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Debatte NatoMehr Highways für Afghanistan

Marcus Bensmann
Kommentar von Marcus Bensmann

Für die Nachschubsicherung der Nato in Afghanistan wird Zentralasien immer wichtiger. Mehr flexible Versorgungswege könnte auch dortige Diktatoren in Bedrängnis bringen.

D ie Lage in Afghanistan und Pakistan wird brenzlig. Europa und die USA müssen neue Wege nach Afghanistan suchen. Die nach dem Sieg über die Talibanherrschaft geformten Staatsstrukturen zerfallen, die Taliban gewinnen täglich an Macht und Einfluss. Korruption, Drogenbarone, Banditentum und gierige Warlords lassen die Staatsautorität des unglücklichen Präsidenten Hamid Karsai zerbröseln. Die USA unter dem neuen Präsidenten Barack Obama wollen das Engagement in Afghanistan erhöhen. Gleichzeitig sind die südlichen Nachschubwege der Nato durch die Lage in Pakistan ernsthaft bedroht. Also müssen Ausweichrouten her. Zentralasien bietet sich als nördliche Versorgungsroute nach Afghanistan an.

Seit dem Antiterrorkrieg gegen die Taliban nutzten die Nato-Staaten in Tadschikistan, Kirgisien und Usbekistan Flugplätze zur Versorgung des Afghanistaneinsatzes. Die Liste der Luftstützpunkte hat sich aber in den vergangenen Jahren ausgedünnt. Als Reaktion auf die blutige Niederschlagung des Aufstands von Andischan 2005 schlossen die Amerikaner ihre Basis im usbekischen Karschi. Kirgisien kündigte Anfang diesen Jahres den Vertrag über den US-Stützpunkt auf dem Flughafen bei Bischkek, bis August müssen die US-Soldaten das Land verlassen. Statt Präsident Bakijews Forderung nach mehr Geld nachzukommen, verhandelten die USA einfach mit Russland, Kasachstan, Usbekistan und Tadschikistan über Transitbedingungen für nichtmilitärische Güter nach Afghanistan.

Mehr und mehr wird Zentralasien zum wichtigsten Transportdrehkreuz für den Afghanistankrieg. Dabei sind die Flugplätze weniger entscheidend als der gesicherte, unkomplizierte und preiswertere Landweg über Schienen oder Straßen nach Afghanistan. Wenn die Nato den Einsatz dort fortführen will, ist sie auf Zentralasien angewiesen. Allerdings wird die Region zwischen kaspischem Meer und chinesischer Grenze von mehr oder weniger despotisch herrschenden Autokraten regiert. Dadurch befindet sich der Westen in einem politischen Dilemma. In Afghanistan soll eine stabile und demokratische Ordnung etabliert werden. Um dieses Ziel zu erreichen, macht sich die Nato zentralasiatische Staaten zu Verbündeten, deren Herrscher, wie der usbekische Präsident Islam Karimow, diese Ziele mit Füßen treten. Europa und die USA sollten sich deshalb davor hüten, von einem dieser Despoten erpressbar zu werden.

Bisher hat Usbekistan bei den Versorgungslinien nach Afghanistan quasi eine Monopolstellung inne. Durch das bevölkerungsreichste Land in Zentralasien führt die einzige Eisenbahnlinie bis Termes an die afghanische Grenze. Die Deutsche Regierung zeigt bisher, wie es ist, wenn sich ein Land zur Absicherung der Transportwege nach Afghanistan von dem Despoten Karimow am Nasenring vorführen lässt. Die Bundeswehr nutzt den Flughafen in Termes und den Schienenweg durch das zentralasiatische Land bis zur Freundschaftsbrücke an die afghanischen Grenze. Für dieses Privileg hat die deutsche Regierung alles unternommen, um die usbekische Regierung trotz der katastrophalen Menschrechtslage zu hofieren.

Eine solche Strategie ist jedoch gefährlich und nicht allein aus moralischen Überlegungen verwerflich. Zum einen macht sich die Nato erpressbar, wenn ihre Transportrouten allein durch Usbekistan führen. Karimow könnte mit der Schließung drohen oder seine Zöllner besonders langsam arbeiten lassen, um gewünschte Zugeständnisse von den USA oder Europa zu erhalten. Zum anderen ist Usbekistan nicht stabil und im Vergleich zu den zentralasiatischen Nachbarstaaten eine grausige Veranstaltung. Hemmungslos werden die Reichtümer des Landes durch die Herrscherfamilie ausgeplündert, während die Bevölkerung mit Folter und Geheimpolizei unterdrückt wird. Die usbekische Despotie verhindert jede Form der Medien- oder Politikfreiheit und kontrolliert zudem alle wirtschaftlichen Bereiche des Landes. Da in Usbekistan keine legale Opposition existiert, können sich Proteste gegen die tägliche Staatswillkür nur eruptiv und unkontrolliert erheben, oder die wachsende Unzufriedenheit mündet in einer für die gesamte Region brandgefährlichen religiösen Radikalisierung.

Das Regime Karimows in Usbekistan ist wegen des maßlosen Unterdrückungsapparats daher für die Stabilität der Region gefährlicher als bärtige Männer in Höhlen. Was passiert, wenn sich in Usbekistan wieder wie in Andischan ein Volksaufstand erhebt und die usbekische Staatsmacht dann nicht in der Lage ist, diesen Volksaufstand schnell niederzuschießen? Wird dann die Nato den usbekischen Sicherheitskräften bei der Niederschlagung helfen, um die Nachschubwege durch Usbekistan nach Afghanistan zu sichern?

Die USA und die Nato täten daher gut daran, andere Transportwege durch Zentralasien auszuloten.

Neben der Eisenbahnlinie von Russland über Kasachstan und Usbekistan nach Afghanistan gibt es wenn auch keinen Schienenweg, so doch andere Straßenverbindungen nach Afghanistan. Durch Turkmenien oder über Kirgisien und Tadschikistan führen bereits Straßen in den Süden. In Tadschikistan wurde mit Hilfe der USA eine Autobrücke über den Grenzfluss Pjandsch gebaut. In der tadschikischen Provinz Badachschan gibt es zudem zwei zusätzliche Brückenverbindungen nach Afghanistan. Über den Pamir High Way sind Kirgisien und Tadschikistan direkt miteinander verbunden. Auch von Turkmenien führen Straßen zur afghanischen Grenze nach Herat. Die Verbindungen durch Kirgisien und Tadschikistan sind größtenteils in einem bedauernswerten Zustand. Die Grenz- und Zollkontrollen durch die korrupten Beamten gleichen eher der Wegelagerei und nehmen viele Stunden in Anspruch.

Europa und die USA könnten da klug helfen.

Das vorhandene Wegenetz von Europa durch Zentralasien nach Afghanistan muss modernisiert und die Grenz- und Zollkontrolle mittels zwischenstaatlichen Vereinbarungen vereinfacht werden. Ein solches Programm würde die Versorgungslinien flexibler und die Nato von den zentralasiatischen Autokraten unabhängiger machen.

Die Herrscher in Zentralasien sind sich untereinander nicht grün, sie liegen im Streit über Zollgrenzen, Rohstofflieferungen und Wassernutzungen. Die Nato müsste aus diesem Grund niemals ein einheitliches "Nein" aus Zentralasien fürchten, sofern sie über mehrere Nachschubwege durch Zentralasien nach Afghanistan verfügt. Gleichzeitig würden die schwer taumelnden Wirtschaften in Kirgisien und Tadschikistan nachhaltig belebt werden können.

Die EU und die USA würden sich auf diese Weise ernsthaft in die Lage versetzen können, von der usbekischen Regierung tatsächliche Reformen zu fordern, ohne von ihr abhängig zu sein, und so verhindern, dass das größte Land in Zentralasien innerhalb der nächsten zehn Jahre wie Pakistan in Anarchie und Chaos versinkt.

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Marcus Bensmann
Auslandskorrespondent Zentralasien
„Das liegt doch irgendwo in Russland“ oder „Samarkand?  Seidenstrasse?“ sind zwei häufige Antworten, wenn ich in Deutschland von meiner Arbeit in Zentralasien erzähle. Die Region zwischen dem Kaspischen Meer und chinesischer Grenze tut sich auch 20 Jahre nach der Unabhängigkeit schwer, einen Platz in der Wahrnehmung der deutschen Öffentlichkeit zu erobern.Mich aber faszinieren Turkmenistan, Usbekistan, Kasachstan, Kirgistan und Tadschikistan seit vielen Jahren, obwohl in den Redaktionen das ungeschriebene Gesetz gilt,dass Veröffentlichungschancen sinken, je mehr Stans in einem Satz vorkommen. Ich berichte aus dem Hinterland des Natokrieges in Afghanistan über Aufstände, Revolutionen,Wasserkriege und wie deutsche Politiker mit dem usbekischen DespotenIslam Karimow kungeln, um sich die Bundeswehrbasis in dessen düsteren Reich an der afghanischen Grenze zu sichern.Ich nehme die Ereignisse selbst in Augenschein und berichte in Zentralasien oft als einer der ersten, manchmal sogar als einziger, vom Ort des Geschehens. Sei es bei den zwei Machtumstürzen (2005 und 2010), und dem ethnischen Konflikt in Kirgistan (2010), dem Massaker in der usbekischen Provinzstadt Andischan (2005), den Ölarbeiterstreiks in der westkasachischen Steppenstadt Schanaozen und dessen blutigem Ende (2011), und den Gefechten in der tadschikischen Pamirprovinz Badachschan (2012). Ich, Jahrgang 1969, arbeite seit 1994 aus Zentralasien für Schweizer und deutsche Medien. Seit 2006 bin ich zudem dort als taz-Korrespondent tätig. Ich halte Vorträge zu Zentralasien und beteilige mich an Podiumsdiskussionen. Deutschland:+491795057442 Kirgistan:+996777565575

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