Debatte Jugendarbeitslosigkeit: Die Propagandamaschine läuft
Die EU-Granden und auch Angela Merkel bemerken endlich die Jugendarbeitslosigkeit – und verordnen die falschen Maßnahmen. Deutschland kann's recht sein.
J etzt jagt eine Initiative die nächste, jetzt will die EU die Jugendarbeitslosigkeit bekämpfen. An Appellen für Arbeit, Ausbildung und Mobilität auf höchstrangiger Ebene mangelt es nicht, die dramatisch steigende Jugendarbeitslosigkeit wird das nicht stoppen. Der EU-Gipfel Ende Juni kündigte wolkenreich eine „Jugendgarantie“ für Beschäftigung und Ausbildung an.
Nun lädt Bundeskanzlerin Angela Merkel die Spitzen der EU-Regierungen höchstpersönlich nach Berlin. Ob dies zu mehr Verbindlichkeit führt oder eher Wahlkampfaktionismus ist, um Herz für ein soziales Europa zu zeigen, bleibt abzuwarten.
Bekanntlich sind die mit drastischen Kürzungsmaßnahmen verbundenen milliardenschweren Rettungsoperationen vor allem der Finanzbranche, den Wohlhabenden und internationalen Steueroasen zugutegekommen. Die bitteren wirtschaftlichen und sozialen Folgen trägt indessen die Mehrheit der Bevölkerung, der Sozialstaat wird weiter abgebaut.
Das Ergebnis ist eine anhaltende Wirtschaftsrezession, die von den Krisenländern auch auf andere Euroländer übergreift. Entsprechend schnellte die Erwerbslosigkeit europaweit auf über 12 Prozent hoch, bei jungen Leuten liegt sie etwa doppelt so hoch, in Griechenland und Spanien sind die jungen Erwachsenen zu über 50 Prozent ohne Job.
Nur ein Randthema
Die promovierte Volkswirtschaftlerin war von 1990 bis 2006 stellvertretende Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) und saß von 1986 bis 2009 im SPD-Vorstand.
Trotzdem blieb die Erwerbslosigkeit bei den Verhandlungen um den EU-Fiskalpakt mit der rigorosen Schuldenbremse nur ein Randthema. Die Vereinbarungen à la Merkozy schüren die Konflikte zwischen den EU-Ländern und den Arbeitnehmern. Deutschland wird zu Recht als Sparkommissar für die verheerenden sozialen Verschlechterungen in den Krisenländern verantwortlich gemacht. Denn verordnet wird den Krisenstaaten die Medizin der Agenda 2010, als ob es zusätzlich zur hohen Arbeitslosigkeit nicht schon genügend unsichere Beschäftigung mit Niedrigstlöhnen gerade für junge Menschen geben würde.
Doch unverdrossen propagiert die EU-Kommission nicht nur den weiteren Abbau des Kündigungsschutzes und Eingriffe in die Lohn- und Tarifpolitik der Gewerkschaften, sie will jetzt auch das Rentenalter gleich auf 69 Jahre hinaufsetzen. Ältere und jüngere Arbeitnehmer werden gegeneinander ausgespielt. Ein Schelm, der vermutet, dass die bedrückende Jugendarbeitslosigkeit genutzt werden soll, um den Abbau sozialstaatlicher Einrichtungen voranzutreiben.
Gleichzeitig kann der von der EU-Kommission vorgelegte Maßnahmenkatalog nicht funktionieren. Er kreist um folgende Schwerpunkte: Die duale Berufsausbildung nach deutschem Muster soll eingeführt, kleine und mittlere Betriebe sowie die Gründung von Start-ups sollen gefördert werden. Eine europaweite Qualifizierungs- und Beschäftigungsgarantie spätestens vier Monate nach Beendigung der Ausbildung, nach dem Beispiel Österreichs, wurde nur empfohlen, ein Mechanismus zur Um- und Durchsetzung nicht beschlossen.
Die Fehler im Einzelnen
Doch die Einführung und der Ausbau einer betrieblichen Berufsbildung hängen entscheidend davon ab, ob genügend Unternehmen qualifizierte Ausbildungs- und Arbeitsplätze anbieten können. Selbst in der stets als Modell gepriesenen Bundesrepublik bilden nur noch ein Fünftel der Betriebe aus, indessen hunderttausende junger Menschen in öffentlich finanzierten Bildungswarteschleifen geparkt werden.
Und bei einem jährlichen Rückgang des Wirtschaftswachstums von 5 bis 6 Prozentpunkte – wie etwa in Griechenland – bedeutet eine vernünftige betriebliche Berufsbildung die „Quadratur des Kreises“. Zum einen: Zieht die öffentliche Hand nicht an einem Strang mit den Tarifparteien, läuft sowieso überhaupt nichts. Dann braucht es eine entsprechende Infrastruktur an Verbänden und Facheinrichtungen. Nichts davon ist in den Krisenländern vorhanden. Die deshalb vorgesehenen 6 Milliarden Euro für die Förderperiode bis 2020 sind da lediglich der berühmte Tropfen auf den heißen Stein.
Ähnliches gilt für die geplanten 70 Milliarden Euro der Europäischen Investitionsbank (EIB) zur Finanzierung von Klein- und Mittelbetrieben.
Die angekündigte Verknüpfung mit der Schaffung von Ausbildungs- und Arbeitsplätzen für junge Menschen bleibt völlig undurchsichtig. Zudem können die Krisenländer die Mittel zur Rückzahlung der Kredite nicht aufbringen.
The winner is … Deutschland
Übrig bleiben dürfte mithin vor allem die Förderung der grenzüberschreitenden Mobilität. Die Propagandamaschine von Wirtschaft und Bundesregierung, dass es einen Mangel an Auszubildenden gäbe, läuft bereits auf vollen Touren. Nach anfänglichem Zögern ziehen immer mehr qualifizierte Arbeitnehmer aus Griechenland, Spanien oder Italien in die Bundesrepublik. Die aktive Anwerbepolitik – 5.000 junge Spanier für 33.000 freie Ausbildungsplätze – trägt Früchte.
Ein derartiger brain gain für Deutschland und entsprechender Braindrain für die Krisenländer kann jedoch keine dauerhafte Lösung sein. Damit wird der Druck verringert, den hierzulande vielen jungen Menschen in „Bildungswarteschleifen“ oder unsicheren Jobs mit Niedriglöhnen eine qualifizierte Ausbildung und Arbeit zu geben. Für die Krisenländer besteht in dem Braindrain eine große Gefahr für die eigene wirtschaftliche Entwicklung. Dies zeigt das Beispiel der neuen Bundesländer mit der Abwanderung qualifizierter jüngerer Menschen besonders drastisch.
Eine brain circulation, also der gezielte Einsatz dieser jungen Menschen in der Bundesrepublik zum Erwerb von Qualifikationen für ihre Heimatländer, ist graue Theorie. In einem Europa der Freizügigkeit können die Menschen dort arbeiten und leben, wo sie wollen, und nicht zur Rückwanderung gezwungen werden. Höchst fraglich ist auch die Qualität der Ausbildung und Arbeit – siehe die vielen Dienstleistungen zu Hungerlöhnen.
Notwendig ist stattdessen die gezielte Entwicklung qualifizierter Ausbildung und Arbeit in den Krisenländern selbst. Hierzu bedarf es des politischen Willens und praktischen Durchhaltevermögens bis auf die Spitzenebenen von EU und Mitgliedsländern.
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