Debatte Kuba nach Obama-Besuch: Noch immer gelähmt
Statt die Veränderungen zu gestalten, verharrt die Regierung in Schweigen. Vom anstehenden KP-Parteitag erfährt die Bevölkerung fast nichts.
N icht einmal zwei Wochen sind es noch, dann beginnt in Kuba der VII. Parteitag der Kommunistischen Partei. Sechs Dokumente, so erfuhren die LeserInnen der Parteizeitung Granma am 28. März, sollen dort verabschiedet werden. Darunter eines, das sich der Weiterentwicklung des kubanischen Sozialismus widmet, und eines über die soziale und ökonomische Entwicklung Kubas bis 2030.
Beides würde schon den ein oder anderen Bürger interessieren, aber darüber, was in diesen Dokumenten steht, wissen die KubanerInnen – nichts. Nicht einmal die Parteimitglieder haben die Gelegenheit gehabt, die Unterlagen einzusehen, lediglich die 1.000 Delegierten des Parteitages sollen sie inzwischen zu Gesicht bekommen haben.
So viel Geheimniskrämerei war selten. Vor dem letzten Parteitag 2011 waren die wirtschaftspolitischen Vorschläge auf der Insel breit diskutiert worden, in Partei- und Betriebsversammlungen wurde debattiert, Zehntausende von Eingaben wurden gemacht und editiert. Das war so demokratisch und transparent, wie es ein Einparteienstaat ohne freie Presse eben sein kann.
Diesmal hingegen, in einer Zeit, in der mit der Öffnung zu den USA und dem historischen Besuch Barack Obamas in Kuba mehr Veränderung in der Luft liegt denn je: nichts.
Debatte über Verschiebung des Parteitags
Prompt kamen Kommentare auch aus den Reihen der Partei, man möge den ganzen Parteitag doch auf Juli verschieben, um Zeit für eine Debatte zu gewinnen. In einem verschwurbelten Editorial der Parteizeitung wurde das abgelehnt: Die Kritik sei zwar in Ordnung. Aber man müsse doch sehen, dass einerseits ja überhaupt erst ein Viertel der Beschlüsse vom letzten Parteitag umgesetzt sei – und dass die Themen außerdem so kompliziert seien, dass man das lieber den Experten überlassen habe. Auf solche Argumente muss man auch erst einmal kommen.
Seither wiederum kein Wort in der Staatspresse, dafür aber jeden Tag ein Fidel-Castro-Spruch auf der Titelseite der Granma, von “Die Partei: die beste Frucht der Revolution“ über „Unsere Ideologie macht uns stärker und unbesiegbarer“ und “In der Partei vereinigen sich die Träume aller Revolutionäre“ bis hin zu “Zwei fundamentale Säulen: Die Einheit und die Doktrin“. Damit können diejenigen KubanerInnen, die sich fragen, wie ihre Staatsführung sie durch diese Zeiten lenken will, mit Sicherheit wenig anfangen.
Es ist, als ob die Regierung durch ein großes kommunikatives Nichts unmissverständlich klarstellen wolle, dass alle aufkeimenden Hoffnungen auf Veränderungen ins Leere laufen.
Zur Interpretation des Obama-Besuches selbst hatte ausgerechnet der abgetretene Fidel Castro den Ton angegeben, als er vier Tage später in der Granma unter dem Titel “Bruder Obama“ einen Text schrieb, in dem er Obama vorwarf, dieser habe bei seiner Rede im Gran Teatro in Havanna dazu aufgerufen, die Vergangenheit zu „vergessen“. Das war falsch wiedergegeben: Obama hatte gesagt, er kenne die Vergangenheit, weigere sich aber, in ihr gefangen zu bleiben, und fordere auf, sie hinter sich zu lassen – von „vergessen“ hatte er nicht gesprochen.
Bequemes Verweisen auf den Feind im Norden
Genau das aber behaupten seither alle möglichen regierungsnahen Blogs und Kommentatoren. Tenor: Die Imperialisten wollen, dass wir ihren Terror vergessen. Obamas Rede war zwar live in Kuba ausgestrahlt worden, aber am frühen Vormittag, wenn die meisten arbeiten. Wiederholt wurde sie nicht, veröffentlicht nur in Ausschnitten.
Es ist das ewig alte Muster: Statt die eigenen Aufgaben anzugehen, wird auf den Feind im Norden verwiesen. Dabei gäbe es für die kubanische Regierung unglaublich viel zu tun. Jetzt, heute, laufen dem kubanischen Bildungssystem die LehrerInnen und ProfessorInnen davon, gehen entweder nach Ecuador an die Uni oder arbeiten als TaxifahrerInnen.
Immer mehr ÄrztInnen wollen ihren Beruf nicht mehr ausüben, weil sie als Zimmervermieter mehr verdienen können, oder sie gehen ins Ausland, wie überhaupt ein Großteil der an den kubanischen Universitäten noch gut ausgebildeten Jungakademiker.
Die beiden zu Recht vielgerühmten größten Errungenschaften der Revolution, kostenlose Bildung und Gesundheitsversorgung für alle, gehen genau jetzt kaputt – aber Castro beschäftigt sich lieber mit der Invasion in der Schweinebucht 1961.
Der Staat ist gefragt
Der Parteitag muss auch eine der wichtigsten Personalfragen regeln: Wird Raúl Castro, der als Präsident 2018 abtreten will, trotzdem noch einmal für fünf Jahre Parteivorsitz kandidieren? Oder gibt es den Generationswechsel an der Parteispitze schon jetzt? Und was passiert dann? Eine öffentliche Debatte darüber gibt es nicht, nicht einmal mehr zwischen den Zeilen.
Gleichzeitig drängen die USA voran. Ab Mai werden auch US-Fährschiffe in Kuba anlegen, von geplant 110 Direktflügen täglich zwischen den USA und Kuba ist die Rede. Verwandte in den USA dürfen inzwischen schier unbegrenzt Geld nach Kuba schicken, was direkt in den Aufbau des nach den Parteitagsbeschlüssen von 2011 gewaltig gewachsenen Privatsektors fließt, immer mehr internationale Firmen interessieren sich für Investitionen auf der Insel.
In Folge geht die Schere zwischen den Verdienstmöglichkeiten im Privatsektor – insbesondere im boomenden Tourismusbereich – und denen etwa als Akademiker in einem staatlichen Betrieb oder Ministerium so weit auseinander wie nie zuvor.
Da ist nun eigentlich wirklich der Staat gefragt. Eine neue Steuerpolitik, um die neuen Wohlhabenden stärker am Gemeinwohl zu beteiligen? Abschaffung der Lebensmittelsubventionen für jene, die sie nicht brauchen? Durchdachte Freigabe weiterer Berufsfelder für die Arbeit auf eigene Rechnung? Investitionsmöglichkeiten nicht nur für ausländische Firmen, sondern auch für Kubaner? Alles Fehlanzeige.
Stattdessen glänzt kubanische Staatlichkeit wie gehabt durch lähmende Bürokratie, rückwärtsgewandte Rhetorik und die Abwesenheit genau jener letztlich sozialdemokratischen Steuerungsinstrumente, die es dringend bräuchte, um das immer rascher voranschreitende Auseinanderklaffen sozialer Wirklichkeiten zumindest abzufedern.
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