings auch kaum jemand erliegt. Dass der Staat in unserem Wirtschaftssystem Verluste sozialisiert, um anschließend Gewinne wieder zu privatisieren, ist kein Geheimwissen. So etwas hört man an jeder Straßenecke.

Für die Zukunft hat die Koalition zwei Zaubermittel parat: Transparenz und Kontrolle. "Vertrauen" so schrieb dieser Tage die SPD-Präsidentschaftskandidatin Gesine Schwan, "bedarf stets auch der Kontrolle." Ein spätes Bekenntnis zu Lenin, von dem das Diktum "Vertraue, aber prüfe auch!" stammt.

Schon jetzt zeichnet sich ab, dass keine der vorgeschlagenen internationalen Kontrollmaßnahmen in die Tat umgesetzt werden wird. Auch verstaatlichte Banken werden der Logik der Profitmaximierung und damit den Risikogeschäften folgen müssen. In dieser Situation kann das massenhaft aufkeimende Misstrauen gegen das System zwei Formen annehmen. Die rechte, die sich in populistischen Redensarten gegen "die da oben" ergeht und antidemokratische Leidenschaften anstachelt. Und eine linke, die auf kämpferische Selbstorganisation setzt und dafür eintritt, dass die Lasten der Krise von denen zu tragen sind, die sie verursacht haben. Nur Gegenwehr schafft Selbstvertrauen, aus dem wieder Vertrauen entstehen kann. Zwar nicht ins Finanzkapital, wohl aber in die demokratischen Institutionen.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.