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Debatte Perspektive 1989Pekings vertagte Konflikte

Sven Hansen
Kommentar von Sven Hansen

Das Massaker auf dem Tiananmen hielt Chinas KP an der Macht. Mit den Altlasten werden Reformer sich auseinandersetzen müssen.

Wir hatten keine Wahl": So lautet - jenseits der propagandistischen Rhetorik vom "konterrevolutionären Aufstand" - die Begründung der chinesischen KP für die Niederschlagung der Demokratiebewegung am 4. Juni 1989. Nur mit Blutvergießen habe die Partei die Stabilität und Einheit des Landes gewährleisten können und erst dies habe das hohe Wirtschaftswachstum ermöglicht, von der das Land und die ganze Welt seitdem profitiert hätten. Diese Sicht wird heute von vielen aufgeklärten Menschen in China und auch von gar nicht wenigen Beobachtern im Westen, vor allem in Wirtschaftskreisen, geteilt.

Natürlich ist es zynisch, Wirtschaftswachstum gegen Menschenleben aufzurechnen. Davon abgesehen ist ein demokratisches System aber kurzfristig in der Tat weniger effizient als ein autoritäres - sofern dieses denn die richtigen Entscheidungen fällt. In der Demokratie dauert die Meinungsfindung länger, weil alle Interessengruppen einbezogen werden müssen, die zudem Entschlüsse von einer unabhängigen Justiz prüfen lassen können. Demokratien entscheiden meist weniger radikal, stärker konsensual - aber eben auch viel nachhaltiger. Und die Bevölkerung hat bei der nächsten Wahl die Möglichkeit zur Korrektur, einschließlich eines Regierungswechsels. Ist ein diktatorisches System vor allem am Machterhalt des Regimes ausgerichtet, steht in Demokratien das Wohl der Allgemeinheit im Vordergrund. Demokratien fördern eher freies Denken als die Unterordnung, weshalb sie innovativer und auf längere Sicht auch wirtschaftlich überlegen sind.

Der erzwungenen vorübergehenden Stabilität des KP-geführten China, in dem trotz alltäglicher Proteste die Partei derzeit fest im Sattel sitzt, stünde die nachhaltige Stabilität eines demokratischen Chinas gegenüber, wenn dieses denn die Chance hätte, sich zu entwickeln. Der Weg dorthin ist freilich mühsam, wenn die Gesellschaft im Erreichen friedlicher Interessenausgleiche völlig ungeübt ist.

Mit repressiv ruhiggestellten Konflikten schafft sich die KP Argumente im Stil selbsterfüllender Prophezeiungen. Opfer, die sich bisher kein Gehör verschaffen konnten, werden Gerechtigkeit verlangen, sobald sie dies können. Jede politische Öffnung wird sich mit den Altlasten der KP-Herrschaft konfrontiert sehen, wozu nicht nur Tiananmen und die Kulturrevolution, Tibet, Taiwan, Ostturkestan, Sars, die Melamin- und die Erdbebenopfer zählen. Keine Frage: Die Gefahren von Überforderung bei einer politischen Transformation sind real. Die Verantwortung hierfür tragen aber nicht künftige Reformer. Durch die Art ihrer bisherigen Herrschaft trägt die KP Verantwortung für die Instabilität, die einem Ende ihres Machtmonopols folgen könnte.

Ähnlich verhält es sich mit der Qualität künftiger Führer. Die meisten Dissidenten wie viele Studentenführer von 1989 bieten keine realistische Alternative zur KP-Herrschaft. Wie sollen sich auch alternative Führer und Programme herausbilden können, wenn das Regime jeden Ansatz dazu im Keim erstickt und weder freie Diskurse noch unabhängige Organisationen zulässt? Wahrscheinlich werden überzeugende Reformer zunächst aus dem Regime selbst kommen. Schon 1989 ging der Riss mitten durch die KP-Führung, in der sich die Hardliner durchsetzten. Deren Arroganz radikalisierte die demonstrierenden Studenten und machte nötige Kompromisse unmöglich. Die Systemfrage wurde erst gestellt, nachdem sich das Regime als dialogunfähig erwiesen hatte.

Seit 1989 besteht die Leistung der KP darin, an ihrem wirtschaftlichen Reform- und Öffnungskurs festgehalten und dabei im Großen und Ganzen die wirtschaftspolitisch richtigen Entscheidungen gefällt zu haben. Auch disziplinierte die vom Regime ausgehende Gewalt 1989 die Bevölkerung und vereinfachte so deren globale Ausbeutung. Dennoch vergrößerten die Wirtschaftserfolge auch die persönlichen Freiheiten der Bevölkerung. Die KP widerlegte zugleich gängige Annahmen im Westen. So gab es in China bisher keinen Automatismus zwischen wirtschaftlicher Entwicklung und Demokratisierung. Denn China hatte auch ohne politische Reformen wirtschaftlichen Erfolg. Das muss nicht so bleiben. Aber das 1989 von vielen im Westen prophezeite baldige Ende der KP-Herrschaft trat eben bisher auch nicht ein.

Stattdessen erwiesen sich sogar manche von der KP beibehaltene Kontrollen als Vorteil. So zeigt sich in der globalen Finanz- und Wirtschaftskrise, dass Chinas Festhalten an Währungs- und Finanzmarktkontrollen richtig war - westliche Regierungen hatten lauthals deren Abschaffung gefordert. Hilfreich für die Argumentation der KP ist auch, dass die Sowjetunion zerfallen und in Russland die politischen Reformen weitgehend gescheitert sind. Und die westliche Menschenrechtskritik verlor seit Guantánamo vollends an Glaubwürdigkeit. Allein die rassistische Behauptung, Chinesen und Demokratie passten nicht zusammen, wurde erfolgreich widerlegt - in Taiwan.

Die Frage grundlegender politischer Reformen wird in China dann wieder aufkommen, wenn das Wirtschaftswachstum ausbleibt oder die KP-Führung schwere politische Fehler begeht. Bisher stellt die KP nur parteiinterne Reförmchen in Aussicht. Sie sollen die Kontrolle der Bürger auch bei deren weiter wachsender ökonomischer Unabhängigkeit sichern, sprich die KP-Herrschaft effizienter machen. Das könnte in einer größeren Wirtschaftskrise nicht mehr funktionieren und die Bevölkerung wieder echte Mitsprache verlangen lassen.

Mit dem Massaker 1989 hat Chinas KP nur vorübergehend Fakten geschaffen. Sie scheint das auch selbst zu wissen. Denn sonst würde sie mit den damaligen Ereignissen viel selbstbewusster umgehen. Stattdessen blockiert das Regime jetzt sogar Internetdienste wie Hotmail und Twitter, um das Bewusstsein über das Massaker auszulöschen, weil es weiß, dass es Leichen im Keller hat und nicht auf die eigenen Argumente vertrauen kann. Doch mit der Systemfrage wird eines Tages auch die Machtfrage wieder neu gestellt werden.

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Sven Hansen
Auslandsredakteur (Asien)
Asienredakteur seit 1997, studierte Politologie in Berlin und Communication for Development in Malmö. Organisiert taz-Reisen in die Zivilgesellschaft, Workshops mit JournalistInnen aus Südostasien und Han Sens ASIENTALK. Herausgeber der Editionen Le Monde diplomatique zu Südostasien (2023), China (2018, 2007), Afghanistan (2015) und Indien (2010). Schreibt manchmal auch über Segeln. www.fb.com/HanSensAsientalk @SHansenBerlin

1 Kommentar

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  • VM
    Volker Müller

    Eine interessante Frage wäre: wie mißt man Demokratie (= Volksherrschaft)?

    Eine "binäre" Darstellung Westen=Demokratie und China=autoritär/diktatorisch ist grob vereinfachend und damit falsch.

    Herrscht in Deutschland das Volk? Kann man von Demokratie sprechen, wenn Industrie und Medien sich in der Hand einer kleinen Oberschicht befinden? Wer hat Einfluß auf Regierung, Parlament, Justiz und Exekutive? Der Vorstandsvorsitzende von Siemens kann jederzeit im Kanzleramt anrufen, Otto Hartz IV nicht.

    Warum ist China dann autoritär/diktatorisch? Die letzten 30 Jahre haben zu Ungerechtigkeiten geführt, aber die wirtschaftliche Macht ist in China immer noch sehr viel breiter gestreut als in anderen Ländern. Die KPCh deckt ein Spektrum von Kommunistische Plattform bis FDP ab. Natürlich gibt es hier breite Debatten um die Zukunft, natürlich sind Ausgleiche zwischen unterschiedlichen Gruppen der Bevölkerung zu finden (wichtigstes Beispiel: Interessen der Bauern vs. Ausdehnung der Städte). Dazu kommen spezifisch chinesische Organe wie die politischen Konsultativkonferenzen, in denen neue Ideen zur politischen Reife formuliert werden, wo auch Minderheiten eine Plattform finden. Schließlich gibt es auf lokaler Ebene interessante Beispiele von Basisdemokratie (z.B. Wahl der Dorfbürgermeister) und - im Gegensatz zu allen Behauptungen im Westen - eine kritische, investigative Presse.

    Demokratie, das kann nur ein "fuzzy" Maß sein, etwa auf einer Skala zwischen 0 und 1. Ich bezweifle daß Deutschland besser abschneidet.