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Debatte NPD-VerbotRechtsstaatliche Realsatire

Kommentar von Johannes Lichdi und Horst Meier

Das fragwürdige NPD-Verbotsverfahren droht erneut am Verfassungsschutz zu scheitern. Der Prozess muss entweder fair sein oder platzen.

Die Frage ist: Hat der Verfassungsschutz seine V-Leute tatsächlich abgeschaltet? Bild: dpa

E in „Parteiverbot (trage) das Risiko in sich, die Freiheit der politischen Auseinandersetzung zu verkürzen. Insbesondere ist der Gefahr zu begegnen, dass dieses Instrument im Kampf gegen den politischen Gegner missbraucht wird“, schrieb 2001 Jutta Limbach, damals Präsidentin des Bundesverfassungsgerichts, und mahnte: „Auf zwei Wegen lässt sich dieser Gefahr entgegenwirken: zum einen durch eine restriktive Auslegung der Voraussetzungen des Verbots; zum anderen durch ein strenges justizförmiges Verfahren.“

Was das strenge rechtsstaatliche Verfahren angeht, so hat der Zweite Senat mit seinem „Geheimdienste-Beschluss“ vom 19. März Pflöcke eingeschlagen und die Bedingungen für einen fairen Prozess gegen die NPD bekräftigt.

Der Beschluss könnte auch schon den Anfang vom Ende des Verbotsverfahrens eingeleitet haben. Denn jetzt ist der Bundesrat am Zuge: Liefert er die angeforderten Belege nicht, weil die Innenminister mit dem üblichen Versteckspiel namens „Quellenschutz“ mauern, dann könnte das Verfahren wieder scheitern, weil Aussagen und Verhalten der NPD nicht klar genug vom Einfluss verdeckter Agenten des Staates zu unterscheiden sind.

Schaut man die „Hausaufgaben“ durch, die das Bundesverfassungsgericht dem Bundesrat aufgibt, wird schnell klar, dass es hart zur Sache geht. Der Zweite Senat verlangt Beweise, dass die V-Leute in den Vorständen der NPD tatsächlich am 2. April 2012 abgeschaltet worden sind. Die im Verbotsantrag vorgelegten „Testate“, in denen die Innenminister das pauschal versichern, genügen dem Gericht nicht.

Es kommt noch peinlicher

Die Autoren

Horst Meier, geb. 1954, Autor und Jurist, schrieb seine Dissertation über die Verbotsurteile des Verfassungsgerichts gegen SRP und KPD. Gerade ist erschienen „Verbot der NPD - ein deutsches Staatstheater in zwei Akten. Analysen und Kritik 2001-2014“, Berliner Wissenschafts-Verlag, 2015.

Johannes Lichdi, geb. 1964, Rechtsanwalt, 2004-2014 Mitglied des Landtages in Sachsen, zuletzt "Sächsische Szenen - Wie das Versagen der Zuständigen die Demokratie gefährdet" (abgedruckt im o. g. Band).

Die Verfassungsrichter wollen jetzt Genaueres über die „Zahl und den Ablauf“ der behaupteten „Abschaltungen“ wissen. Und sie wollen Nachweise für den „Vollzug des Verzichts auf Nachsorge“ bei den „abgeschalteten“ Informanten bis spätestens Dezember 2012 sehen.

Aber es kommt noch peinlicher für die Antragsteller: Das Gericht verlangt vom Bundesrat darzulegen, dass „keinerlei nachrichtendienstlich erlangte Informationen über die Prozessstrategie der Antragsgegnerin entgegengenommen“ werden – und dass der NPD-Anwalt Peter Richter, selbst ein Parteifunktionär, weder abgehört noch sonst überwacht wird. Im Übrigen solle man nachweisen, dass dennoch erlangte Informationen nicht ins Verbotsverfahren eingeführt würden.

Offenbar nimmt der Senat den Verdacht der Überwachung des NPD-Anwalts durchaus ernst. Hier tun sich Abgründe auf: Wie die FAS am 8. Februar 2015 berichtet, hatte ein von einem Verfassungsschützer gesteuertes Auto 2013 das Fahrzeug der Mutter des Anwalts angefahren.

Das ist Realsatire

Der Beschluss gipfelt in der Forderung, die Verbotsbetreiber mögen „insbesondere zur Frage der Quellenfreiheit des Parteiprogramms Stellung nehmen“ – auf Deutsch: Sie sollen erklären, ob V-Leute daran mitgeschrieben haben. Das ist Realsatire, und es muss doch in einem rechtsstaatlichen Verfahren geklärt werden. Fluch der schlechten Gewohnheit: Wer jahrzehntelang eine Kleinstpartei geheimdienstlich infiltriert, braucht sich nicht zu wundern, wenn ihn in Karlsruhe regelmäßig V-Leute-Probleme einholen.

All das war absehbar: Haben die Bundesländer wirklich geglaubt, die Richterinnen und Richter des Bundesverfassungsgerichts würden sich in einem Verfahren, das schon einmal an der fehlenden „Staatsfreiheit“ der NPD gescheitert war, mit treuherzigen Beteuerungen abspeisen lassen?

Allein den Antragstellern obliegt es, hieb- und stichfest darzulegen, dass keine geheimdienstlich bedingten Verfahrenshindernisse vorliegen: „Darstellen und in geeigneter Weise belegen“ – eine messerscharfe Formulierung! Der Geheimdienstebeschluss zwingt die Innenminister zur Entscheidung: Wollen sie ihren „Testate“ genannten Lippenbekenntnissen endlich Taten folgen lassen und Verfassungsschutzakten herausgeben, die ihren Umgang mit V-Leuten nachvollziehbar machen?

Abgeschaltete V-Leute

Der Berichterstatter des Bundesverfassungsgerichts, der ehemalige saarländische Ministerpräsident Peter Müller, dürfte bis zum 15. Mai eine detaillierte Aufstellung über sämtliche „abgeschaltete“ V-Personen erwarten. Denn anders wären Behauptungen der NPD kaum zu widerlegen, es gebe nach wie vor aktive Spitzel in der Führungsebene.

Was wird den Innenministern also wichtiger sein: der Erfolg des Verbotsverfahrens oder die Geheimhaltung der „Quellen“ und Arbeitsweisen ihres „Verfassungsschutzes“? Denn alles, was jetzt dem Gericht geliefert werden muss, ist selbstverständlich auch dem NPD-Anwalt zuzuleiten. Und es müsste in öffentlicher Verhandlung erörtert werden. Denn ein nichtöffentliches „In-camera-Verfahren“, von dem die NPD-Vertreter ausgeschlossen werden, kommt, wie der ehemalige Verfassungsrichter Dieter Grimm vor Jahr und Tag erklärte, aus rechtsstaatlichen Gründen nicht in Betracht (FAZ vom 22. 2. 2002).

„Die Politik läuft in eine unsägliche Falle“, warnte 2011 Hans-Jürgen Papier, auch er ehemals Präsident des Verfassungsgerichts. Doch der Bundesrat schlug alle Warnungen in den Wind und setzte ein Verfahren in Gang, das alle Züge von Wiederholungszwang trägt.

Widerliche Parolen

Nüchtern betrachtet ist die NPD eine isolierte Splitterpartei, ihr Niedergang offenkundig. Sie lehnt zwar das Grundgesetz ab und verbreitet widerliche Parolen, doch ihr untauglicher Versuch, die „Grundordnung“ dieser Demokratie zu beseitigen, grenzt an ein Wahndelikt.

Dass sich nun das Verfassungsgericht auf geradezu spektakuläre Weise entschlossen zeigt, das Verfahren gegen die NPD in rechtsstaatliche Bahnen zu lenken – dafür kann man es nicht hoch genug loben. Offenbar will man sich vom „Verfassungsschutz“ nicht noch einmal an der Nase herumführen lassen.

Kurz und gut: Was den Verbotsbetreibern schlaflose Nächte bereiten dürfte, ist für Rechtsstaat und Demokratie eine ausgesprochene Wohltat – denn nur so ist ein „strenges justizförmiges Verfahren“, nur so ist „fair trial“ zu garantieren.

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8 Kommentare

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Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

Wir machen Silvesterpause und schließen ab Montag die Kommentarfunktion für ein paar Tage.
  • Natürlich kann auch die NPD ein rechtsstaatliches Verfahren erwarten, wie es auch ein einzelner Mensch erwarten darf, der mit dem Gesetz in Konflikt geraten ist. Und wie bei jedem anderen Angeklagten müßte die Schuld der NPD erst vor Gericht nachgewiesen werden, doch solange die Mitwirkung der Geheimdienste nicht eindeutig geklärt ist, wird das schwer bis unmöglich sein.

  • Danke , ein sehr lesenswerter , informativer Artikel .

  • Die NPD ist als offizieller Buhmann viel zu wichtig und nützlich als das man sie so einfach verbieten will.

  • Es wäre auch in den 20er / 30er Jahren sicher ein großer Fehler gewesen, die NSDAP zu verbieten. Gott sei Dank hat man das nicht getan: Rechtsstaat und Demokratie hätten unwiderruflichen Schaden genommen.

    • @Friedrich Zoller:

      Die NSDAP war von Ende Oktober 1923 bis zum Februar 1925im gesamten Deutschen Reich verboten.

       

      Leider nicht länger.

  • Nach Abschluß des Verfahrens wird sich die NPD voraussichtlich umfirmieren: VSPD.

  • Uns mag vielleicht nicht gefallen, dass es die NPD gibt, aber was für ein Land sind wir, wenn politische Parteien andere Parteien verbieten lassen, durch ein Gericht, dessen Richter sie selbst gewählt haben. Aber wir halten uns für ach so demokratisch.

  • Ich glaube nicht, das in diesem Staat irgendein Politiker, außer den Linken, Interesse daran hat die NPD zu verbieten. Zudem würde das Verbot der NPD heute in der politischen Landschaft zu keinen Änderungen führen. Dazu sind schon zu viele Rechte mit zu vielen Rechten herangezüchtet worden. Die Infiltration dieser Gruppen durch V-Leute war vielleicht aus einem ganz anderen Grund als uns die Politik zur Erklärung weismachen will.

    Alles was heute geschieht, geschieht weil die Rechten immer geschützt wurden und werden. An Aufklärung der NSU-Geschichte bei der aktuell wieder eine Zeugin unter mysteriösen Umständen ums Leben kam ist der beste Beweis.

    Alles weist daraufhin das wir kurz davor stehen wieder in die Dummen zu sein die wir letztendlich auch sind. Die Wahrheit ist zu einfach.