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Debatte Merkels Ehe für alleDas kalte Wunder

Wunderbar, dass die Ehe für alle da ist. Schade, dass sie für Angela Merkel nur eine Verhandlungsmasse ist, die sie im richtigen Moment einsetzt.

Bundeskanzlerin Angela Merkel zeigt der Ehe für alle die rote Karte Foto: dpa

Was das Parlament an diesem letzten Freitag im Juni beschlossen hat, kommt verspätet und ist dennoch wunderbar. Es ist ein historischer Erfolg im Kampf für rechtliche Gleichstellung. Ein Mensch und ein Mensch lieben sich, sie heiraten: So einfach, so frei, so gleich.

Endlich herrscht Gleichheit vor dem Gesetz. Nun können Homo-Paare gemeinsam Kinder adoptieren. Endlich ist der Status quo aufgehoben, der Menschen zurückgesetzt und verletzt hat. Deshalb ist der Beschluss des Bundestags wunderbar. Der Weg dahin ist es nicht.

Denn was SPD, Grüne und FDP jetzt ausgelassen feiern, bedeutete ihnen zu lange zu wenig. Der FDP war die Ehe für alle 2009 nicht wichtig genug, um sie zur Bedingung für die schwarz-gelbe Regierung zu machen. Die SPD sah darin vier Jahre später kein Thema, an dem Schwarz-Rot scheitern sollte. Und haben die Grünen 2013 wirklich ausgetestet, ob in einem Koalitionsvertrag mit CDU und CSU ein gemeinsames Adoptionsrecht für alle Paare drin gewesen wäre?

Viele der Kämpfer von heute sind die Zauderer von gestern. Es ging ja um eine Minderheit. Priorität hatten sogenannte Mehrheitsthemen. Nicht wunderbar.

Magic Moment!

Nun aber haben Grüne, wie auch FDP und SPD die Ehe für alle zur Priorität gemacht. Nur deshalb hat sich die Union bewegt. Womit wir bei Angela Merkel wären. Zufällig, als sei sie in die Sache hineingestolpert, fiel ihr im menschelnden Brigitte-Talk das Gewissen ein. Sie erwähnte ein lesbisches Paar aus ihrem Wahlkreis an der Ostsee, das die Kanzlerin – Magic Moment! – angeblich ins Nachdenken gebracht hat. Und Angie ging zum Regenbogen, diese Story ist Politkitsch, den wir getrost vergessen können.

taz.am Wochenende

Ein junger Mann kommt als Flüchtling aus dem Irak nach Sachsen. In einem Supermarkt gibt es Ärger, vier Männer fesseln ihn an einen Baum. Kurz bevor ihnen der Prozess gemacht werden soll, findet man den Flüchtling tot im Wald. Zufall? Das fragt die taz.am wochenende vom 1./2. Juli. Außerdem: Rapper Bushido versucht sich an sein Praktikum im Bundestag zu erinnern. Und: Sechs Seiten zur Entscheidung im Budnestag für die Ehe für alle. Am Kiosk, eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo.

Man erinnere sich lieber an einen anderen Auftritt. Im Wahlkampf 2013 während einer Fernsehsendung hat der Zuschauer Patrick Pronk die Kanzlerin gefragt, warum er mit seinem Partner nicht gemeinsam ein Kind adoptieren dürfe. Pronk hakt dreimal nach, aber Merkel antwortet nur, sie tue sich schwer, sie sei sich nicht sicher. Die Berufslogikerin sagt nichts zur Sache, weil es ihr nicht um die Sache geht. Sie nennt kein Argument, weil sie flexibel bleiben will.

2013 brauchte Merkel das Nein zur Gleichstellung als Gimmick für die Gestrigen in CDU und CSU. Und irgendwann einmal hätte sie ihr Nachgeben den Grünen in Koalitionsverhandlungen überlassen, als Trophäe für deren Basis. Die Ehe für alle: eine Verhandlungsmasse, die Merkel einsetzt nach Lage, nach Konstellation, nach Moment.

Die Gewissensentscheidung

2017 ist dieser Moment da. Alle drei möglichen Koalitionspartner der Union erklären die Frage für nicht verhandelbar. Merkel erkennt: Im Wahlkampf würde sie gefragt, wie sie Kanzlerin bleiben, aber die Ehe für alle weiter verhindern will. Gerade hat in Schleswig-Holstein Daniel Günther die Wahl gewonnen, der die Gleichstellung fordert. Über Schwule und Lesben regen sich die Anhänger der Union nur noch sehr bedingt auf, Katholiken eher als Protestanten, über 50-Jährige eher als Jüngere. Das Nein zur Gleichstellung ist für Merkel wertlos. Eine gefallene Aktie, die sie abstoßen möchte.

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Als Sonntagabend im Konrad-Adenauer-Haus in Berlin das CDU-Präsidium tagt, schneidet Merkel das Thema an, lässt eine Stunde darüber diskutieren. Der Kniff mit der Gewissensentscheidung steht im Raum. Die Führungsriege registriert: Hier tut sich was.

Dass der Brigitte-Termin bevorsteht, wird Merkel nicht erst am Montag dem Terminkalender entnommen haben. Ob sie der SPD zutraute, auf einmal so mutig zur Abstimmung zu drängen? Für die Frage, wie gesellschaftspolitisch liberal Merkel ist, spielt das keine Rolle. Am Freitag im Parlament hat sie mit Nein gestimmt. Letztlich ist das egal. In der Sache wollte sie nichts. Bei dieser Entscheidung, die sich angeblich ums Gewissen dreht, hat Merkel immer nur kalkuliert. Kalt.

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7 Kommentare

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  • Merkel hat ein wahlkampfthema gekapert - nicht das erste Mal: die anderen legen vor, Merkel macht sich das thema "zu eigen" -fertig.

    Merkel weiß aber sehr genau - vgl. rückzahlung von 7 MRD brennelementesteuer an die AKWler - dass das BVerfG wahrscheinlich die entscheidung einkassiert. sie hat dann alles "Mögliche" getan

    Merkel stimmt "dagegen" - und dann kann keiner aus der CDU-riege der homophoben usw. ihr einen ernsthaften vorwurf machen.

    die TAZ sollte vielleicht noch einmal alle gesetzesvorlagen auflisten, bei denen Steinbach und die CSU entschieden dagegen waren.

  • In meinen Augen schlüssig analysiert vom Autoren.

     

    Zwei Punkte.

     

    1.) Das Thema hatte plötzlich Fahrt aufgenommen, als Volker Beck auf dem Grünen-Wahlparteitag noch kurz vor knapp die EFA als rote Linie der Parteitagsleitung in das Wahlprogramm gezaubert hatte (gegen deren Ansinnen!)

     

    Was Lindner für FDP und Schulz für SPD dann veranstaltet haben, war Trittbrettfahrerei aber der Sache nicht hinderlich.

     

    2.) Was mich als jemand, der die Anstrengungen zur Gleichstellung seit Anfang der 90er intensiv verfolgt, eben noch grübeln lasst, was die Dynamik des Geschehens anbetrifft:

     

    Merkel und der Führungskreis der Union waren sich offenbar am letzten Wochenende nicht bewusst, wie die Klein-Klein-Sachlage im Rechtsausschuss war mit dem immer wieder von CDU/CSU in Komplizenschaft mit SPD 30 Mal (!) nicht befassten Gesetzesvorschlag aus dem Bundesrat. Und das trotz des BVerfG-Beschlusses aus der Vorwoche, der der Koalition ja auch Recht gab. Die hatten das Thema innerlich zu den Akten gelegt.

     

    Genau das war der von Johannes Kahrs (SPD) in seiner Wutrede gegen Merkel am Freitag genannte "Schabowski-Moment".

     

    Eben weil Merkel (auch wegen des allgemeinen Hetero-Desinteresse an LGBT-Themen) nicht "Bescheid wusste", dass der Gesetzentwurf quasi druckreif und beschlussfertig nur noch aus der Schublade gezogen werden musste (erste Lesung war erfolgt), konnte das Kunststück formal korrekt auch noch zeitlich passend am Freitag durchgezogen werden.

     

    Übrigens, nur dank der Vorarbeiten aus den rot-grünen Bundesländern, die den Gesetzesvorschlag mittels noch damals rot-grün regiertem Rheinland-Pfalz (2015?) aus dem Bundesrat heraus eingebracht hatten.

  • Ehe für Alle ist auch eine Frage Der Definition der Familie, des Kindeswohls und Nicht -Diskriminierung.

     

    Eine Familie wird sowohl innerhalb der Europäischen Union als auch bei UNO Mitgliedern unterschiedlich definiert. Dabei gibt werden oft Menschen diskriminiert, die nicht im betreffenden Land geboren wurden.

    http://www.taz.de/!1266419/

     

    Wer gehört zu einer Familie nach Deutschen Gesetzen?

     

    Zu einer Familie gehört eine Ehegattin und ein Ehegatte. Dann muss unterschieden werden! Kinder, Eltern und Geschwister von Menschen mit Migrationshintergrund (Ausländer, Flüchtlinge, Aussiedler, Gastarbeiter, Deutsche mit Migrationshintergrund) gehören sehr beschränkt zu Familie. Es geht vor allem um Familienzusammenführung, die im Ausländergesetz geregelt ist und Menschen mit Migrationshintergrund diskriminiert. D. h. Kinder (über 16/18), Eltern und Geschwistern von Menschen mit Migrationshintergrund können nicht in Deutschland leben. D. h. viele Menschen mit Migrationshintergrund, die in Deutschland leben, haben oder hatten deren Kinder, Eltern und Geschwister im Ausland. Ausnahmen davon bilden Ehegatten. Und das Ausländergesetz muss nun jetzt um gleichgeschlechtliche Ehepartnerinnen und Ehepartner erweitert werden.

  • Mir fallen gerade die Schuppen von den Augen. Merkels Gefasel über die Diskriminierung von Minderheiten, einschließlich sexueller. Von der Leyen mit ihrem Bundeswehr Training zur Akzeptanz von homosexuellen Soldaten. Merkel neben Putin fragt nach der Schwulenverfolgung in Tschetschenien. Ihr Lob für die Aufklärung sexueller Vielfalt an Schulen. Das alles diente dem hier.

  • 3G
    32795 (Profil gelöscht)

    Ne Du, das ist vollkommen verkehrt.

     

    Die SPD beschliss an ihrem Parteitag das Thema zur Voraussetzung für eine Koalition nach der Wahl zu machen. Aber man hat vergessen hier auch noch andere Themen zu benennen. Also steuerte man auf einen Wahlkampf-Endspurt zu in dem man selbst den Beweis erbracht hatte, dass einen aussser der Ehe für alle nichts wirklich interessiert.

     

    Dann geht man hin und versucht das hinzubiegen indem man eine sofortige Abstimmung erzwingt. Operation erfolgreich, Patient tot.

     

    Jetzt hat Merkel "den Weg freigemacht" (witzig oder?) und die SPD ihr zentrales Wahlkampfthema verloren. Wir dürfen uns jetzt bis zur Wahl auf einen Martin Schulz freuen, der irgendwas mit "Europa und Gerechtigkeit" stammelt.

     

    Auf der gaaanz anderen Seite wetzen sie schon die Messer, hat doch die SPD gerade bewiesen dass sie nur noch für Firlefanz-Themen ernsthaft kämpft und Merkel hat bewoesen, das ihr keine konservative Pisition heilig ist.

     

    Na das nenn ich mal nen Betriebsunfall. Sauber!

  • 4G
    4932 (Profil gelöscht)

    Also, ich habe gar kein Mitleid mit Merkel. Eine Kanzlerin, die sich offenbar immer höchst präzise ausdrückt, wenn es in der EU um die Umgehung deutscher Kfz-Abgasmengen oder die Nicht-Einhaltung von Klimazielen geht, oder um Sanktionen gegen Rußland oder die bedingungslose Erfüllung aller Wünsche aus Amerika mit Kniefall, die sollte wohl ebenso klar und ehrlich vor die deutsche Öffentlichkeit und ihre eigene Partei hintreten und endlich einmal nicht verschwurbelt sagen, was sie warum nicht tut oder will.

    Für normale Physikerinnen ist es Alltag, Fakten und Sachverhalte klar zu benennen. Und das Volk ist nicht so blöd, daß es das nicht verstehen würde.

  • da wäre es doch tatsächlcih für die SPD schlauer gewesen, die Sache bis nach der Wahl zu verschieben. Das hätte ihr politisch wohl mehr genutzt. Andererseits nach der Wahl ist nach der Wahl und da hätte sie, um einen Koalitionspartner zu finden auch nachgeben können.

    Politisch gut gelaufen für Merkel praktisch gut für die die`s betrifft.

    Gab es eine Möglichkeit Merkel auszumanövrieren, wie immer suggeriert wird?