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Debatte Parteien im WahlkampfVon der Nützlichkeit der AfD

Jan Feddersen
Kommentar von Jan Feddersen

Es ist für alle etablierten Parteien bequem, vor der AfD zu warnen – statt selbst Alternativen zu entwickeln. Das ist gefährlich.

Die AfD ist für alle anderen Parteien eine Art Voodoopuppe, in die sie hineinpieksen Foto: Imago/Paul von Stroheim

E s ist ja wahr: Die Partei „Alternative für Deutschland“ (AfD) ist ein Haufen von politisch unappetitlich agierenden Politikern und Politikerinnen. Sie repräsentiert im nächsten Bundestag jene Mentalität, die bis zur Kanzlerschaft Angela Merkels noch gut in der Union beheimatet war (und das oft, wenn auch nur am Rande, noch ist).

Alexander Gaulands Positionen, etwa jüngst mit der giftigen Stigmatisierung der Politikerin Aydan Özoğuz als Anatolierin, die in Deutschland eigentlich nichts verloren habe, oder seine Erörterung vor vielen Monaten, ob der populärste einheimische Fußballspieler Jérôme Boateng, mit seiner nicht hellen Hautfarbe überhaupt nachbarschaftsfähig sei, sind in den Gefilden der CDU und CSU noch in den frühen achtziger Jahren im Mainstream gängig gewesen.

Der Rest der Partei, handelt es sich nun um Alice Weidel, Frauke Petry oder Jörg Meuthen, steht für eine Politik, die nicht anschlussfähig sein sollte. Aber im Bundestag wird man trotzdem mit ihr auskommen müssen – und sei es im dauerhaften, sachlichen Streit. Für jene, die für die offene, und das heißt eben auch offensiv multikulturelle Gesellschaft eintreten, ist es eigentlich nicht nützlich, die AfD zu dämonisieren.

Es sind nämlich keine Nazis, die sich entmusealisiert haben, sondern, viel schlimmer, moderne Politiker*innen auf völkisch gesinnter Grundlage. Wir als Publikum konnten lernen, dass diese Partei sich im Spektrum des parlamentarisch Möglichen verankern konnte und dies weiter tun wird, auch im Oktober im Landtag Niedersachsens. Ihr Publikum wählt diese Partei, weil sie es möchte. Und nicht, weil mangels Protestmöglichkeit andere Parteien nicht infrage kommen.

Die AfD ist auch ein Produkt der anderen

Das kann und muss so hingenommen werden. Was auch bedeutet, dass die eta­blier­ten Parteien sich in den vergangenen Tagen viel zu stark an dieser Partei abgearbeitet haben. Sie ist schließlich nur ein Faktor, eine Hauptrolle kann sie nicht beanspruchen. In Wahrheit ist es aber so, dass die AfD zugleich für alle anderen der momentan im Bundestag vertretenen Parteien eine Art Voodoopuppe ist, in die alle anderen ihre Nadeln hineinpieksen, hoffend, dass der rechtspopulistische Spuk dann gebannt ist.

Das wird aber nicht passieren. Die AfD ist auch ein Produkt aller anderen Parteien. Sie hat mehr zu bieten als nur Rassismen und Wünsche nach der angeblich heilen Familie der fünfziger Jahre. Die von Bernd Lucke als eurokritisch gegründete Organisation artikuliert ja auch immer all das, was die Parteien der Merkel-Republik nicht oder nicht mehr artikulieren. Unter der CDU Angela Merkels ist alles Konsens geworden, alternativlos eben. Gut, dass es da die AfD gibt, die immer wieder zuverlässig über die Stränge schlägt.

Niemand traut sich an Themen

Der Clou an dieser seltsam entpolitisierenden Inszenierung zur Abwehr der AfD ist nur: Sie belässt alle anderen in Bequemlichkeit. Alles, was an Zukunftsfragen – in möglichst scharfem Dissens – zu erörtern wichtig wäre, bleibt auf diese Weise ausgespart.

Diese sind jetzt allenfalls, und wenn, dann nur verzagt Thema: Wie integriert man in puncto Bildung und Ausbildung die Flüchtlinge, die in den vergangenen Jahren ins Land einwanderten? Und: Braucht es nicht ein Einwanderungsrecht, das diesen Namen verdient? Wo ist die politische Alternative, die eine Bildungsreform wie in den sechziger Jahren fordert – damals zugunsten des aus dem Proletariat aufsteigenden Nachwuchses, diesmal zugunsten neuer Deutscher, denen Wege in die Mittelschichten bislang nicht sehr offen stehen.

Das AfD-Publikum selbst verdient diese Aufmerksamkeit nicht, es steht für völkische Grundierungen

Und: Weshalb stockt es in der Politik gegen den Klimawandel, wo gibt es eine entschiedene Alternative zum weiterhin geltenden Primat des Autos und dem verschleppten Ausbau der Eisenbahn- und Fahrradmobilität? Muss nicht eher als über Migrationsabwehr darüber diskutiert werden, wie man die ökonomisch Abgehängten in ihren obszön schlecht bezahlten Berufen grundsichert – mit entsprechenden Vorsorgen für die Zeit nach dem Erwerbsleben? Was ist mit der maroden öffentlichen In­fra­struktur, baufälligen Schulen und Hochschulen – gäbe es in dieser Hinsicht nicht mehr zu sagen als das, was die SPD anzumelden hat?

Wie sieht es mit Disputen zur ökonomischen Struktur der Bundesrepublik nach den petrochemisch betriebenen Autos aus? Wie steht es um eine Politik, die sozialen Wohnungsbau fördert – als Masterplan, nicht nur als kommunale Idee? Kurzum: Ein Eco New Deal mit monströsem Milliardenaufwand an Investition wäre wichtig – stattdessen halten sich alle, auch Sozialdemokraten, Grüne und inzwischen auch viele Linke an das, was als Wort „Schuldenbremse“ berüchtigt wurde und ist?

Wichtiger bleibt, das System Merkel auszuhebeln

Die Merkel-Republik ist eine, die alle Konflikte im Namen von Sachzwängen sedierte – und sich nun beschwert, dass da ziemlich schreckliche neue Figuren am Horizont auftauchen und sich nicht an die Schicklichkeiten des Politbetriebs halten. Das ist, zugegeben, ein wütend stimmender Befund, denn die Verve des gesellschaftlichen Protests hätte eher von libertär-linken Kräften kommen müssen.

Das AfD-Publikum selbst verdient diese Aufmerksamkeit nicht, es steht für völkische Grundierungen. Politiker*innen dieser Prägung müssen ertragen werden, nicht mehr, nicht weniger. Es gibt keine Gemeinsamkeiten mit Rechten, weder grundsätzlich noch punktuell, und wird dies noch so oft von Jakob Augstein und seinen Freunden mit antikapitalistischem Gesinnungsbrennstoff behauptet.

Wichtiger bleibt, das System Merkel auszuhebeln. Alternativen überhaupt zu denken. Sie und ihre Partei stehen alles in allem für eine Politik des Weiter-so – nicht für die Reform der Bundesrepublik unter den Vorzeichen der offenen Gesellschaft. Ohne eine souveräne Erörterung von Fragen der Einwanderung, der Integration, der Multikulturalität, von Projekten wie Renovierung der öffentlichen Infrastrukturen wird dies nicht möglich sein. Merkel ist für die meisten das kleinere Übel. Gesucht, ab sofort: die Alternative. Dass diese nicht links im traditionellen Sinne sein kann – das versteht sich von selbst.

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Jan Feddersen
Redakteur für besondere Aufgaben
Einst: Postbote, Möbelverkäufer, Versicherungskartensortierer, Verlagskaufmann in spe, Zeitungsausträger, Autor und Säzzer verschiedener linker Medien, etwa "Arbeiterkampf" und "Moderne Zeiten", Volo bei der taz in Hamburg - seit 1996 in Berlin bei der taz, Meinungs- und Inlandsredaktion, Wochenendmagazin taz mag, schließlich Kurator des taz lab und der taz Talks.. Interessen: Vergangenheitspolitik seit 1945, Popularkulturen aller Arten, politische Analyse zu LGBTI*-Fragen sowie zu Fragen der Mittelschichtskritik. RB Leipzig-Fan. Und er ist seit 2011 mit dem in Hamburg lebenden Historiker Rainer Nicolaysen in einer Eingetragenen Lebenspartnerschaft, seit 2018 mit ihm verheiratet. Lebensmotto: Da geht noch was!
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