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Debatte PalästinaKeine Spur von Intifada

Kommentar von Christian Sterzing

Auch die Palästinenser hätten gute Gründe für eine Revolte. Doch der arabische Aufbruch geht sowohl am Westjordanland als auch am Gazastreifen vorbei.

N icht nur Ägypter, Libyer und Tunesier - auch die Palästinenser hätten einigen Anlass, auf die Straße zu gehen: Unmut über die anhaltende israelische Besatzung, Unzufriedenheit mit den immer autoritärer agierenden Regimes in Ramallah und Gaza, Wut über die ausbleibende Aussöhnung zwischen Hamas und Fatah, Protest gegen die Belagerung des Gazastreifens, Empörung über das Veto der USA im UN-Sicherheitsrat gegen eine Verurteilung der Siedlungspolitik Israels.

Aber der revolutionäre Furor, der die arabischen Regimes der Region reihenweise ins Wanken brachte, scheint an den Palästinensergebieten vorbei zu gehen. Keine Spur von Intifada!

Vielleicht führt gerade die Vielzahl der Adressaten dazu, dass den kleineren Demonstrationen, die es bislang gab, die klare Stoßrichtung fehlte. Wie nervös die palästinensische Führung dennoch auf den Aufstand gegen Mubarak reagierte, zeigte die knüppelharte Reaktion auf zaghafte Proteste in Ramallah.

Auch im Gazastreifen ließ die Hamas nur kontrollierbare kleinere Protestmärsche zu. Das Risiko, dass sich Solidaritätskundgebungen mit der ägyptischen Revolte gegen sie selbst wenden könnten, wollten die "Regierungen" in Ramallah und Gaza vermeiden.

Doppelter Präventivschlag

Oppositionellen Regungen im Westjordanland begegnete die palästinensische Fatah-Führung jüngst mit einem doppelten Präventivschlag: Zum einen kündigte sie für Juli die längst überfälligen Kommunalwahlen sowie Parlaments- und Präsidentschaftswahlen für September an. Zum anderen trat in Ramallah das gesamte Kabinett zurück. Der mit der Regierungsbildung beauftragte alte und neue Ministerpräsident Salam Fayyad tat kund, er wolle die Hamas einbeziehen, um die Wahlen vorzubereiten.

Christian Sterzing, 61, leitete von 2004 bis 2009 das Büro der Heinrich Böll Stiftung für den arabischen Nahen Osten in Ramallah. Von 1994 bis 2002 war er außenpolitischer Koordinator der Grünen-Bundestagsfraktion.

Und die PLO versprach, die seit Monaten ausgesetzten Gespräche über eine nationale Versöhnung mit der Hamas wieder aufzunehmen. Schließlich wandte sich Fayyad per Twitter an die internetaffine palästinensische Jugend und bat um Vorschläge für vakante Ministerposten - eine Anregung vielleicht auch für Kanzlerin Merkel, wenn sie bei der nächsten Kabinettsumbildung nach neuen Ministern sucht.

Indem er die Hand zur Hamas ausstreckte, reagierte Ministerpräsident Fayyad auf den vordringlichsten Wunsch aller Palästinenser, die interne Spaltung zu überwinden. Gleichwohl lehnte die Hamas eine Teilnahme sowohl an den geplanten Wahlen als auch an einer gemeinsamen Regierung ab. Das islamistische Regime im Gazastreifen, trotz gewisser Lockerungen der israelischen Blockade noch immer das größte Freiluftgefängnis der Welt, ist offensichtlich stärker daran interessiert, seine Macht dort zu festigen und die langsame, aber stetige Islamisierung der Gesellschaft voranzutreiben, als sich auf einen nationalen Versöhnungsprozess und das Risiko von Wahlen einzulassen.

Politische Einschüchterung und Verfolgung Oppositioneller durch die Hamas in Gaza finden - spiegelverkehrt - im Westjordanland ihre Entsprechung durch Fatah-Kräfte. Wer den politischen Gegner einsperrt, schafft aber nicht gerade günstige Bedingungen für eine nationale Aussöhnung.

Was können Wahlen bringen?

Ob Wahlen einen Ausweg aus dieser Sackgasse weisen können, ist umstritten. Die angeschlagene palästinensische Autonomieverwaltung in Ramallah wird kaum an Legitimität gewinnen, wenn die Hamas die nächsten Wahlen boykottiert. Die Fatah kann aber auch nicht auf einen großen Wahlerfolg hoffen, denn die nötige politische und personelle Rundumerneuerung blieb auch nach der Wahlniederlage gegen die Hamas 2006 aus. So spielen beide Seiten auf Zeit. Politische Strategien werden durch die schlichte Hoffnung ersetzt, man werde durch geduldiges Abwarten im innerpalästinensischen Machtkampf am Ende die Oberhand behalten.

Ob aus den versprochenen Wahlen überhaupt etwas wird, steht deshalb noch völlig in den Sternen. Solche Ankündigungen gab es in der palästinensischen Geschichte schon häufiger: Meist dienten sie nur als politische Drohung, nicht als demokratisches Versprechen. So verkümmert der revolutionäre Tsunami in Palästina zu einem Sturm im Wasserglas. Die angekündigten Maßnahmen der palästinensischen Führung in Ramallah markieren weniger eine demokratische Öffnung. Sie gleichen eher Schmerzmitteln für die Bevölkerung - mit beruhigender Wirkung.

Ruhe im Auge des Orkans

In Tunis, Kairo, in Tripolis und Sanaa werden die Karten derzeit neu gemischt. In Ramallah, Gaza oder Tel Aviv scheint dagegen alles so zu bleiben, wie es ist. Für die demokratischen Bewegungen der arabischen Ländern besitzt der israelisch-palästinensische Konflikt keine Priorität. Nichts deutet daraufhin, dass sich die Entwicklung in den Nachbarländern auf den Nahostkonflikt auswirken wird - weder als Katalysator für einen neuen Friedensprozess noch als Auslöser eines neuen Waffengangs.

In Ramallah und Gaza sichern Hamas und Fatah ihr politisches Terrain. In Tel Aviv garantiert das Aussitzen des Konflikts mit den Palästinensern das Überleben der rechtsnationalen Koalition. Auf der einen Seite ein bescheidener wirtschaftlicher Aufschwung und erträglichere Verhältnisse für die Palästinenser, auf der anderen Seite keine Terroranschläge, freie Hand für das israelische Militär und den jüdischen Siedlungsbau - das entspricht in etwa den Vorstellungen, die der israelische Regierungschef Netanjahu von einem "ökonomischen Frieden" hegt.

Solange die Stabilität der Palästinensischen Autonomiebehörde in Ramallah durch ausländisches Geld und israelischen Goodwill gewährleistet ist, wird sich an dieser Situation wenig ändern. Von außen sind auch keine Impulse zu erwarten. Nachdem die vermeintliche Stabilität der arabischen Staaten einer neuen Unübersichtlichkeit gewichen ist, bemüht man sich in Washington und Brüssel um Schadensbegrenzung: Flüchtlingsabwehr, Sicherung von Energiequellen und Einflussphären sowie Unterstützung der Demokratisierungsprozesse - eine weitere Baustelle kann da niemand gebrauchen. Nichts scheint im Nahen Osten derzeit so stabil wie der israelisch-palästinensische Konflikt.

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