Debatte Lebensentwürfe: Zeitgemäßer Vaterersatz

Der Prenzlauer Berg ist ein Labor für Familienbildung - und für die Zeit nach der Trennung. Männer sind dort keineswegs nur Familienflüchtlinge.

Heute nicht mehr nur biologisch definiert: Vater mit Kind. Bild: dpa

Nun streiten sie sich also, die Mütter von Prenzlauer Berg. Sie jammern über ihr hartes Schicksal, wenn ihnen ihr Göttergatte oder sonstiger Lebenspartner abhanden gekommen ist. Weil das Leben als Alleinerziehende schwer ist. Oder sie stöhnen über ihre ach so weltfremden Leidensgenossinnen, die sich über ihr hartes Schicksal als Macchiato-Mütter auf Entzug beschweren, statt es selbst in die Hand zu nehmen. Zwei Fragen jedoch bleiben dabei weitgehend unberücksichtigt. Unterscheidet sich das Schicksal von Alleinerziehenden in Berlin-Prenzlauer Berg fundamental von denen in Bochum-Wattenscheid oder Villingen-Schwennigen? Und - wichtiger noch - wo bleiben in der ganzen Diskussion eigentlich die Väter?

Prenzlauer Berg ist unübersehbar ein Labor für heutige Familienbildung der Bessergestellten. Nicht weil hier die Frauen mehr Kinder bekommen würden als anderorts. Sondern weil sich im Zuge der flächendeckenden Altbausanierung der Nachwendezeit dort eine, vor allem was das Alter betrifft, homogene Bevölkerung angesiedelt hat. Das wichtigste Accessoire auf dem Kollwitzplatz ist ein Pass, der seinem Inhaber ein Lebensalter zwischen Ende 20 und Anfang 40 bescheinigt. Der Lebensabschnitt, in dem man - genauer gesagt: frau - Kinder bekommt.

Familienlabor der Mittelschicht

Und wo es viele Familiengründungen gibt, sind nach wenigen Jahren auch viele Trennungen zwangsläufig. Zwar war zumindest in Berlin in den letzten Jahren der Anteil scheiternder Ehen rückläufig. Dennoch sind Paarbeziehungen bis ans Lebensende längst nicht mehr selbstverständlich. Da unterscheidet sich Prenzlauer Berg allenfalls in Nuancen vom Rest der Republik. Für die einzelnen Betroffenen ist das in jedem Fall hart. Zur Definition eines speziellen gesellschaftlichen Problems aber reicht es nicht.

45, ist Leiter der taz-Berlin-Redaktion. Er hat langjährige Erfahrung mit neuer Familienbildung in Prenzlauer Berg. In der Reihe Lebensentwürfe erschien zuletzt am 16.8. "Schluss mit den Vergleichen" von Barbara Dribbusch.

Die Angst vor einer Trennung ist verständlich, aber wer sagt denn, dass, wer einmal alleinerziehend ist, immer alleinerziehend ist? Selbstverständlich gibt es auch dort den Vater, der sich nach der Trennung aus dem Leben von Frau und Kindern verdünnisiert, sich um Unterhaltszahlungen drückt, vielleicht noch aufs gemeinsame Sorgerecht pocht, weil man das schließlich heutzutage so macht, der aber mit der Sorgepflicht recht wenig anzufangen weiß. Aber selbst in diesen Fällen ist ja längst nicht festgeschrieben, dass die Frau, die Mutter bis ans Ende ihrer Tage allein für ihre Kinder sorgen muss. Nicht emotional. Und oft auch nicht materiell.

Die serielle Familie

Denn das Modell der seriellen Monogamie, das sich bei den Sexual- und Liebesbeziehungen längst etabliert hat, wird mehr und mehr auch für die Familienbildung zur Selbstverständlichkeit: die serielle Familie. In offiziellen Statistiken ist das schwer zu finden. Denn die jeweiligen Konstellationen sind in der Regel so komplex, dass sie kaum in die Erfassung der Behörden passen. Wer aber mit offenen Augen durch das Familienbildungslabor Prenzlauer Berg läuft, wird fündig.

Nehmen wir zum Beispiel diese Familie: Mann, Frau, ein Teenager. Die drei leben seit Jahren zusammen in einer Wohnung. Mann und Frau waren nie miteinander verheiratet. Mittlerweile sind sie nicht einmal mehr ein Paar. Der Mann ist auch nicht der Erzeuger der Tochter. Aber Taschengeldzahler. Und selbstverständlich erbringt er seinen Anteil des Familieneinkommens bis die "Kleene" Abitur gemacht hat, obwohl die Mutter gegenüber allen Behörden erfolgreich ihren Status als Alleinerziehende verteidigt hat.

Die spezielle Beziehung zwischen Mann und Kind hat schließlich die Tochter definiert. In der Schule etwa spricht sie mit größter Selbstverständlichkeit von ihrem Vater, weil sie damit den Denkschemata ihres sozialen Umfeldes entgegenkommt. Zu Hause oder gegenüber nahestehenden Freunden würde sie ihn jedoch niemals als Vater bezeichnen. Sie nennt ihn bei seinem Namen, eine funktionale Benennung hält sie hier schlichtweg für überflüssig. Die Tochter eines ehemaligen Lebensgefährten ihrer Mutter, der ebenfalls nicht ihr biologischer Vater ist, bezeichnet sie hingegen ohne Zweifel als ihre kleine Schwester.

Biologie nicht mehr so wichtig

Oder die Familie, die ein paar Straßen weiter wohnte: Mann, Frau, zwei Kinder. Die beiden waren ebenfalls nie verheiratet. Sie leben seit Jahren getrennt. Eins der beiden Kinder ist leiblich, das zweite hat die Frau während der Trennungsphase angenommen, obwohl der Mann das nicht wollte. Er hat weder eine rechtliche noch eine biologische Verbindung zu dem zweiten Kind. Dennoch teilen sich die Eltern die Betreuung der Kinder. Auch ihre jeweils neuen Partner sind involviert.

Schließlich wäre da noch die Familie eines Ingenieurs: Er, seine zweite Frau, zwei gemeinsame Kinder sowie weitere Kinder aus seiner ersten Ehe, die teils bei ihrem Vater, teils bei ihrer Mutter leben. Ein Teenager aus erster Ehe lebt zwar beim Vater, weil das gerade besser passt, weigert sich aber, die Kinder aus der zweiten Ehe als Geschwister zu bezeichnen. Das ist wichtig zu wissen. Denn keine dieser Konstellationen lässt sich einfach oder reibungslos leben. Das dürfte auch für alle "herkömmlichen" Familien gelten.

Keine der drei genannten Lebensformen aus dem Familienlabor Prenzlauer Berg ist ohne Weiteres übertragbar auf andere Familien. Das soll auch gar nicht ihr Anspruch sein. Schließlich entstanden sie als maßgeschneiderte Lösung für eine jeweils ganz persönliche Lebenssituation.

Die drei Beispiele jedoch zeigen, dass Familie heutzutage weniger durch biologische oder rechtliche Beziehungen definiert oder gar abgesichert wird, als durch die Selbstdefinition ihrer Mitglieder.

Nur wenn aus sozialer und emotionaler Nähe Verantwortung erwächst, kann Familie Erfolg haben, vor einer Trennung. Und mit etwas Glück und Anstrengung auch danach. Dafür spielt es aber kaum eine Rolle, ob im lokalen Umfeld Latte macchiato oder Bionade zu den favorisierten Getränken gehören. Viel wichtiger ist die Erkenntnis, dass eine Familienserie nicht enden muss, wenn einer der Protagonisten aussteigt. Die Rollen können auch neu besetzt werden.

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Leiter des Regie-Ressorts, das die zentrale Planung der taz-Themen für Online und Print koordiniert. Seit 1995 bei der taz als Autor, CvD und ab 2005 Leiter der Berlin-Redaktion. 2012 bis 2019 Leiter der taz.eins-Redaktion, die die ersten fünf Seiten der gedruckten taz produziert. Hat in Bochum, Berlin und Barcelona Wirtschaft, Gesellschafts- und Wirtschaftskommunikation und ein wenig Kunst studiert. Mehr unter gereonasmuth.de. Twitter: @gereonas Mastodon: @gereonas@social.anoxinon.de Foto: Anke Phoebe Peters

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