Debatte Populismus in Europa: Die Rückkehr der Eurokrise

Drohende Neuwahlen in Italien bringen den Euro ins Wanken. Reformen müssen her und mehr Spielraum für progressive Politik schaffen.

Ein Mann hat den Kopf aufgestützt und sitzt vor einer Börsentafel

Die unsichere Regierungsbildung in Italien ließ auch Aktienkurse in Peking fallen Foto: ap

Die Eurokrise ist zurück. Nachdem der italienische Staatspräsident Sergio Mattarella am Freitag die Bildung einer euro-skeptischen Regierung aus der Lega und der M5S-Bewegung abgelehnt hatte, schossen die Risikoprämien auf italienische Staatsanleihen so schnell in die Höhe wie nicht einmal während der heißen Phase der Eurokrise 2012. Die Investoren machten sich Sorgen, dass das Land nun auf Neuwahlen zusteuert, die aller Voraussicht nach erneut eine Mehrheit für die Populisten bringen werden.Jetzt läuft sogar doch ein neuer Verhandlungsversuch zur Regierungsbildung.

Tatsächlich ist der Euro heute so stark in seiner Existenz bedroht wie seit 2012 nicht. Was wir gerade in Italien erleben, ist eine Reinkarnation der Eurokrise in einer neuen Form, auf die es mit den existierenden wirtschaftspolitischen Instrumenten keine Antwort gibt.

In Italien sind euroskeptische Populisten nun so greifbar in die Nähe der Macht gekommen, dass die Investoren erneut Angst vor einem Auseinanderbrechen der Eurozone haben. Mehr noch als die – durchaus unverantwortlichen – fiskalpolitischen Pläne dürften die Anleger ein Szenario fürchten, in dem eine Populistenregierung entweder direkt den Austritt aus dem Euro vorantreibt oder ein Referendum zum Euroaustritt ansetzt.

Zwar mögen Euroaustritt und Euroreferendum gegen EU-Recht und die italienische Verfassung verstoßen; die Anleger haben aber erkannt, dass die rechtlichen Grundlagen weitgehend irrelevant sind, wenn im Land währungspolitische Fakten geschaffen werden. Darum ziehen sie gerade Milliarden von Euro aus Italien ab.

Reformen fahrlässig verschleppt

Gefährlich wird es, wenn die normalen italienischen Bürger auch noch anfangen, ihre Bankeinlagen ins Ausland zu schaffen. Dank dem Euro­päi­schen Binnenmarkt kann heute jeder Italiener vom heimischen Computer aus seine Ersparnisse auf ein Konto in Deutschland überweisen. Wenn das in großem Stil passierte, gerieten die italienischen Banken unter Druck und müssten bei der Notenbank um Hilfskredite betteln – ohne allerdings noch die eigentlich dafür notwendigen Sicherheiten zu haben.

Die Europäische Zentralbank und die europäi­schen Partner hätten in einer solchen Situation keine guten Optionen: Sie können den Italienern schlecht versprechen, dass ihre Bankeinlagen auf jeden Fall in Euro zurückgezahlt werden – denn das würde einen Austritt aus dem Euro gerade noch attraktiver machen, der ja die Verbindlichkeiten entwerten, die Ersparnisse schützen würde. Und letztendlich können sie auch nicht damit drohen, dass bei einem Euroaustritt auch die Ersparnisse in die neue Währung konvertiert würden – denn das würde die Kapitalflucht beschleunigen.

Gefährlich wird es, wenn die normalen italienischen Bürger anfangen, ihre Bankeinlagen ins Ausland zu schaffen

Jetzt rächt sich, dass die Bundesregierung unter Angela Merkel das drohende Problem der Eurozonenreform seit Jahren fahrlässig verschleppt hat. Seit Beginn der Bankenunion 2014 hat es keine weiteren Reformen der Eurozonenstruktur gegeben, obwohl auf Hunderten Seiten von Reports die Notwendigkeit weiterer Schritte bei der Bankenunion und einer Fiskalkapazität für die Eurozone dargelegt wurde.

Auch auf die Vorschläge des französischen Präsidenten Emmanuel Macron von vergangenem Herbst ist die Bundesregierung bislang eine echte Antwort schuldig geblieben. Dabei wären gerade Macrons Vorschläge ein Weg gewesen, die gefährliche Mischung aus politischer und Finanzkrise zu entschärfen. Denn anders als viele Papiere der EU-Kommission oder der meisten Ökonomen fokussieren Macrons Vorschläge nicht enge Fragen der Staatsverschuldung oder des Bankensystems, sondern die politischen Grundlagen der Eurozone.

Eine herbe Enttäuschung

Und gerade dies hätte den Einfluss der Populisten begrenzen können. Viele der Wähler von M5S sind keine europafeindlichen Reaktionäre. M5S hat – wie andere Populisten in anderen europäischen Staaten – vielmehr einen beträchtlichen Teil des Mitte-links-Spektrums aufgesogen, das in den vergangenen Jahren das Vertrauen in den Euro verloren hat. Für viele dieser Wähler bedeutete das europäische Projekt einst die Verheißung, globalisierten Märkten auf europäischer Ebene etwas entgegenzusetzen, was neuen Politikspielraum für progressive Politik schafft.

Für diese Wähler war das vergangene Jahrzehnt eine herbe Enttäuschung. Nicht nur liegen die Pro-Kopf-Einkommen in Italien heute niedriger als vor zehn Jahren, auch herrscht der Eindruck vor, wichtige Politikparameter würden aus Brüssel oder durch die Finanzmärkte diktiert. Die Entscheidung des Präsidenten, der Lega Nord und M5S trotz einer parlamentarischen Mehrheit den Regierungsauftrag zu verweigern, wird dieses Gefühl nur weiter stärken.

Macrons Vorschläge gehen genau auf diese Sorgen ein. Seine Ideen von Wachstums- und Innovationspolitik, von europäischer Besteuerung von Konzernen und Internetriesen versuchen euro­päische Souveränität und Politikspielraum zu schaffen, wo nationaler Spielraum verloren gegangen ist. Vielleicht hätte eine solche Politik nicht direkt viel Wirtschaftswachstum in Italien gebracht. Es hätte aber zumindest den Wählern das Gefühl vermittelt, dass ihre Sorgen und Wünsche ernst genommen werden – und damit vielleicht den ein oder anderen davon abgebracht, für die Populisten zu stimmen.

Ob sich die Situation in Italien jetzt noch entschärfen lässt, ist fraglich. Es gibt aber auch wenige Anzeichen, dass die deutsche Regierung ernsthaft die Ursachen des Problem erkannt hat. Das deutsche Establishment scheint derzeit vielmehr auf eine Abschreckungsstrategie wie 2015 in Griechenland zu setzen: Man hofft, den Wählern klarmachen zu können, wie ökonomisch schmerzhaft es für sie wird, wenn sie für die Lega Nord oder M5S bei weiter nicht auszuschließenden Neuwahlen stimmen. Offen bleibt, ob diese Strategie aufgeht oder ob den Italienern nicht die gefühlte Entscheidungsfreiheit wichtiger ist als die ökonomischen Konsequenzen – wie es bei den britischen Wählern beim Brexit-Referendum der Fall war.

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ist Volkswirt und Professor an der Hochschule für Technik und Wirtschaft in Berlin und Senior Policy Fellow beim European Council on Foreign Relations.

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