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Debatte Populismus in EuropaDie Rückkehr der Eurokrise

Kommentar von Sebastian Dullien

Drohende Neuwahlen in Italien bringen den Euro ins Wanken. Reformen müssen her und mehr Spielraum für progressive Politik schaffen.

Die unsichere Regierungsbildung in Italien ließ auch Aktienkurse in Peking fallen Foto: ap

D ie Eurokrise ist zurück. Nachdem der italienische Staatspräsident Sergio Mattarella am Freitag die Bildung einer euro-skeptischen Regierung aus der Lega und der M5S-Bewegung abgelehnt hatte, schossen die Risikoprämien auf italienische Staatsanleihen so schnell in die Höhe wie nicht einmal während der heißen Phase der Eurokrise 2012. Die Investoren machten sich Sorgen, dass das Land nun auf Neuwahlen zusteuert, die aller Voraussicht nach erneut eine Mehrheit für die Populisten bringen werden.Jetzt läuft sogar doch ein neuer Verhandlungsversuch zur Regierungsbildung.

Tatsächlich ist der Euro heute so stark in seiner Existenz bedroht wie seit 2012 nicht. Was wir gerade in Italien erleben, ist eine Reinkarnation der Eurokrise in einer neuen Form, auf die es mit den existierenden wirtschaftspolitischen Instrumenten keine Antwort gibt.

In Italien sind euroskeptische Populisten nun so greifbar in die Nähe der Macht gekommen, dass die Investoren erneut Angst vor einem Auseinanderbrechen der Eurozone haben. Mehr noch als die – durchaus unverantwortlichen – fiskalpolitischen Pläne dürften die Anleger ein Szenario fürchten, in dem eine Populistenregierung entweder direkt den Austritt aus dem Euro vorantreibt oder ein Referendum zum Euroaustritt ansetzt.

Zwar mögen Euroaustritt und Euroreferendum gegen EU-Recht und die italienische Verfassung verstoßen; die Anleger haben aber erkannt, dass die rechtlichen Grundlagen weitgehend irrelevant sind, wenn im Land währungspolitische Fakten geschaffen werden. Darum ziehen sie gerade Milliarden von Euro aus Italien ab.

Sebastian Dullien

ist Volkswirt und Professor an der Hochschule für Technik und Wirtschaft in Berlin und Senior Policy Fellow beim European Council on Foreign Relations.

Reformen fahrlässig verschleppt

Gefährlich wird es, wenn die normalen italienischen Bürger auch noch anfangen, ihre Bankeinlagen ins Ausland zu schaffen. Dank dem Euro­päi­schen Binnenmarkt kann heute jeder Italiener vom heimischen Computer aus seine Ersparnisse auf ein Konto in Deutschland überweisen. Wenn das in großem Stil passierte, gerieten die italienischen Banken unter Druck und müssten bei der Notenbank um Hilfskredite betteln – ohne allerdings noch die eigentlich dafür notwendigen Sicherheiten zu haben.

Die Europäische Zentralbank und die europäi­schen Partner hätten in einer solchen Situation keine guten Optionen: Sie können den Italienern schlecht versprechen, dass ihre Bankeinlagen auf jeden Fall in Euro zurückgezahlt werden – denn das würde einen Austritt aus dem Euro gerade noch attraktiver machen, der ja die Verbindlichkeiten entwerten, die Ersparnisse schützen würde. Und letztendlich können sie auch nicht damit drohen, dass bei einem Euroaustritt auch die Ersparnisse in die neue Währung konvertiert würden – denn das würde die Kapitalflucht beschleunigen.

Gefährlich wird es, wenn die normalen italienischen Bürger anfangen, ihre Bankeinlagen ins Ausland zu schaffen

Jetzt rächt sich, dass die Bundesregierung unter Angela Merkel das drohende Problem der Eurozonenreform seit Jahren fahrlässig verschleppt hat. Seit Beginn der Bankenunion 2014 hat es keine weiteren Reformen der Eurozonenstruktur gegeben, obwohl auf Hunderten Seiten von Reports die Notwendigkeit weiterer Schritte bei der Bankenunion und einer Fiskalkapazität für die Eurozone dargelegt wurde.

Auch auf die Vorschläge des französischen Präsidenten Emmanuel Macron von vergangenem Herbst ist die Bundesregierung bislang eine echte Antwort schuldig geblieben. Dabei wären gerade Macrons Vorschläge ein Weg gewesen, die gefährliche Mischung aus politischer und Finanzkrise zu entschärfen. Denn anders als viele Papiere der EU-Kommission oder der meisten Ökonomen fokussieren Macrons Vorschläge nicht enge Fragen der Staatsverschuldung oder des Bankensystems, sondern die politischen Grundlagen der Eurozone.

Eine herbe Enttäuschung

Und gerade dies hätte den Einfluss der Populisten begrenzen können. Viele der Wähler von M5S sind keine europafeindlichen Reaktionäre. M5S hat – wie andere Populisten in anderen europäischen Staaten – vielmehr einen beträchtlichen Teil des Mitte-links-Spektrums aufgesogen, das in den vergangenen Jahren das Vertrauen in den Euro verloren hat. Für viele dieser Wähler bedeutete das europäische Projekt einst die Verheißung, globalisierten Märkten auf europäischer Ebene etwas entgegenzusetzen, was neuen Politikspielraum für progressive Politik schafft.

Für diese Wähler war das vergangene Jahrzehnt eine herbe Enttäuschung. Nicht nur liegen die Pro-Kopf-Einkommen in Italien heute niedriger als vor zehn Jahren, auch herrscht der Eindruck vor, wichtige Politikparameter würden aus Brüssel oder durch die Finanzmärkte diktiert. Die Entscheidung des Präsidenten, der Lega Nord und M5S trotz einer parlamentarischen Mehrheit den Regierungsauftrag zu verweigern, wird dieses Gefühl nur weiter stärken.

Macrons Vorschläge gehen genau auf diese Sorgen ein. Seine Ideen von Wachstums- und Innovationspolitik, von europäischer Besteuerung von Konzernen und Internetriesen versuchen euro­päische Souveränität und Politikspielraum zu schaffen, wo nationaler Spielraum verloren gegangen ist. Vielleicht hätte eine solche Politik nicht direkt viel Wirtschaftswachstum in Italien gebracht. Es hätte aber zumindest den Wählern das Gefühl vermittelt, dass ihre Sorgen und Wünsche ernst genommen werden – und damit vielleicht den ein oder anderen davon abgebracht, für die Populisten zu stimmen.

Ob sich die Situation in Italien jetzt noch entschärfen lässt, ist fraglich. Es gibt aber auch wenige Anzeichen, dass die deutsche Regierung ernsthaft die Ursachen des Problem erkannt hat. Das deutsche Establishment scheint derzeit vielmehr auf eine Abschreckungsstrategie wie 2015 in Griechenland zu setzen: Man hofft, den Wählern klarmachen zu können, wie ökonomisch schmerzhaft es für sie wird, wenn sie für die Lega Nord oder M5S bei weiter nicht auszuschließenden Neuwahlen stimmen. Offen bleibt, ob diese Strategie aufgeht oder ob den Italienern nicht die gefühlte Entscheidungsfreiheit wichtiger ist als die ökonomischen Konsequenzen – wie es bei den britischen Wählern beim Brexit-Referendum der Fall war.

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9 Kommentare

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  • seit Jahren verschleudert der Draghi in unser aller Namen 60 Milliarden pro Monat... doch er schaffte es nicht den Euro zu schwächen, keine Inflation, Euro immer mehr Wert als der übermächtige Dollar...

     

    Dabei hätte man nur schon vor Jahren in Italien richtig wählen müssen. Es hätte so einfach (und so viel billiger) sein können.

  • Verzeihung, der Kommentar ist einerseits gut, aber auch einfach nur *gäähhhhn*.

  • Es wird in dem Artikel so oft das Wort "Populisten" wiederholt, dass man geneigt ist, darin eine Art von Exorzismus zu sehen.

    Der despektierliche Terminus trifft sicherlich auf den zweiten Wahlsieger zu, der Lega.

    Aber beim ersten Wahlsieger, der Bewegung der 5 Sterne, ist es komplizierter. Diese sind nämlich hauptsächlich anti-establishment, ökologisch und basis-demokratisch orientiert (https://en.wikipedia.org/wiki/Five_Star_Movement) und fest entschlossen, die weitverbreitete Korruption zu bekämpfen.

     

    Als Parlamentarier betrachten sie sich als Bürger im Dienste des Landes, und beweisen das indem jeder Parlamentarier einen beträchtlichen Teil seiner Diät spendet.

     

    Sicherlich eine Gefahr für die etablierten Politiker mit ihren Drehtüren zur den Konzernen, die mit der Presse in ihrem Besitz aus allen Rohren gegen die 5* Bewegung schießt. Aber anscheinend vergeblich, die Wähler sind oft klüger als die Journaillie es wahrhaben will.

  • Manche Ökonomen raten Angela Merkel nun, den "Draghi 26. Juli 2012" zu machen. Warum sollte Frau Merkel denen folgen. Seit 2002 lebt der Euro davon, dass dieser nach anfänglicher Kurssteigerung, bs 2008, Akzeptanz zu gewinnen, ab 2010 mit Beginn angeblicher Staatsfinanzierungskrise als schuldengebeutelte Währung in den Sinkflug geht, der deutschen Wirtschaft über den Export die "Kriegskasse" zu unbekanntem Zweck von inzwischen 300 Milliarden €/anno Handelsbilanzüberschuss steigender Tendenz füllt. Passt da Merkels Regieren auf Sicht in die globale Tendenz weltbestimmender Währungsräume, Kurde eigener Währungen durch gegenseitig angesagte Krisen nach unten zu prügeln?

    Im Namen eigener Exportwirtschaft einen "Bürgerkrieg" von oben mit währungspolitischen Mitteln gegen Binnenkaufkraft zu führen? Lebt diie exportversessen deutsche Wirtschaft mit einem krisengeschüttelten Euroraum nicht in der besten aller Welten? Bismarck brauchte 1871 noch über die manipuliert Emser Depesche, den angezettelt siegreichen Krieg gegen das französische Kaiserreich Napoleon III, mit erbeutet französischen Goldreserven, die "Kriegskasse" gefüllt, alle deutschen Königs- , Herzog- Fürstentümer ab 1873 auf die Goldmark zu vereinigen.

    Merkel, die keinen Plan, die die Lage braucht, sich zu entscheiden, siehe ihr Atomausstige 2011 nach dreifachem GAU Fukushima/Japan nach vorheriger Suspendierung des rotgrünen Atomausstiegs 2002, sitzt dagegen wie die Spinne von unsichtbarer Hand gewebtem Euro Netz, auf die nächste Krise zu lauern, anders als Bismarck, ohne auch nur einen Schuss abzugeben, die deutsche "Kriegskasse" mit Handelsbilanzüberschüssen zu Lasten Griechenland, Italien, Weltwirtschaftspartner hochzuladen. Dass dabei das Krisen Tempo unmerklich verläuft, erscheint mir systemisch.

    • @Joachim Petrick:

      "als schuldengebeutelte Währung in den Sinkflug geht"

       

      ???

       

      Also ich höre jeden morgen die Währungskurse: Der Euro ist vor, während und nach der Kriese immer über dem Dollar. Gibt nur wenige stärkere Währungen! und das Trotz Draghi's monatlichem 60 Milliarden Aufkaufprogramm um die Währung zu schwächen (bisher weitestgehend wirkungslos).

       

      Also wenn die obige Behauptung stimmt, gibt es doch dafür sicher belegte, offizielle Zahlen?

    • @Joachim Petrick:

      Zwei Daumen hoch.

  • ???

    "Dabei wären gerade Macrons Vorschläge ein Weg gewesen, die gefährliche Mischung aus politischer und Finanzkrise zu entschärfen."

     

    Ja genau... vergemeinschaftung der Schulden aller Länder (um Macrons neoliberale Agenda 2020 nach innen besser zu verkaufen.) - Das Ergäbnis wäre in 3 Jahren eine AFD mit 60-70% - wenn es langt. Marcons Vorschläge sind falsch, nein mehr als falsch. Es wäre die Implosion Europas.

     

    Das was helfen würde: Beseitignung der 3% Neuverschuldungsgrenze, und Investitionen in Deutschland anschieben.

     

    Darüber hinaus kenne ich kein Vernünftiges Konzept die unterschiedlichen Wirtschaftsräume zu einem zu vereinen. vielleicht wäre neben der gemeinsamen Währung Euro ja tatsächlich eine lokale Nationale Währung mit variablen Wechselkurs die beste Lösung.

     

    Da der Euro stärker ist als es die D-Mark je war, wäre das für uns vielleicht ein Nachteil, aber wir sind stark genug - wir schaffen das :-)

     

    Aber der Süden hätte nicht mehr den Effekt: niedrige Löhne aber Preise wie in Deutschland

  • "European Council on Foreign Relations"

     

    "was established in 2007 by a council of fifty founding members, chaired by Martti Ahtisaari, Joschka Fischer, and Mabel van Oranje, with initial funding from George Soros’s Open Society Foundations"

     

    Wer das Wirken von George Soros und OSF bei der TRansformation in Osteuropa kennt, der weiß, das Einzige was da "progressive2 sein sollte, ist ein fröhliches Fortschreiten des neoliberalen Kapitaismus, der sich allerdings chamäleonartig, je nach der Lage, eine bunte Farbe zulegen sollte.

  • Oettinger hat es doch hinsichtlich des Demokratieverständnisses auf den Punkt gebracht: die italienischen Wähler sollen auf die Märkte hören. Der Wählerwille ist für den vorherrschenden Neoliberalismus wie für alle totalitären Systeme äußerst lästig. Die EU-Bürokratie kann damit nichts anfangen, sofern der Wählerwille, wie in Deutschland, die Europopulisten bevorzugt. Und deshalb kommt aus Deutschland auch der größte Widerstand gegen Reformen, weil die deutsche Wirtschaft am meisten von der undemokratischen EU-Struktur profitiert.

    Aber am deutschen Wesen wird auch hier nicht die Welt genesen. Im Gegenteil. Die nächste Eurokrise kommt nicht bestimmt, sie ist schon längst da. Und Macron? Er hat keine Antwort für die Bürger der EU, er kümmert sich um bessere Wirtschaftsstrukturen. Das hat aber mit dem eigentlichen Reformbedarf in der EU nichts zu tun, weil eine Neuorganisation der Finanz- und Steuerpolitik die eine Sache ist. Die andere ist Demokratisierung der EU, Abbau des Lobbyismus und der Bürokratie. Davon redet Macron nicht. Deshalb versteht er sich auch so gut mit Merkel, die nach einer Neuwahl in Italien hoffentlich nicht mehr Mattarelli anrufen kann.