Debatte Nato-Einsatz in Libyen: Hammer und Amboss
Die Führungstroika der Nato will den Regimewechsel. Dazu setzt sie rigoros auf die militärische Karte. Der Situation wird sie damit nicht gerecht.
D ie westlichen Militäroperationen im libyschen Luftraum, die Präsident Obama anfangs als Angelegenheit von Tagen, nicht von Wochen verstanden wissen wollte, gehen heute in ihren zweiten Monat. Ein durchschlagender Erfolg, gar das Ende des Unternehmens, sind nicht in Sicht.
Frankreichs Präsident Sarkozy und der britische Premierminister Cameron verlangten vergangene Woche in Paris die Forcierung der Angriffe auf die Stellungen Gaddafis. Alle vorhandenen militärischen Mittel müssten jetzt zur Verfügung gestellt werden. Zunehmend lauter rufen die Militärs nach mehr Flugzeugen mit Präzisionswaffen gegen Bodenziele. Unübersehbar ist: Die Zeichen stehen auf Eskalation.
Präzedenzfall Kosovo
REINHARD MUTZ war bis 2006 geschäftsführender wissenschaftlicher Direktor des Instituts für Friedensforschung und Sicherheitspolitik an der Universität Hamburg. Inzwischen ist er pensioniert.
Nach der moralischen Rechtfertigung und der politischen Verantwortbarkeit der gewaltsamen Intervention gefragt, verweisen die Befürworter mit Vorliebe auf den zeitgeschichtlichen Präzedenzfall des Kosovokriegs. Da lohnt schon mal genaues Hinsehen. Damals war es die amerikanische Außenministerin Madeleine Albright, die mit der Prognose irrte, ein paar energische Luftschläge würden genügen, den Kontrahenten in die Knie zu zwingen.
Die Nato zog die Schraube an, erhöhte die Angriffsfrequenz, erweiterte die Ziellisten. Trotzdem brauchte sie, ehe ihr Kriegszweck erreicht war, 78 Tage Dauerfeuer in 37.000 Lufteinsätzen mit Bomben und Raketen auf Straßen, Eisenbahnlinien, Brücken, Fabriken, Raffinerien, Rundfunksender - 7 Tage die Woche, 24 Stunden am Tag.
Dass schließlich in der elften Kriegswoche der serbische Potentat die weiße Fahne hisste, leiht ihm noch nachträglich die Gloriole eines verantwortungsbewussten Staatsmanns. Denn "sonst hätte die Nato weitergebombt", so der damalige Oberbefehlshaber General Wesley Clark, "seine Infrastruktur pulverisiert. Wir hätten die Nahrungsmittelindustrie zerstört, die Kraftwerke. Wir hätten alles getan, was nötig gewesen wäre." So sah es aus, das Kriegsbild, für das eigens ein neuer Name erfunden wurde: humanitäre Intervention. Kein gutes Omen für die Menschen in Libyen.
Im Land mit den reichsten Ölvorkommen Afrikas herrscht je nach Blickwinkel ein exaltierter Autokrat oder ein skrupelloser Diktator. Es ist derselbe, den die Regierungen Europas in ihren Hauptstädten empfingen, mit dem sie Handel trieben und Geschäfte schlossen und dessen modernste Waffen europäischer Produktion entstammen. Anders als in Tunesien und Ägypten hat die Aufstandsbewegung den alten Machthaber bislang nicht aus dem Amt drängen können. Seine Anhänger kontrollieren den bedeutenderen, die Oppositionellen den übrigen Teil des Landes. Um Größe und Grenzen der jeweiligen Besitzstände wird gekämpft.
Parteinahme im Bürgerkrieg
Zum militärischen Eingreifen von außen haben Nachrichten den Anstoß gegeben, Gaddafis Armee gehe mit Luftangriffen gegen friedliche Demonstranten vor. Was daran stimmt, ist bis heute unklar. Das UNO-Generalsekretariat in New York, das Pentagon in Washington, sogar die westlichen Botschaften vor Ort in Tripolis sahen sich außerstande, die Schreckensmeldungen zu bestätigen. Gleichwohl erlaubt die einschlägige Libyen-Resolution des UNO-Sicherheitsrats "alle notwendigen Maßnahmen zu ergreifen, um von Angriffen bedrohte Zivilpersonen und von der Zivilbevölkerung bewohnte Gebiete zu schützen".
Für weitergehende Absichten, zum Beispiel einen Regimewechsel zu erzwingen, bietet die Resolution keine Handhabe. Dabei bestand von Anfang an Gewissheit, dass der Schutz unschuldiger Zivilisten nicht das einzige Ziel westlicher Kampfjets darstellt. Zugleich, wenn nicht vor allem, leisten sie Umsturzhilfe für die genehmere der beiden Konfliktparteien im libyschen Stammes- und Bürgerkrieg.
Nun ist die Katze aus dem Sack. Die alliierte Führungstroika ließ wissen, wie sie sich den Kriegsausgang vorstellt. Obama, Cameron und Sarkozy in einem gemeinsamen Zeitungsbeitrag: Solange Gaddafi an der Macht sei, werde der Nato-Einsatz weitergehen. Damit brüskierten sie ihre Bündniskollegen, die erst am Vortag auf dem Berliner Ratstreffen als Voraussetzung, die militärischen Operationen zu beenden, ausschließlich solche Bedingungen genannt hatten, die mit dem UNO-Mandat im Einklang stehen.
Jetzt wird die Sache also ausgeschossen. Zu den Opfern, die schon Gaddafis Aufbäumen gegen den doppelten Feind innerhalb und außerhalb seiner Landesgrenzen kostet, werden noch diejenigen kommen, die als "Kollateralschäden" der Luftattacken anfallen. Deshalb gehört komplexe politische Konfliktlösung nicht in die Hände von Militärallianzen. Wer nur einen Hammer im Werkzeugkasten hat, wird in jedem Problem den Amboss erkennen. Der erste Praxistest der UNO mit dem neuen Rechtsprinzip der Schutzverantwortung muss als gescheitert gelten.
Gewalt beenden
Und wie sonst kann die libysche Zivilbevölkerung ihrer Zwangslage entgehen, wie in den Genuss des bislang nur papiernen Schutzversprechens gelangen? Die Antwort ist so trivial wie plausibel: Die Waffen, und zwar alle, müssen zum Schweigen gebracht werden, besser heute als morgen, nach Kräften flankiert durch die zupackende Unterstützung der internationalen Gemeinschaft.
Zwei solcher Initiativen existieren, unterbreitet zum einen vom Nato-Mitglied Türkei, zum anderen von einer hochrangigen Abordnung der Afrikanischen Union. Sie gleichen sich in der vorgeschlagenen Schrittfolge: ein sofortiger Waffenstillstand, Beendigung der Belagerung eingeschlossener Städte, ungehinderte Bereitstellung humanitärer Hilfe und die Einleitung eines politischen Verhandlungsprozesses zwischen den libyschen Konfliktseiten.
Zusätzlich fordert der afrikanische Plan von der Nato, die Luftangriffe unverzüglich einzustellen. Hinter diesen Vermittlungsversuch haben sich die sogenannten BRICS-Länder gestellt: Brasilien, Russland, Indien, China, Südafrika. Das ist vordergründig eine imposante Gruppierung, doch offenbar zu leichtgewichtig, solange die Interventionsmächte keine Bereitschaft zeigen, ein anderes als ihr schlichtes Rezept von Hammer und Amboss auch nur zu diskutieren.
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