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Debatte Lügen und ManipulationDie Wahrheit ist auf unserer Seite

Der US-Präsident lügt. Aber sind wir wirklich besser? Sorgfalt ist auch im privaten, oft lässigen Umgang mit der Wahrheit angebracht.

Lügen sind wie Dackel, sie haben kurze Beine Foto: photocase.de / mailin.lemke

Der Name Donald Trump ist zum Inbegriff der Lüge geworden. Doch mal ehrlich: Auch wir Übrigen lassen der Wahrheit oft nicht den Respekt zukommen, den sie verdient. Schon einmal habe ich geschrieben, dass zum Beispiel Marketing eigentlich auch nichts anderes ist als eine Form von Lüge.

Fakten werden dabei so selektiert und präsentiert, dass sie dem anderen keine informierte Wahl lassen, sondern ihn oder sie in die gewünschte Richtung manipulieren. Und unsere Gesellschaft findet Marketing anscheinend okay, ebenso wie es völlig legitim ist, dass öffentliche Debatten von PR-Mechanismen bestimmt werden. Doch dieser strategische Umgang mit dem anderen verengt dessen Perspektive, beschneidet seinen Spielraum zu denken und zu entscheiden, was er will.

Aus demselben Grund ist Sorgfalt auch im privaten, oft recht lässigen Umgang mit der Wahrheit angebracht. Lässig deshalb, weil der Imperativ „Du sollst nicht lügen!“ heute ja einen ähnlichen Ruf hat wie „Du sollst Vater und Mutter ehren!“. Beide klingen für viele Ohren nach dem Rigorismus vergangener Zeiten, einem überkommenen Familien- und Menschenbild geschuldet, spießig und uncool.

Das Recht auf relevante Informationen

Tatsächlich allerdings ist das Verbot der Lüge wohl eher dem moralischen Grundsatz verwandt, man solle andere nicht töten, schlagen oder sonst wie verletzen (soweit vermeidbar). Denn Lügen richtet handfesten Schaden an, auch wenn man diesen Schaden vielleicht nicht auf den ersten Blick sieht: Wer lügt, enthält der anderen Person Informationen vor, die sie braucht, um ihre Ausgangssituation bestimmen, und um sich zu entscheiden, entsprechend zu handeln.

Meistens merkt das belogene Opfer ja selbst vage, dass etwas „nicht stimmt“: zum Beispiel wenn unter Kolleg*innen oder in der Nachbarschaft Gerüchte kursieren, sich aber niemand traut, der betroffenen Person die Wahrheit ins Gesicht zu sagen. Nur dann allerdings könnte sie verstehen, warum einige neuerdings so sonderbar reagieren, und nur dann könnte sie gegen die Gerüchte vorgehen. Aus demselben Grund hat ein Mann das Recht zu erfahren, wenn seine Partnerin eine Liebesaffäre trotz gegenteiliger Versprechen fortgesetzt hat: Damit er nachdenken und entscheiden kann.

Der Referenzpunkt ist jeweils nicht die „absolute“ Wahrheit – niemand hat ein Recht auf vollständiges Wissen über alles und jeden, sondern es kommt auf die (rechtlichen und persönlichen) Beziehungen und Vereinbarungen zwischen den Beteiligten an. Wenn ein entsprechendes Agreement vorliegt, muss es nicht notwendig eine Lüge sein zu sagen, man sei mit Susi im Schwimmbad gewesen, wenn man tatsächlich Sex mit Olaf hatte.

Manchmal haben auch wir Multikulturalist*innen das Gefühl, selbst an der Wahrheit herummanipulieren zu müssen, damit die Rechten aus den Informationen kein Kapital schlagen

Noch einmal: Die entscheidende Frage ist, ob man dem anderen relevante Informationen vorenthält, auf die er oder sie ein Recht hat; entweder um selbstbestimmt zu handeln, oder um erst einmal die Welt so zu interpretieren, dass er/sie in ihr sinnvoll handeln kann.

Wer einen anderen wissentlich täuscht, respektiert dessen Willen nicht und verletzt seine Autonomie. Und das ist kein kleines Vergehen wie das Mitnehmen eines Kugelschreibers aus dem Büro oder ein Kavaliersdelikt. (Wobei mich letzteres Wort ehrlich gesagt stutzig macht – mir schwant Fürchterliches. In früheren Jahrhunderten prahlten Kavaliere freimütig mit Delikten, die wir heute als Vergewaltigung erkennen.)

Doch es gibt – neben Marketingstrategien und privatem „Schummeln“ – noch einen dritten Fall von Unwahrheit, der mir Sorgen macht. Und zwar denke ich an solche Fälle, wo „wir Multikulturalist*innen“, wie ich der Einfachheit einmal sagen möchte, das Gefühl haben, selbst an der Wahrheit herummanipulieren zu müssen, damit die Rechten aus den Informationen kein Kapital schlagen. Ich denke an solche Momente wie nach den beiden Silvester, an Statistiken zu Zwangsheiraten und Gewalttaten in Familien und dergleichen mehr. Oder man erinnere sich an das letzte Mal, als im Radio von einer Sexualstraftat oder einer Messerstecherei auf einem Schulhof berichtet wurde.

„Hoffentlich war es kein …?“

Jedes Mal folgt dieser Bruchteil einer Sekunde, wo wir bangen: „Hoffentlich war es kein …?“ Die Färbung des gesamten Geschehens und der Berichterstattung und dessen, was wir darüber denken, wird inzwischen von der ethnischen Herkunft der Täter bestimmt. Auch bei uns, den Multikulturalist*innen! Nur halt irgendwie umgedreht, ein bisschen um die Ecke, voller Gedanken zweiten und dritten Grades, was passieren könnte, wenn …

Aber wir dürfen nicht länger zulassen, dass uns die Rechten vor sich hertreiben. Denn die Probleme mit einer „politisch unbequemen“ Wahrheit entstehen ja nicht, weil die Wahrheit an sich so unbequem ist, sondern sie folgen daraus, wie sie verwendet wird. Männer aller Bevölkerungsgruppen begehen Sexualstraftaten.

Nur bei den Tätern „von woanders“ wird jeder einzelne Fall bundesweit publik; wir müssen von all unseren Zeitungen, Radiostationen und Fernsehsendern verlangen, eine allgemeine Richtlinie zu entwickeln, die dann für wirklich alle von der Polizei vermeldeten Straftaten gilt. Und selbst wenn irgendwo ein Flüchtling eine Straftat begangen hat, müssen wir den Deppen von rechts, die gleich nach einer Schließung aller Grenzen rufen, entgegenhalten: Überall, wo Menschen leben, passiert so etwas. Leider.

Manchmal helfen gezielte Kampagnen an bestimmten Orten und für riskante Situationen. Dann sollte man genau das tun, statt Merkel spöttisch zu „danken“. Doch zur garantierten Vorbeugung von Verbrechen würde es nicht reichen, die Grenzen zu schließen, auch im Inland müsste man Nachwuchs komplett verhüten. Nur wo keine Menschheit, da keine Straftat.

Aber halt auch keine Menschheit. Also lasst uns bei der Wahrheit bleiben! In ganz wenigen Fällen (zum Beispiel bei einer Bombendrohung im voll besetzten Stadion) empfiehlt sich schweigen und notfalls lügen. Aber in den meisten Fällen ist die Wahrheit neutral oder sogar auf unserer Seite.

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5 Kommentare

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  • Lügen in der Politik sind nicht hinzunehmen, da die Politiker gewählte Repräsentanten des Wählers sind.

    Wer der Meinung ist seine Politik mit Lügen gegenüber der Wähler durchzusetzen, hat seine Legitimation sofort zu verlieren.

    Nur mit der Wahrheit ist gewährleistet, dass jeder die Schritte der Politik zu einer Begebenheit nachvollziehen kann.

     

    Allerdings weiß auch jeder, dass dies Wunschdenken ist. Nirgendwo wird mehr gelogen und betrogen als in der Politik. Das dürfte auch der Grund sein, weshalb jeder heutzutage der Meinung ist,

    „Ein bisschen Unwahrheit ist nicht so schlimm, denn unsere Politiker Lügen täglich“

     

    Da uns der Umgang mit der Wahrheit täglich von der Politik und den Medien vorgeführt wird, ist die Lüge in die Normalität gerutscht, ohne dass jemand sich besondere Gedanken zur Wahrheit macht. Das dürfte auch der Grund sein, weshalb es den Rechtspopulisten von ihren Anhängern nachgesehen wird, wenn sie im Gegensatz zu den anderen Politikern beinhart darauf los lügen.

     

    Wenn niemand beginnt sich wieder für das sagen der Wahrheit stark zu machen, werden wir weiterhin gewisse Lügen akzeptieren, solange sie für unseres Wohlgefühl dienlich sind.

     

    Die „kleine Lüge“ ist dem Menschen, laut Aussage von Wissenschaftlern, bereits in die Wiege gelegt. Das Menschenkind soll demnach bereits im Alter von 2 – 3 Jahren in der Lage sein eigene Unwahrheiten zu verfassen um sich z.B. vor Strafe zu schützen.

    Also müssen wir wir bei sehr kleinen Kindern mit der Erziehung zur Wahrheit beginnen, und das gegen die Evolution!!!

  • 8G
    89598 (Profil gelöscht)

    Spannend...

     

    @ Rainer B. aus M.: Da ist definitiv was dran: Die Medien oder eine Presse als "Lügenpresse" zu denunzieren, das kann durchaus als Folge der vielen impliziten Unwahrheiten verstanden werden, die aus einem "unwahren Gesamtbild" einer Berichterstattung resultieren. Nur denke ich, die (psychische, sozialpsychologische) Motivation der Denunziation ist eine andere: Da greifen Leute, die selbst - zumindest in diesem einen Punkt: Wahrheit und Unwahrheit - allem Anschein nach ziemlich simpel gestrickt sind, in einer ziemlich komplexen Gesellschaft ziemlich differenziert agierende Medien an. Weil sie sich belogen fühlen. Nicht leicht für Medien, Selbstkritik zu üben an einem Punkt, an dem die Motive der denunzierenden Populisten oft sehr subjektiv, zum Teil wahnhaft sind.

     

    Den Untertitel des taz-Artikels ("Sind wir wirklich besser?") finde ich eher unpassend: Nicht die Stroßrichtung dieser Selbstkritik erscheint mir verfehlt, im Gegenteil; ich denke aber, in Relation zu einem Trump oder anderen postfaktischen Populisten von heute sollten moralische Kategorien ("besser" oder nicht) sehr sparsam verwendet werden. Psychologisch hat es für mich große Bedeutung, wenn ich mir bei einer meiner eigenen (alltäglichen) Unwahrheiten auf die Schiche komme, aber es ist etwas anderes, Lüge politisch einzusetzen und offensiv zu propagieren. Das festzustellen hat auch nicht mit moralischer Überheblichkeit zu tun.

  • Ja ja, das moralische Ross hat auch mal längere, mal kürzere Beine.

    Trump ist lediglich dabei, seine vollmundigen "Wahlversprechen" in die Tat umzusetzen, er hat so ziemlich alles gut hörbar angekündigt, vielleicht nicht im Detail, aber seine Richtung war jedem klar und jetzt haben die Amis (und vielleicht auch der Rest der Welt) den Salat.

    Eine Gesellschaft, in der niemand mehr lügt, ist eine nette Illusion, aber ich möchte sie gar nicht zu Ende denken....

  • Liebe taz, Danke! Ja, die Wahrheit ist manchmal unbequem, und auch das weglassen bestimmter Fakten verfälscht eine Aussage, selbst wenn diese Aussage selbst noch richtig ist. Das ist im persönlichen so, aber auch im politischen. Da nehme ich doch gerne das 'Aber sind wir wirklich besser?' aus der Überschrift, und halte da der taz die Aleppo-Berichterstattung entgegen (oder auch die Ukraine). Die taz hat sicherlich nie offen gelogen, aber die Auswahl der Fakten führen zu einer 'gefühlten Lüge': 50mal was wahres Böses von der Regierungsarmee, 50mal was wahres Gutes von den Rebellen (das war Syrien! Ukraine: umgekehrt!), und schon ist aus puren, wahren Fakten ein falsches Gesamtbild entstanden. Und aus dem falschen Gesamtbild entsteht das böse Wort der Lügenpresse, die nicht versteht, warum sie jetzt Lügenpresse heisst... OK, sehr populistisch, aber vielleicht auch mal ein Ansatz zur Selbstkritik? Wäre doch was!

    • @WBD-399:

      Sie haben es fast schon zu freundlich formuliert.