Debatte Klimaverhandlungen: Klimadiplomatie ohne Parlament?
Im Dezember soll ein globales Klimaschutzabkommen beschlossen werden. Ein guter Anlass, um darüber im Bundestag zu streiten.
B undestagspräsident Norbert Lammert fährt scharfes Geschütz auf: Der Bundestag werde keinen Handelsvertrag zwischen der Europäischen Union und den USA ratifizieren, „dessen Zustandekommen er weder begleiten noch in alternativen Optionen beeinflussen konnte“. Wer einen transatlantischen Handelsraum mit gravierenden Auswirkungen auf Sozial-, Umwelt- und Verbraucherschutzstandards topsecret zwischen US-Botschaften und EU-Kommission aushandele, könne keine demokratische Legitimation beanspruchen.
Wie steht es diesbezüglich mit dem globalen Klimaschutzabkommen, das im Dezember in Paris beschlossen werden soll? Dessen Eckpfeiler sind besser bekannt und im Bundestag wie in Straßburg stellenweise intensiv behandelt worden.
Aber die parlamentarische Debatte, die globaler Klimaschutz von der Bedeutung der Sache wie von den Prinzipien repräsentativer Demokratie her verdient hätte, fand bislang weder bei uns noch andernorts statt. Und der nach allgemeiner Überzeugung „alles entscheidende“ Klimagipfel sollte Anlass genug sein, eine solche Debatte eben jetzt zu führen.
Genau wie das Freihandelsabkommen (oder die Kontrolle der Finanzmärkte) ist Klimaschutz Sache von Exekutive und Experten, darunter von Nichtregierungsorganisationen wie WWF oder Oxfam. Eine wie (un)verbindlich auch immer formalisierte Respektierung der „2-Grad-Leitplanke“, die massiv in Lebensstile und Mentalitäten, in Produktionsweisen, Mobilitätsformen und Raumplanungen eingreift, wurde auf bisher 20 Konferenzen der Vereinten Nationen zwischen Regierungsdelegationen ausgehandelt.
Deren Terminologie und Tricks aber kann kein normaler Zeitungsleser nachvollziehen. Regierungen stützen sich auf wissenschaftliche Modelle und Messungen und sprechen mit Lobbyisten und Advokaten; Bundestag und andere Volksvertreter werden eher nachträglich informiert.
Do parliaments matter?, fragen Politikwissenschaftler seit Langem nach den Restkompetenzen nationaler Volksvertretungen im Zeitalter der politischen Globalisierung, die von Policy-Netzwerken beherrscht wird. Im politischen Alltag bilden die Exekutiven (also die Ministerialbürokratie unter der Ägide von Kanzlerämtern und Präsidialverwaltungen) mit den Mehrheitsfraktionen eine Handlungseinheit, der die Opposition in der Regel nicht viel entgegenzusetzen hat.
Ein Arbeits-, kein Redeparlament
Der lange Prozess der Parlamentarisierung, der den gewählten Repräsentanten das Budgetrecht, die Wahl und Kontrolle der Regierung und die Meinungsführerschaft in den öffentlichen Angelegenheiten eingebracht hat, dreht sich um. Kabinettsbeschlüsse fordern parlamentarische Mehrheiten, und beide sind in internationalen Fragen oft nur Zeremonien und Stempelkissen diplomatisch verabredeter Entscheidungen.
Der Deutsche Bundestag ist bekanntlich ein Arbeits-, kein Redeparlament, große Debatten sind seine Sache selten, etwa wenn es um ethische Fragen von Leben und Tod (Abtreibung, Sterbehilfe und so weiter) geht, bei denen Abgeordnete ohne Fraktions- und Koalitionsdisziplin „ihrem Gewissen folgen“. Ist der Klimawandel aber kein Thema von derartiger Bedeutung?
Er ist es mit Sicherheit, und globaler Klimaschutz ist eine Jahrhundertaufgabe, die mehr erfordert als symbolische Politik im Vorfeld und ein Abnicken der (oder Schelte für die) auf den COPs erzielten Kompromisse.
Widersprüche herausstellen
Gewiss stehen die Tagesordnungen des Hohen Hauses auf lange Zeit fest, dennoch sei die Frage erlaubt, wie sich der Deutsche Bundestag die Beschlussfassung im Blick auf und nach dem Pariser Gipfeltreffen vorstellt. Aufgabe des Parlaments wäre es, die Klimapolitik der Bundesregierung und der Europäischen Union als Ganzes zu bewerten, Aufgabe der Opposition, Defizite, Widersprüche und Perspektiven herauszustellen und es nicht bei dem wohlfeilen Vorwurf zu belassen, Deutschland und Europa seien hinter den selbst gesetzten Zielen zurückgeblieben.
In Deutschland herrscht relativer Konsens über die anthropogenen Ursachen und massiven Folgen des Klimawandels für Mensch und Natur, aber der genauere Blick zeigt, dass sich die konkreten Instrumente zur Bekämpfung der globalen Erwärmung bei Wirtschaftsliberalen und ökologischen Reformkapitalisten, Protektionisten und Kosmopoliten, Ökologen und allen anderen erheblich unterscheiden. Man sieht sie freilich kaum – wieso nicht?
Klima-APO
Ihre Schärfe ging im Klein-Klein um Strompreise, Laufzeiten und föderalen Eigensinn unter, was „die Menschen“ angeblich mehr interessiert. Dabei ändern planetare Grenzen, die (nicht nur) der Klimawandel aufzeigt, den Grundmodus von Politik – wir müssen gründlicher nachdenken und politisch wesentlich tiefer schürfen, aber die Entscheidungen zugleich beschleunigen.
Eine Aufgabe der Volksvertreter wäre auch, das Thema Klimaschutz vor Ort in die Wahlkreise zu tragen, wo am Ende darüber entschieden wird; Klimamodelle und Versorgungsszenarien müssen in Narrative eines anderen Lebens übersetzt und „den Menschen“ neben Kosten auch Chancen der ökologischen Politik aufgezeigt werden. Das geht am besten in lokalen Konstellationen der Agenda 21, oder – auch europapolitisch wichtig – als Gemeinschaftswerk der deutsch-französischen Achse, die für das Gelingen oder Scheitern des Pariser Gipfels wesentlich ist.
Wenn die Tagesordnungen in Paris, Brüssel und Berlin diese Anstrengung nicht verkraften, muss die Klima-APO tätig werden. Vor Jahresfrist gab es regelrechte Klimademonstrationen, doch der lokale Klima-Aktivismus – von Boykott und Buykott über die Divestment-Kampagne und Energiegenossenschaften bis zu Städtenetzwerken – muss sich in einer Form manifestieren, die Regierungschefs und Verhandlungsdelegationen beeindruckt und ihnen ein Mandat verleiht, entschiedener aufzutreten.
Doch auch Parlamente sollten Teil der Weltbürgerbewegung für den Klimaschutz werden und die Rechte künftiger Generationen auf die Tagesordnung setzen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Rechtsextreme instrumentalisieren Gedenken
Erderwärmung und Donald Trump
Kipppunkt für unseren Klimaschutz
Bundestagswahl 2025
Parteien sichern sich fairen Wahlkampf zu
Bundestagswahl am 23. Februar
An der Wählerschaft vorbei
Streit um Russland in der AfD
Chrupalla hat Ärger wegen Anti-Nato-Aussagen