Debatte Intervention in Syrien: Die Hölle der Bilder

Europa inszeniert sich als Streitmacht gegen den IS – und begibt sich damit in eine Falle. Der Krieg in den Köpfen lässt sich militärisch nicht gewinnen.

Angela Merkel und Francois Hollande

Auf seine Feldherrenrede hat Hollande die Erzählung des reisenden Strategen aufgebaut, der unermüdlich Verbündete sammelt – zum Beispiel Angela Merkel. Foto: dpa

Als der französische Filmpionier Abel Gance im Ersten Weltkrieg verletzt worden war, kam er auf eine Idee: Er wollte zurück auf die Schlachtfelder, er wollte Bilder aufnehmen und sie in einem Film gegen das Gemetzel verwenden. „J’accuse“ heißt der Film aus dem Jahr 1919, der dokumentarische und fiktive Szenen miteinander verband. Es wurde ein Erfolg, und Abel Gance prägte einen Satz, an den wir uns heute erinnern sollten: „Ihr, die ihr eintretet in die Hölle der Bilder, lasset alle Hoffnung fahren!“

In dem Satz steckt die Erkenntnis, dass Krieg nicht nur eine Sache erbeuteten Geldes, eroberter Länder und zerstörter Leben ist. Er entfaltet seine Wirkung über Bilder, Worte, Erzählungen.

So war es auch nach den Anschlägen in Paris am 13. November, deren Schrecken live im Fernsehen gezeigt wurde. Schon kurz darauf trat Präsident François Hollande in den Krieg mit Worten ein. „Frankreich befindet sich im Krieg“, stellte er fest. Nur sein Vorgänger Nicolas Sarkozy übertraf ihn, als er zum „totalen Krieg“ aufrief.

Auf seine Feldherrenrede hat Hollande die Erzählung des reisenden Strategen aufgebaut, der unermüdlich Verbündete sammelt. Er beginnt damit einen Waffengang der Wahrnehmung, der Fehler besteht jedoch darin, dass ihn der Westen am Ende militärisch nicht gewinnen kann.

Just do it – Just Terror

Nie ging es im Krieg nur um Land, Geld oder Leben. Propagandafilme dienen dem Geländegewinn in den Köpfen. Sie laufen auch nach Kriegsende, wenn der Erfolg manifestiert werden soll. Die Berliner Siegessäule, der Pariser Arc de Triomphe – sie zeugen von der sehr alten Logik: Wer vom Sieg nicht redet, hat nicht gewonnen.

In Dabiq, der Zeitschrift des IS, zeigen sich die Dschihadisten mit Sturmgewehren. Sie werden dort gern als „Ritter“ gefeiert. Die neueste Ausgabe zeigt auf dem Cover ein Opfer und Rettungskräfte nach den Anschlägen von Paris: „Just Terror“, lautet die Titelzeile, geschrieben in der Typografie der Nike-Werbung: „Just do it“.

Je übermächtiger der Gegner, desto glorreicher der Überraschungserfolg des Herausforderers

Die Gegeninszenierung sind die Rafale-Jets, die – das Meer glitzert golden – in den Himmel aufsteigen. Sie wirken ganz anders als die Hölle der Bilder, die einst Abel Gance in seinem Film vom Ersten Weltkrieg zeigte: Das Leid, das mithilfe von Kampfflugzeugen verursacht wird, kann man nur ableiten. Der unmittelbare Eindruck ist: Macht.

Zur Erzählung der Macht gehört es auch, nicht allein anzutreten. Da hilft der rastlose Präsident, der von Hauptstadt zu Hauptstadt reist, um seine Allianz zu schmieden. Nach innen will er auf das erschütterte französische Volk wirken. Nach außen zielt Hollande auf die Stellung Frankreichs in Europa. Er profiliert sein Land als Führungsmacht, auch gegen die Briten auf ihrer euroskeptischen Insel, und ruft – erstmals in der Geschichte der EU – den europäischen Bündnisfall aus.

Und hier kommt nun Deutschland ins Spiel, hier wird Angela Merkel dieses Wort angetragen, das sie nach den Anschlägen von Paris mied. Jetzt zieht auch Deutschland in den Krieg, und in der Erzählung dazu soll es auch deutsche Bilder geben: Eine Fregatte wird auslaufen, ein Tankflugzeug starten, Tornados werden aufsteigen.

Die Argumente für diesen Einsatz stellen auf die Bilder ab, auf Symbolik, auf eine Erzählung. Deutschland solle sich wehrhaft zeigen, das schreiben einflussreiche Kommentatoren immer wieder. Berthold Kohler, jener Herausgeber der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, der nach den Anschlägen von Paris Deutschland ein hartes Gesicht verordnete, verlangt von der Bundesregierung, den „Kraken ins Jenseits“ zu befördern: nicht wegducken. Treffer auf seinem Kopf landen. Mit massierter Militärmacht. Mit aller Macht. Marsch.

Der Krieg als symbolischer Akt – er soll auch der Politik zum Erfolg verhelfen. Den Frieden in Syrien soll er bringen. Und den Zusammenhalt der EU befördern. Denn wenn Deutschland nicht zu Frankreich steht, so geht ein weiteres Argument, dann wackelt die ganze Union. Also Solidarität. Geschlossenheit. Einheit. Marsch.

Es ist traurig: Im Krieg der Bilder wollen Hollande und seine Verbündeten alles richtig machen. Aber sie machen alles falsch. Denn leider kann der Westen durch den Krieg, der auch ein Krieg der Erzählungen ist, keinen Sieg erreichen.

Das liegt an der Struktur, die die Dschihadisten von al-Qaida bis IS ihrer Erzählung gegeben haben. Sie erklären sich zu den einzig wahren Gläubigen, die mit den Ungläubigen um die Vorherrschaft ringen, zu Herausforderern, die alles zu gewinnen haben und nichts zu verlieren – nicht einmal ihr Leben. Die militärische Asymmetrie ist Teil der Erzählung. Dschihadisten profitieren davon, wenn sie gegen eine möglichst große Allianz antreten. Und je mächtiger der Gegner, umso glorreicher der Überraschungserfolg.

Jede Wunde stärkt den Dschihad

Materielle militärische Siege können dieser Geschichte kaum etwas anhaben. Jede westliche Militärintervention im Nahen Osten und in Afghanistan hat dem Dschihad mehr Zulauf beschert, als er das aus eigener Kraft vermutlich je geschafft hätte. Mit jeder weiteren Wunde des Favoriten hat der Herausforderer mehr Fans.

Es ist die Falle, in die sich George W. Bush begab. Es ist die Falle, in die Hollande nun Europa hineininszeniert: Je größer seine Übermacht daherkommt, desto stärker wirkt jeder Erfolg gegen sie. Die Bomber der USA, der eigentlichen Führungsnation im Krieg gegen den IS, muten gegen Hollandes Aufmarsch beinahe stoisch an.

Neben dem Krieg in der Wahrnehmung ist der materielle Krieg natürlich sehr real. In ihm werden wie immer nicht nur die erklärten Ziele getroffen. Es werden Zivilisten sterben, das ist die wahre Hölle.

Sie sind es auch, die in der Erzählung des islamistischen Terrors zu Märtyrern werden, mit deren Hilfe er um weitere Anhänger wirbt. Der IS kann seine Kämpfer ungeachtet möglicher kurzfristiger Erfolge ausländischer Streitkräfte als „Armee der Unbesiegbaren“ verkaufen. Ein Anschlag würde reichen, nur ein paar Gewehre sind dafür nötig. Ein Gegenbild gegen die Überlegenheit moderner Waffensysteme lässt sich jederzeit schaffen.

Gelingt es nicht, den Krieg in den Köpfen zu gewinnen – auch bei denen, die durchaus Gründe haben, sich entrechtet zu fühlen –, dann ginge sie immer weiter, die Hölle der Bilder.

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