Debatte Kopftuch und Feminismus: Irans neue Protestkultur
Es scheint die Stunde der Frauen zu sein. Dabei wird über mehr als nur das Kopftuch diskutiert. Wie viel Dissidenz verträgt das System?
J ahrelang haben die meisten Medien die Falschen abgebildet, wenn sie weiblichen Freiheitswillen in Iran illustrierten wollten: jene Schönen der Oberklasse mit perfekt gestylten (oder operierten) Gesichtszügen und eleganten schlanken Händen, die keine körperliche Mühsal kennen.
Seit sechs Wochen klettern nun ganz andere Frauengestalten auf innerstädtische Verteilerkästen und halten das Kopftuch in einer Gebärde wortlosen Protests an einem Stöckchen in die kalte Winterluft. Es sind gewöhnliche Iranerinnen, ihre Kleidung wirkt eher billig, und in manches Gesicht haben sich die Beschwernisse des Alltags früh eingegraben.
Natürlich gibt es Gründe, dass die Falschen zu Ikonen wurden, schienen sie doch ästhetisch die Imagination der edlen „Perserin“ zu erfüllen, die seit den Zeiten von Soraya und Farah Diba durch das deutsche Iran-Bild spukt und nach der Revolution von 1979 stets den Kontrapunkt zur verschleierten Düsternis der Islamischen Republik markierte.
Nun stehen hier und da sogar Frauen im Tschador auf einem Verteilerkasten und plädieren mit der Stöckchen-Gebärde für Toleranz gegenüber einem Lebensstil, der nicht der ihre ist. Anders gesagt: Sie treten dafür ein, dass die Frau in der Schleierfrage selbst entscheiden kann – denn dies würde auch der Bejahung des Schleiers neue Würde geben.
ist freie Autorin und wurde mit ihren Reisereportagen aus muslimischen Ländern bekannt. Im März 2017 erschien von ihr: „Der neue Iran. Eine Gesellschaft tritt aus dem Schatten“ (dtv).
Mancherorts wird bereits ein neuer Feminismus ausgerufen
Das klingt subtil, arg subtil für hiesige Ohren. Gewiss wird in manchen Redaktionen angesichts der jüngsten Fotos von Protestierenden bereits „ein neuer Feminismus“ ausgerufen. Denn so funktioniert die Berichterstattung zur Islamischen Republik: Wenn die Beobachter etwas mitbekommen, das ihnen selbst neu ist, erklären sie dies zum neuen spektakulären Trend in Iran. Das gilt selbstverständlich nur für Regungen, die irgendwie gegen die herrschende Ordnung gerichtet sind. Geschieht hingegen Ungewohntes auf Seiten der Regime-Fraktionen, wird dies in die alten Muster einsortiert.
Zweifel, Zwischentöne, offene Fragen sind wenig erwünscht, auch bei jenen Iranstämmigen, die hierzulande oft die Kommentierung der Ereignisse prägen. Es laden aber nun gerade die jüngsten Aktionen von Frauen dazu ein, die gegenwärtigen Turbulenzen ergebnisoffen zu betrachten.
Zunächst: Die Frauenaktionen sind keine Folge der jüngsten Sozialproteste, wie manche falsche Zeile in den Medien nahelegt, sondern sie begannen bereits davor. Genau genommen gibt es in Iran seit Längerem ein Kontinuum von Protesten verschiedenster Art, vor allem bei Arbeitern, aus denen manches plötzlich herausragt, weil es zur Kenntnis einer nationalen und internationalen Öffentlichkeit gelangt – und sich dann, ermutigt durch die Resonanz, erneut vervielfacht.
So erging es den Sozialprotesten der ersten zwei Januarwochen. Doch bereits einen Tag, bevor also diese Welle von Unruhen einsetzte, bestieg die erste Frau, eine 31-jährige Mutter, einer Eingebung folgend in der Teheraner Revolutionsstraße eben jenen Verteilerkasten und kreierte damit stilsetzend eine Art Instant-Bühne friedfertiger Dissidenz.
Auf so viel zivilen Ungehorsam hat man lang gewartet
Auf solcherart zivilen Ungehorsam im Alltag haben Frauenrechtlerinnen in Iran lange gewartet. Das scheint erklärungsbedürftig, denn die Iranerinnen haben das Land ja in den vergangenen drei Jahrzehnten durchaus nachhaltig verändert, auf jene langsame und beharrliche Weise, für die der Sozialwissenschaftler Asef Bayat den Begriff der „sozialen Nicht-Bewegung“ erfand.
Die Frauen waren die Meistbetrogenen der Revolution, aber sie nutzten die Umstände, die ihnen aufgezwungen wurden, letztendlich zum eigenen Vorteil. Durch das Gebot der Verschleierung entfielen die Vorbehalte konservativer Eltern gegen die Mädchenbildung; Millionen junge Iranerinnen machten sich im Tschador oder mit Kopftuch auf in eine Welt, die ihnen vorher verschlossen war.
Als organisierte Kraft ist die iranische Frauenbewegung jedoch über die Grenzen des Bürgertums nie hinausgekommen. Kampagnen gegen rechtliche Diskriminierung verebbten, weil ärmere Frauen dafür nicht zu mobilisieren waren: Sie sorgten sich mehr um das tägliche Familieneinkommen.
Könnte der zivile Ungehorsam auf der Straße nun ein Zeichen sein, dass Klassengrenzen bröckeln? Diese Grenzen spielen keineswegs nur für Frauenbelange eine Rolle. Es fehlt an klassenübergreifender Solidarität – das ist der eigentliche Grund, warum es in Iran keinerlei Führung oder Repräsentanz oppositioneller Strömungen gibt. Lebensweltliche Gräben klaffen bereits zwischen oberer und unterer Mittelschicht.
Erstere trug die Grüne Bewegung von 2009; letztere, ständig weiteren Abstieg fürchtend, machte sich an der Seite von noch Ärmeren bei den jüngsten Unruhen Luft. Auch hier waren es Frauen, die versuchten, eine Brücke über den Graben zu schlagen: 200 Aktivistinnen verteidigten in einer namentlich gezeichneten Erklärung die Berechtigung der Proteste, denen andere Bürgerliche misstrauten.
Der Kopftuchzwang hat in der Bevölkerung keine Mehrheit; das stellten sogar Befragungen durch Regierungsstellen fest. Dass solche Erhebungen überhaupt stattfanden, zeigt: Über eine Aufhebung oder Modifizierung des Gesetzes nachzudenken, ist kein Tabu mehr, jedenfalls nicht für die Moderaten und einen Teil der Geistlichkeit. Auch werden Verstöße nicht mehr so geahndet wie früher. Auf den Straßen der Städte gehen jetzt manche Frauen einfach ohne Tuch, ganz unspektakulär. Gerade das zeigt, wie ernst es ist.
Die Frage, vor der die verschiedenen Fraktionen des Machtapparats stehen, lautet: Kann die Islamische Republik mit einer neuen sichtbaren Kultur von Protest und Dissidenz leben, so wie sie sich in der Vergangenheit damit arrangiert hat, dass die Iraner im Privatleben alles erdenkliche Verbotene tun?
Die Antwort ist offen.
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